AI Landscape Austria 2025: Startup-Boom, GenAI-Reset & der Bootstrapping-Faktor

Clemens Wasner hat wieder zugeschlagen. Denn mit AI Austria präsentiert er die neue AI Landscape Austria 2025 – und die zeigt ein Ökosystem im Umbruch. „Wir haben jetzt knapp 300 Logos drauf, nur für AI Startups und Companies“, erklärt Wasner im AI Talk Podcast mit Jakob Steinschaden.
Das entspricht einem Netto-Wachstum von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch die Brutto-Bewegung erzählt eine ganz andere Geschichte: Rund 30 Firmen verschwanden, während 60 bis 70 neue hinzukamen. „Es sind heuer wirklich relativ viele Firmen verschwunden“, so Wasner.
Neue Struktur, neues Spiel
Die Landscape 2025 kommt mit einer komplett überarbeiteten Clustering-Logik. Wasner splittet erstmals die Darstellung auf: Die aktuelle Version fokussiert ausschließlich auf Startups und Companies. Early Adopters, Dienstleister und das weitere Ökosystem (Investoren, Medien, Vereinigungen) folgen Anfang 2026. Der Grund: „Aufgrund der Anzahl war es schlichtweg nicht mehr möglich, dass man das alles auf einer Grafik darstellt.“
Die neue Struktur orientiert sich an globalen Standards wie der MAD Landscape von Matt Turk, die seit 2016 den weltweiten Machine Learning-, AI- und Data-Bereich kartografiert. Drei Hauptkategorien gliedern das österreichische Ökosystem: Core/Horizontal AI Tech (technologische Infrastruktur), Industry Verticals (branchenspezifische Lösungen) und Enterprise Functions (unternehmensweite Querschnittsfunktionen).

Fokus auf Industrie bleibt
Eine Konstante seit 2017: „50 % der Firmen sich auf eine spezielle Industrie oder einen Sektor spezialisiert haben“, betont Wasner. Österreich war damit schon vor dem GenAI-Boom ein Ausreißer. Die Erklärung: Der heimische Markt ist klein, eine Spezialisierung auf Branchen wie Produktion, Life Science, Pharma oder Agritech ermöglicht schnellere Internationalisierung bei geringerem Risiko. Das zeigt sich auch in der niedrigen Startup-Mortalität – bis zum Gen-AI-Boom gab es „de facto keinen“ Schwund, wie Wasner feststellte.
Core Tech macht mittlerweile ein Viertel der Companies aus – ein deutlicher Anstieg. „Mittlerweile ist es so, dass im Bereich Core oder Horizontal AI Tech wirklich ein Sammelsurium an Unternehmen entstanden ist“, erklärt Wasner. Die Analogie: Ähnlich wie beim Aufbau von Cloud-Infrastruktur vor 10 bis 15 Jahren entsteht jetzt ein vollständiger GenAI-Stack mit spezialisierten Anbietern für jeden Layer.
Wien dominiert mit 65 Prozent
Die geografische Konzentration verschärft sich. Wien startete 2017 bei 40 bis 45 Prozent, knackte während Corona die 50-Prozent-Marke, erreichte vor zwei Jahren 60 Prozent und steuert nun auf 65 Prozent zu. „Es würde mich nicht wundern, wenn wir in zwei Jahren bei 70% stehen“, prognostiziert Wasner. Auf den Plätzen zwei und drei wechseln sich konstant Oberösterreich und die Steiermark ab – beide Bundesländer mit starker F&E-Quote. Die Steiermark führte lange die OECD-Statistik mit 5,2 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung an, Oberösterreich liegt bei 3 bis 4 Prozent.
Interessant: Die steirische AI-Szene konzentriert sich nicht primär auf Industrial, sondern stark auf Life Science, Health und Medtech. „Die bekannteste Firma ist da wahrscheinlich die Innophore, die sogar bei NVIDIA-Keynotes gefeatured wird“, so Wasner.
Top 5 Funding Rounds: Emmi AI und Enspired führen
Die größten Finanzierungsrunden 2025 zeigen ein gemischtes Bild. Enspired sicherte sich eine Series B+ über 15 Millionen Euro, Emmi AI sammelte ebenfalls 15 Millionen in einer bemerkenswert großen Seed-Runde ein – möglicherweise die größte Seed-Runde Österreichs oder gar Europas. Chatlyn folgt mit 8 Millionen Euro (Series A), Xund mit 6 Millionen Euro (Pre-Series A) und DaphOS mit 5 Millionen Euro (Seed).
Wasner sieht bei Emmi AI enormes Potenzial: „Emmi AI ist für mich sowas wie das Autodesk des 21. Jahrhunderts.“ Der AI-basierte Ansatz für Engineering und Konstruktion könnte etablierte Player wie Autodesk oder Dassault Systèmes herausfordern. „Ich glaube, die können 2026 sicher 50 Millionen plus raisen“, spekuliert Steinschaden.
Auffällig: Viele Startups setzen auf kleinere Runden oder Bootstrapping. „Es gibt einige, Runden um die 500.000 Euro. Oft haben Startups bewusst unter einer Million geraised“, erklärt Wasner. Gen AI ermögliche schnellere Produktentwicklung mit kleineren Teams – und hätten damit weniger Bedarf für Fremdfinanzierung.
Der Gen-AI-Umbruch: Reset-Knopf gedrückt
„Der Reset-Knopf wurde gedrückt“, fasst Wasner die Situation zusammen. Die alte Machine-Learning-Welt bricht weg, Gen AI schafft neue Möglichkeiten. „Das sind wirklich andere Terminologie, andere Technik, andere Founder, die da involviert sind.“ Der Vergleich mit dem Software-as-a-Service-Boom Anfang der 2010er Jahre drängt sich auf – damals entstanden in Wien Firmen wie PSPDFKit oder Fastlane (später von Twitter gekauft).
Andrew Karpathy, ehemaliger Head of AI bei Tesla, verglich den Gen-AI-Stack mit dem PC-Stack: Large Language Models funktionieren wie Prozessoren, spezialisierte Modelle wie Co-Prozessoren. Alles, was früher Motherboard, Bussystem oder Speicher war, findet sich nun im übertragenen Sinne bei Core und Horizontal AI Tech wieder. „Das ist wirklich eine Explosion an Services, die gerade passiert“, so Wasner.
M&A-Aktivität überschaubar
Bei Exits und M&A-Deals herrscht Überschaubarkeit. Wasner zählt drei bis vier Transaktionen 2025: Finmatics ging für über etwa 100 Millionen Euro an die norwegische Visma-Gruppe, Detekt (ein Spin-off von enliteAI) an die niederländische Cyclomedia, 7Lytix an Keba. Powerbot wurde Ende 2024 an die norwegische Volue verkauft – ebenfalls ein dreistelliger Millionen-Deal, der aber bereits am 19. Dezember 2024 angekündigt wurde und damit statistisch ins Vorjahr fällt.
„Mag sein, dass es noch ein paar mehr Deals gibt, es sind aber sicher nicht 10 oder gar mehr“, stellt Wasner nüchtern fest. Die Exit-Pipeline bleibt dünn, was auch mit der Struktur des Ökosystems zusammenhängt: Viele Firmen sind bootstrapped, profitabel und nicht auf einen schnellen Exit angewiesen.
Open Source und Data Sovereignty als Businessmodell
Ein weiteres Key Finding der Landscape 2025: „Tech und Data Sovereignty etablieren sich als Business Models.“ Wasner beobachtet einen Wandel in der Wahrnehmung. Während Trustworthy AI nach dem ersten AI-Act-Entwurf 2021 eine Welle von Startups hervorbrachte, die sich aber kaum monetarisieren ließen, wird Souveränität heute aus wirtschaftlichen Gründen relevant.
„In Amerika wird Sovereignty und Open Source komplett aus dem wirtschaftlichen Blickpunkt betrachtet“, erklärt Wasner. Unternehmen von JP Morgan bis Salesforce rechnen vor, wie viel sie durch eigene Coding-Modelle statt externer APIs sparen – oft 60 Millionen Dollar pro Jahr und mehr. In Europa und Österreich dominiert noch die Datenschutz-Perspektive, doch die ökonomische Argumentation setzt sich durch.
Die Uni Graz zeige etwa mit MyGPT für 30.000 Studierende, dass lokale Inference-Lösungen machbar sind. „Für jede börsennotierte Company in Österreich geht das auf jeden Fall“, ist Wasner überzeugt. Die versteckten Kosten von AI-Tools werden erst sichtbar, wenn die VC-Subventionen enden – ähnlich wie bei Ride-Sharing, wo die 5-Euro-Fahrt durch Wien heute 15 Euro kostet.
Bubble? Nicht in Österreich
„Bubble not in Austria“ steht prominent auf der Folie – bewusst provokant. Wasner sieht keine Bubble-Babies wie zu Dotcom-Zeiten (Yline, Libro Online). „Es ist wirklich keine einzige Firma dabei, wo man denken wird, da haben jetzt die Founder einen Trottel gefunden, der Geld für eine total wahnsinnige Idee hergibt.“
Stattdessen dominieren kleinere, fokussierte Teams, die schnell profitabel werden. Das bringt Stabilität, birgt aber auch Herausforderungen: Viele VC-backed Startups aus der Pre-Gen-AI-Ära hingegen kämpften mit obsoleter Technologie und mehrstelligen Millionen-Verlusten. „Wir werden sehr starken Konsolidierungsdruck sehen“, prognostiziert Wasner. VCs werden den Stecker ziehen, wenn Firmen nicht mehr gegen neue, schlanke Gen-AI-Teams konkurrieren können.
Förderungen hinken hinterher
Ein typisch österreichisches Thema zum Schluss: Förderinstitutionen wie FFG, Austria Wirtschaftsservice oder Wirtschaftsagentur Wien haben laut Wasner den Paradigmenwechsel noch nicht vollständig erfasst. Die klassischen Förder-Calls rechnen mit Leitprojekten und größeren Teams. „Das trifft halt alles zusammen nicht mehr zu“, wenn Bootstrapped-Startups nur 50.000 Euro statt 500.000 Euro anfragen. Wasner erwartet neue Förderprogramme, die der Realität kleiner, effizienter Gen-AI-Teams Rechnung tragen.
Verfügbarkeit und Lizenz
Die AI Landscape Austria 2025 ist ab sofort unter AI-Landscape.at verfügbar, wie immer unter Creative Commons 4.0 Lizenz. „No Taxpayers Euro was harmed for the creation of this graphic“, betont Wasner – ein Running Gag, der die Frage nach Förderungen vorwegnimmt. Die Landscape entsteht seit 2017 durch Einmeldungen von Firmen und wird von Wasner und seinem Team kuratiert. Die weiteren Teile (Early Adopters, Dienstleister, Ökosystem) folgen Anfang 2026.

























