Gastbeitrag

Automations-Rakete: Wenn der Bot zündet, aber der Business Case nicht

Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview

Markus Kirchmaier ist Prokurist & Partner bei LEAN-CODERS und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem IT-Arbeitsmarkt sowie modernen IT-Systemen und technologischen Entwicklungen. In seiner wöchentlichen Gastbeitragsreihe Future{hacks} behandelt er aktuelle Themen rund um IT. 

Mittwoch, 10:12 Uhr. Auf der Pitch-Folie blinkt „Bot-ROI: minus 40 % Kosten“.

Klingt verlockend, bis man den Prozess dahinter entfaltet: Zwölf Vorgänge pro Monat, Daten reisen per Excel-Anhang, die Freigabe klebt als Post-it am Bildschirm. Einen Bot darauf loszulassen wäre, als würde man einen Turbo an ein Klapprad schrauben; technisch machbar, praktisch Unsinn. Darum gehört an den Anfang jeder Automation nicht die Frage “kann man?”, sondern “(warum) sollte man?”.

Reicht das Volumen als Schub, sind die Regeln betonfest, taugen die Daten als Treibstoff? Erst wenn alle drei Ampeln grün leuchten, darf die Automatisierungs-Rakete zünden. Bleibt ein Licht rot, spart man am meisten, indem der Bot gar nicht erst startet.

Trend-Snapshot

Laut Deloitte Global Intelligent Automation Survey 2025 betreiben 53 Prozent der 1.094 befragten Großunternehmen (≥ 1 000 Mitarbeitende in Fertigung, Handel, Finanz) bereits mindestens einen RPA-Bot (Robot Process Automation) im Tagesgeschäft, weitere 27 Prozent pilotieren und nur 20 Prozent planen vorerst nichts. Parallel meldete Microsoft auf der Inspire-Konferenz (Juli 2025) über 230.000 Organisationen mit Copilot Studio an Bord. Die dort gebauten KI-Agenten dürfen inzwischen sogar per WhatsApp ausrollen. Automatisierung ist also Mainstream, doch längst kein Selbstläufer.

Denn die Zahlen klingen zwar nach automatisierter Glückseligkeit, doch was passiert, wenn ein Bot ohne Sicherheitsgurt ins Live-System rauscht?

Praxis-Fail – DPDs Chatbot im Freiflug

Am 20. Januar 2024 ging der frisch gelaunchte AI-Chatbot des Paketdienstes DPD viral, weil er verärgerte Kund:innen beleidigte und Spottverse über das eigene Unternehmen verfasste. Der Thread erreichte binnen 24 Stunden rund 800.000 Aufrufe auf X, der Bot wurde abgeschaltet, Support und PR liefen heiß. Ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Tonalität und Edge-Cases erst „später“ adressiert werden.

Vier klassische Fehlstarts

  • Edge-Cases ausgeblendet – Sonderregeln oder abweichende Formate lassen den Prozess kippen: Menschen springen ein.
  • Mikro-Schritte automatisiert – ein Formular läuft schnell, der Rest bleibt analog: Tempo verpufft an der nächsten Schnittstelle.
  • Datenqualität ignoriert – doppelte Stammsätze oder leere Felder produzieren Fehlentscheidungen: die Korrektur frisst den ROI.
  • Prozess nie entrümpelt – zehn Freigaben, drei Exporte, zwei Silos: Automatisierung beschleunigt bloß das Durcheinander.

Wo Automatisierung glänzt

Sie lohnt sich, wenn drei Ampeln grün leuchten: hohes Volumen, glasklare Regeln, verlässliche Daten. Ein Return on Investment unter zwölf Monaten und mindestens fünfzehn Prozent Qualitäts- oder Speed-Gewinn sind solide Grenzwerte. Bleibt eine Ampel rot, heißt es erst vereinfachen, dann automatisieren.

Positivbeweis: Sappi. Der Papier- und Verpackungshersteller betreibt laut einer UiPath-Fallstudie inzwischen 132 RPA-Bots. Einer davon liest jährlich 12.000 Frachtbestätigungen aus PDF, verbucht sie im ERP und spart rund 600 Arbeitsstunden; europaweit summieren sich alle Automationen auf 13.000 Stunden Ersparnis pro Jahr. Schlanke Regeln, saubere Daten, grünes Licht: messbarer Gewinn.

Regulatorischer Gegenwind

Wer automatisiert, sollte nicht nur den ROI, sondern auch das Gesetzbuch im Blick haben. Der EU-AI-Act ist bereits in Kraft; ab August 2025 greifen jedoch weitere zentrale Bestimmungen, etwa Transparenz- und Governance-Pflichten für Foundation- und Systemic-Risk-Modelle. Verstöße kosten weiterhin bis zu 6 Prozent des Jahresumsatzes.

Bereits seit Januar greift DORA, der Digital Operational Resilience Act – er verpflichtet Banken, Versicherer, Payment-Provider und ihre „kritischen“ IT-Dienstleister zu Melde- und Notfallplänen für jede Automation.

Das revidierte Schweizer Datenschutzgesetz verlangt bei automatisierten Einzelentscheiden mit gravierenden Folgen stets eine menschliche Überprüfung, und die deutsche BaFin stuft RPA-Bots offiziell als auslagerungsähnlich ein: Risikoanalyse, Provider-Kontrolle und Exit-Strategie werden Pflicht. Blind automatisieren kann also nicht nur teuer, sondern auch illegal enden.

Vier Schritte zur klugen Automatisierung

  • Analyse & Abspecken – Prozess vollständig kartieren, Doppelschritte streichen und Medienbrüche schließen und zum Beispiel PDFs, die bisher per Mail kamen, direkt über eine Schnittstelle ins ERP ziehen, statt sie manuell abzutippen.
  • Pilot & Proof of Value – ein enges Teilstück mit hohem Volumen wählen, Bot bauen und nach sechs Wochen Durchsatz, Fehler und Kosten messen.
  • Skalieren & Härtung – bei positivem Business Case ausrollen und Governance einziehen (Versionierung, Monitoring, Kosten-Alerts).
  • Kaffee aufbrühen & Kasse klingeln lassen – der Bot arbeitet und das Team investiert die freigewordene Zeit in Ideen, die wirklich Wert schaffen.

Unser Future{hacks} – Fazit

Automatisierung ist weder Heilsbringer noch Budgetfresser; sie ist ein Werkzeug.

Setzt man sie bei großen Stückzahlen, klaren Regeln und sauberen Daten ein, verwandelt sie Frachtbestätigungen in Gewinn, wie Sappi beweist. Ignoriert man Ausnahmen und Qualität, endet man im Chatbot-Shitstorm à la DPD.

Erst fragen nach dem Sinn, dann dem “wie” und “wann” – so bleibt der Bot eine Effizienz-Rakete, kein Fehlstart mit Kosten-Explosion.

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