Interview

„Man hat es mit Giganten zu tun, die eine Armada von Anwälten beschäftigen“

BWB-Generaldirektor Theodor Thanner. © BWB, Montage Trending Topics
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Uber, Amazon, Facebook, Shpock: In Österreich ist es die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), die sich immer öfter mit kleineren und größeren Digitalunternehmen auseinandersetzen muss – und dann auch entscheiden muss, ob Firmenübernahmen oder Gesetze den fairen Wettbewerb gefährden. Monopole, Kartelle, Absprachen – das sind die Dinge, die die BWB verhindern oder zumindest bestrafen soll.

Doch es gibt auch Gegendruck. Selbst nur mit 45 Mitarbeitern ausgestattet, sieht sich die BWB selbst im Wettbewerb mit digitalmächtigen Unternehmen stehen, die oft und gerne mit einer Armada an Anwälten anrücken. Theodor Thanner, Generaldirektor der BWB, im Interview über die Gefahr der Marktverkleinerung in Krisenzeiten, über das „Lex uber“ und darüber, dass die Unabhängigkeit der Behörde in Gefahr ist.

Trending Topics: Bedingt offenbar durch Corona, sind im Tech- und Digital-Sektor zusehends Firmenübernahmen zu beobachten. Sehen Sie diesen Trend aktuell auch in den gemeldeten Zusammenschlüssen, oder bewegt sich das unter dem Radar der Schwellenwerte?

Theodor Thanner: Auf digitale Firmenübernahmen haben wir ein besonderes Augenmerk. Aus der Erfahrung von früheren Krisen weiß man, dass die Gefahr von Marktverkleinerungen durch Unternehmenskäufe in Krisenzeiten steigt und Märkte schrumpfen. Es ist davon auszugehen, dass verschiedene Märkte generell durch die Corona-Krise nicht verschont bleiben.

In Österreich wurde für die Prüfung von Zusammenschlüssen im Jahr 2018 die sogenannte Transaktionswertschwelle eingeführt. Das heißt Zusammenschlüsse müssen ebenfalls bei der BWB zur Prüfung angemeldet werden, wenn der Transaktionswert 200 Millionen Euro übersteigt. Finanzstarke und marktmächtige Unternehmen wollen mit der Übernahme von aufstrebenden Konkurrenten unter anderem auch den eigenen Wettbewerbsdruck minimieren. Wir als BWB können aber genau diese problematischen Fälle prüfen, ob diese Unternehmenskäufe mit dem Wettbewerb vereinbar sind oder nicht und gegebenenfalls Korrekturmaßnahmen einleiten

Letztes Jahr wurden insgesamt 18 Zusammenschlüsse aufgrund der übersteigenden Transaktionswertschwelle bei der BWB zur Prüfung angemeldet. Der überwiegende Teil betraf Fusionen im Gesundheitsbereich mit 30 Prozent und 15 Prozent im digitalen Bereich. Im Jahr 2021 gab es bisher 6 Anmeldungen.

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2020 hat Ihre Behörde das Gelegenheitsverkehrsgesetz als Innovations-feindlich bezeichnet, danach gab es eine Novelle. Ist das „Lex Uber“, wie es auch genannt wird, nun Innovations-freundlich genug?

Durch die Gesetzesanpassungen können neue digitale Geschäftsmodelle mit den durchgeführten Änderungen im Gelegenheitsverkehrsgesetz ihr Geschäftsmodell weiter betreiben. Das ist positiv zu bewerten. Denn im Wettbewerb gilt immer: “Möge der Bessere oder die Bessere mit dem besten Angebot im Markt gewinnen“. Gerade dieser Markt ist trotz strenger Regulierung von Innovationskraft geprägt und diese sollte durch Gesetze nicht geschmälert werden.

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Amazon, Apple, Google – die Kartellwächter der EU nehmen die großen US-Tech-Unternehmen seit geraumer Zeit ins Visier. Warum gibt es so selten Untersuchungen in Österreich dazu?

Digitale Marktmacht kennt keine Ländergrenzen. So gesehen stellt sich immer die Frage, welche Wettbewerbsbehörde die „best placed authority“ für Ermittlungen ist. Solche großen Fälle erfordern enorme personelle und finanzielle Ressourcen. Die Europäische Kommission hat im Bereich für Wettbewerb 760 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, wohingegen die BWB ca. 45 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hat.

Unternehmen brauchen rasche Klarheit. Wir haben gegen Amazon Ermittlungen durchgeführt. Amazon wurde vorgeworfen, sich gegenüber Händlern auf der Online-Verkaufsplattform unfair zu verhalten; in etwa durch plötzlich und unbegründete Kontosperren, das Einbehalten von Guthaben gesperrter Marktplatzhändler und anderen vertraglichen unfairen Geschäftsbedingungen.

Die Ermittlungen begannen im Februar 2019 und konnten im Juli 2019 mit einem positiven Ergebnis für die Händler und Händlerinnen beendet werden, da die Verhaltensweisen von Amazon eingestellt und die Geschäftsbedingungen geändert wurden. Das Ziel sollte sein, dass betroffenen Unternehmen rasch geholfen wird.

Die BWB prüft derzeit die Übernahme von Giphy durch Facebook. Die GIF-Plattform erscheint neben Instagram und WhatsApp als eher unwichtig. Warum wird der Giphy-Kauf untersucht, während die anderen Zukäufe mit großen Folgen am Markt nicht geprüft wurden?

Ab einer gewissen Umsatzschwelle werden Zusammenschlüsse nicht bei der BWB, sondern bei der Europäischen Kommission angemeldet. Der Facebook/WhatsApp-Deal wurde damals daher nicht von der BWB, sondern von der Europäischen Kommission geprüft.

In Österreich müssen Fusionen ab bestimmten Umsatzschwellen oder ab der erwähnten Transaktionsschwelle von 200 Millionen Euro angemeldet werden um diese auf negative Folgen für den Wettbewerb und somit für andere Unternehmen oder Konsumenten und Konsumentinnen überprüfen zu können. Erst nach dieser Überprüfung können Unternehmenskäufe durchgeführt werden. Der Facebook/Giphy Deal wurde bei der BWB nicht angemelde,t obwohl die Transaktionswertschwelle überschritten wurde.

Hier geht es konkret um die Anmeldepflicht von Zusammenschüssen. Sollte sich bestätigen, dass der Deal angemeldet werden hätte müssen, liegt eine sogenannte verbotene Durchführung eines Zusammenschlusses vor. Das Kartellgericht kann auf Grundlage eines Antrages durch die BWB eine Geldbuße von bis zu 10 Prozent des Gesamtumsatzes für diesen Verstoß verhängen.

Facebook kauft Giphy für etwa 400 Millionen Dollar

Der Digital-Markt dreht sich sehr schnell. Müssen Wettbewerbsbehörden heute viel schneller agieren als früher? Kommt man den Entwicklungen überhaupt angemessen nach?

Es ist klar, dass Wettbewerbsbehörden ebenfalls in einer Art Wettbewerb mit digitalmächtigen Unternehmen stehen. Hier bedarf es einer ausreichend fundierten gesetzlichen Grundlage um insbesondere gegen Marktmachtmissbräuche effektiv vorzugehen. Zudem ist eine ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen-Ausstattung enorm wichtig. Denn man hat es hier generell mit Giganten zu tun, die eine Armada von Anwälten bzw. Anwältinnen beschäftigen.

Die BWB nimmt Hinweise durch Whistleblower auf der Webseite entgegen. Ist das der primäre Weg, wie sie an Hinweise gelangen?

Es gibt viele Wege die zur BWB führen. Neben nicht anonymen Beschwerden, melden sich Unternehmen als Kronzeugen die im Rahmen einer Kooperation mit der BWB einer Geldbuße entgehen können. Wir ermitteln bei Verdachtsfällen auch von sich aus. Bis jetzt gab es ca 170 Whistleblowing Beschwerden seit der Einführung 2018. Im Jahr 2021 erhielten wir bereits über 30 Whistleblowing Beschwerden mit steigendem Trend.

Eine Reform des Kartellrechts soll der BWB eine Berichtspflicht ans Wirtschaftsministerium bescheren, die es bisher nicht gab. Gefährdet das die Unabhängigkeit der Behörde?

Bei der Richtlinienumsetzung „ECN+“ geht darum, dass die Wettbewerbsbehörden in ihrer Unabhängigkeit gestärkt werden, um effektiv Ermittlungen gegen Kartelle, Marktmachtmissbräuche und andere negativen Wettbewerbsverzerrungen vorgehen zu können.

Die geplante Berichtspflicht gefährdet die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Wettbewerbsbehörde enorm, da die BWB unverzüglich über all ihre Tätigkeiten auf Ansuchen der Ministerin berichten muss. Das widerspricht auch der europäischen Richtlinie „ECN+“. Das ist ein schwerer Eingriff in die Unabhängigkeit. Das Fragerecht unterliegt keinen Einschränkungen und betrifft in etwa Hausdursuchungen, Informationen über Kartelle, Zusammenschlüsse, auch Informationen über das Whistleblowing-System. Ich kann hier nur auf die Vernunft des Gesetzgebers plädieren und hoffen, dass dieser Missstand unverzüglich repariert wird.

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