Gastbeitrag

Future{hacks}: 22 Wochen gegen den Hype: Jahresrückblick einer skeptischen Kolumne

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Am 16. Juli 2025, Punkt 09:00 Uhr, saßen wir mit Kaffee in der Hand und starrten auf die Uhr. Die erste Future{hacks} sollte jeden Moment live gehen.

Kein großer Knall, kein Launch-Feuerwerk – eher das leise Klicken eines Mechanismus, der ab da jeden Mittwoch greifen sollte. Ein paar Monate später, am 18. November zur Mittagszeit, war es dann plötzlich ganz laut: Fehlseiten in Serie, Statusmeldungen im Minutentakt, prominente Dienste mit roten Lichtern. Cloudflare bestätigte einen internen Konfigurationsfehler. Kein Angriff, trotzdem Stillstand. Zwischen diesen beiden Momenten lag ein halbes Jahr Arbeit an Klarheit:

Was trägt, wenn die Schlagzeilen dröhnen – und was trägt weiter, wenn sie verstummen.

Mit einem weinenden Auge verabschieden wir uns mit diesem Beitrag in eine kreative Winterpause. Mit einem lachenden Auge blicken wir zurück auf 22 Wochen Future{hacks} und versprechen Euch: Wir kommen im neuen Jahr mit neuen Ideen wieder!

Security wurde erwachsen

2025 ist Sicherheit endgültig vom Spezialgebiet zum Vorstandsthema aufgestiegen.

Der Jahresfaden lässt sich an Namen erzählen, die auch außerhalb der Technik sofort ein Bild hervorrufen: WhatsApp mit einer ausgenutzten Schwachstelle, PayPal mit einem öffentlich diskutierten Passwortfall, das Build-Tool Nx Ende August mit manipulierten Veröffentlichungen, und im Herbst mehrere Wellen im npm-Ökosystem, in denen Pakete beim Installieren Zugangsdaten abgriffen. Der spätere Cloudflare-Vorfall zeigte, wie eine vorgeschaltete Schutzschicht gleichzeitig Beschleuniger und Achillesferse sein kann.

Die Lehre ist keine neue Parole, sondern messbares Handwerk: Wie früh sehen wir Anomalien, wie schnell begrenzen wir den Schaden, wie zügig ist der Normalbetrieb wiederhergestellt, und lässt sich jedes Release eindeutig nachvollziehen. Organisationen, die hier Fortschritte machten, spürten es sehr konkret – an ruhigerer Kommunikation, an weniger Überraschungen im Support, an Vertrauenswerten, die schneller zurückkamen.

Architektur schlägt Plattform

Wir haben viel über „die richtige Plattform“ gesprochen, aber 2025 hat vor allem Architektur belohnt.

Data Spaces wanderten aus der Konzeptfolie in den Betrieb: Regeln, Identitäten und Nachweise ermöglichen Zusammenarbeit, ohne dass jemand die Hoheit über eigene Daten verliert. Im Handel war die Bewegung ähnlich. Headless wurde nicht als Etikett verwendet, sondern als Arbeitsweise verstanden: Inhalte und Checkout als robuste Bausteine, die in Website, App und Assistenten konsistent spielen. Das half in einer Zeit, in der Suchseiten immer häufiger bereits eine Antwort ausspielen, bevor jemand klickt. Wer eigene Flächen mit klaren Antworten, Deeplinks und stabiler Performance ausstattete, blieb sichtbar und konvertierte verlässlicher.

Und wieder gewann am Ende die Austauschbarkeit: zweiter DNS-Anbieter vorbereitet, ein alternativer Auslieferweg für statische Inhalte, klare Notpfade für Login, Support und Zahlung. Nicht das Logo auf dem Vertrag entschied, sondern die Fähigkeit, ein Teil zu wechseln, ohne das Produkt zu zerlegen.

Open Source ist Strategie, nicht Statement

Open Source hat seinen Nutzen 2025 nicht in Sprüchen bewiesen, sondern in Abläufen.

Die Lieferkette ist Chefsache geworden: sauber veröffentlichen, bewusst beziehen, Herkunft belegen. Wo dauerhaft gültige Veröffentlichungstokens, heimliche Post-Install-Skripte und Artefakte ohne Nachweis unterwegs waren, entstanden unnötige Risiken.

Die Gegenbewegung ist greifbar. Kurzlebige, granulare Zugänge statt Dauerpässe. Provenance an jedes Release – ein maschinenlesbarer Beleg, welcher Commit, welche Pipeline und welche Umgebung das Artefakt erzeugt hat. Kontrollierter Bezug über einen Registry-Proxy und feste Lockfiles, damit wirklich die geprüften Versionen installiert werden.

Teams, die diesen Dreiklang etablierten, nutzten die Stärke offener Ökosysteme: viele Augen, die schnell entdecken – plus einen eigenen Prozess, der dafür sorgt, dass Entdecktes auch schnell, sicher und nachvollziehbar behoben wird. So wird Open Source zur Strategie.

Die Geschichte des Jahres: als die Schutzschicht stolperte

Der 18. November begann unauffällig.

Gegen Mittag häuften sich 5xx-Fehler, Admin-Oberflächen luden nicht, Ident-Funktionen hingen. Externe Statusseiten meldeten zeitgleich Störungen bei ChatGPT, X, großen Händlern und öffentlichen Stellen. Kurz darauf folgte die Einordnung: Bei Cloudflare war die Generierung einer Konfigurationsdatei für das Bot-Management in den Live-Pfad gerutscht – kein Angriff, sondern Software und Prozess.

Die Timeline war aufschlussreich. Zuerst das diffuse „Es geht nicht“, dann die Verdichtung: gleiche Muster, gleiche Regionen, gleiche vorgeschaltete Schicht. Unternehmen reagierten nach Reifegrad.

  • Wer einen zweiten DNS-Provider eingerichtet und geübt hatte, reduzierte Abhängigkeiten in Minuten.
  • Wer einen alternativen Auslieferweg für statische Seiten pflegte, hielt Status, Hilfe und einfache Prozesse online.
  • Wer Sicherheitsregeln wie Software ausrollte, also erst klein, mit Metriken und automatischem Rücksprung bei Fehlerschwellen, begrenzte den Schaden.
  • Andere improvisierten. Supportteams verlagerten Kommunikation auf Kanäle, die nicht betroffen waren, Social-Updates liefen über Plattformen, die erreichbar blieben, Vertrieb arbeitete mit vorbereiteten Telefonlisten.

Betroffen waren bekannte Namen, aber auch viele, die in den Übersichten nicht auftauchten, weil ihr Problem nicht Sichtbarkeit, sondern Abwicklung hieß. Die Lehre bleibt schlicht: Eine Schicht darf ausfallen, selbst wenn sie exzellent ist. Resilienz entsteht nicht durch Vertrauen in Versprechen, sondern durch geübte Ausweichwege. Architektur, die in ruhigen Zeiten ein paar Prozent Aufwand kostet, spart im Ereignisfall Stunden und Reputation.

Drei Kernprinzipien für 2026 – verdichtet und belegbar

Regeln sind Releases. Sicherheitsregeln, WAF-Profile und Bot-Filter gehen wie Software live.

Erst auf kleinem Traffic-Anteil, Telemetrie beobachten, automatischer Rollback, dann erst global. 2025 zeigte, wie ein einzelnes Regelpaket weltweit Wellen schlagen kann; wer Progressive-Delivery auch für Security nutzt, begrenzt den Radius. Maßstab ist simpel: Anteil der Änderungen, die in gestuften Batches ausgerollt werden. Handlung: Feature-Flags und kleine Rollout-Fenster auch für Sicherheitskonfigurationen etablieren – und den Rücksprung wöchentlich testen.

Herkunft schlägt Behauptung. Ein Release ist erst dann vertrauenswürdig, wenn seine Herkunft überprüfbar ist. 2025 haben die npm-Wellen und der Nx-Fall demonstriert, wie verwundbar dauerhafte Tokens sind und wie schnell Community-Audits helfen, wenn Provenance vorhanden ist. Maßstab: Anteil der Releases mit signierten Artefakten und vollständigem Provenance-Beleg über die letzten 30 Tage. Handlung: OIDC-basiertes Trusted Publishing einführen, Signaturen standardisieren, Veröffentlichungen ohne Provenance nicht mehr zulassen.

Austauschbarkeit ist Verfügbarkeit. Verfügbarkeit gewinnt, wer Bauteile tauschen kann. Der Cloudflare-Tag hat gezeigt, dass zweiter DNS-Provider, alternativer CDN-Pfad und klar dokumentierte Notpfade keine Kür sind. Maßstab: Zeit bis zur Umschaltung im Quartalsdrill – vom Auslösen bis zur stabilen Erreichbarkeit. Handlung: Failover pro Quartal simulieren, dokumentieren, Zielzeiten senken und die wenigen Menschen benennen, die schalten dürfen.

Was uns überrascht hat

Wir hatten erwartet, dass generative Antworten in der Suche rasch zu spürbaren Conversion-Verlusten führen.

Die breitere Beobachtung über das Jahr fiel differenzierter aus. Zwar sank der Anteil der Klicks auf klassische Trefferseiten; gleichzeitig stabilisierten sich Abschlüsse dort, wo Produktseiten klare, aktuelle Antworten lieferten, Deeplinks den direkten Weg in App oder Prozess öffneten und die Reibung in Formularen sank.

Überraschend war auch, wie schnell offene Communities bei Lieferkettenproblemen reagierten. Beim Nx-Vorfall dauerte es Stunden, bis kompromittierte Versionen zurückgezogen, Dokumente überarbeitet und Veröffentlichungswege umgestellt waren.

Die Lehre aus beidem: Sichtbarkeit verlagert sich, aber Wirkung bleibt möglich – wenn Inhalte präzise sind und Wege kurz. Und Offenheit bleibt ein Geschwindigkeitsvorteil, wenn der eigene Prozess hält.

Ein mutiger Ausblick auf 2026

Wir rechnen damit, dass Antworten auf Trefferseiten noch präsenter werden und klassische Einstiege weiter zurückgehen.

Wer Inhalte in überprüfbare Bausteine zerlegt, mit Datum, Quelle und Deeplinks, wird dennoch stabil performen – nicht, weil mehr Menschen klicken, sondern weil mehr von denen, die kommen, ankommen.

Wir erwarten außerdem, dass mindestens ein großer europäischer Sektor Herkunftsnachweise für Releases explizit in Audits verlangt. Und wir halten an einer unbequemen These fest: Ohne geübte Ausweichwege bleibt Verfügbarkeit ein Zufallsprodukt. Ein zweiter DNS-Anbieter, ein alternativer Auslieferpfad und ein dokumentierter Notbetrieb entscheiden in einer Stunde mehr über Umsatz als viele Kampagnen in einem Quartal.

Unser Future{hacks} Fazit

Was wir aus 22 Kolumnen gelernt haben, ist weniger spektakulär als belastbar.

Sicherheit ist heute die Kunst, schneller richtig zu reagieren, nicht nur härter zu verhindern. Gute Architektur ist die Fähigkeit, Teile zu wechseln, ohne den Betrieb zu verlieren. Open Source ist die Lösung und wirkt besonders gut, wenn Veröffentlichungen überprüfbar und Bezüge kontrolliert sind.

Wer das zusammen nimmt, arbeitet leiser, liefert schneller und kommuniziert klarer – besonders dann, wenn es wackelt.

Wir bleiben dran!
Wir freuen uns auf Euch!
2026 – wir kommen!

Euer Future{hacks} Team

Markus Kirchmaier ist Prokurist & Partner bei LEAN-CODERS und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem IT-Arbeitsmarkt sowie modernen IT-Systemen und technologischen Entwicklungen. Hier geht es zu den anderen Beiträgen aus der Future{hacks}-Reihe.

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