Gastbeitrag

Future{hacks}: Growth à la carte: Vertical Signature Dish oder Horizont-All-You-Can-Eat

Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview

Markus Kirchmaier ist Prokurist & Partner bei LEAN-CODERS und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem IT-Arbeitsmarkt sowie modernen IT-Systemen und technologischen Entwicklungen.

Wir zeigen, wann branchentiefer Fokus mit gezielt ausgewählten Features Rendite liefert – und prüfen, ob breit gestreute Ausbaupläne das erhoffte Wachstum überhaupt bringen.

Ein breites Produktportfolio wirkt zunächst wie ein Garant für weltweite Schlagkraft. Mehrere Standbeine sollen Stabilität in der schnelllebigen Tech-Welt schaffen. Doch wenn diese Pfeiler nicht tragfähig sind, stürzen sie das ganze Gebäude ein. Die zentrale Frage lautet daher nicht „Können wir alles?“, sondern „Warum gerade das?“. Nur wenn Marktbedarf, klarer Nutzen und ausreichende Ressourcen zusammenkommen, gehört ein neues Produkt auf die Karte.

Aktuelle Lage

Der Bessemer Cloud Index Q2 2025 zeigt, dass 62 Prozent aller neuen Cloud Unicorns Vertical SaaS sind, also Anbieter, die sich tief auf eine Branche konzentrieren. Breiter aufgestellte Plattformen (horizontal) wachsen langsamer. Werfen wir einen genaueren Blick darauf, wieso und wo welche strategische Ausrichtung Sinn macht.

Horizontal Growth – viel Markt, viel Reibung

Ein größerer Markt verspricht volle Auftragsbücher und klingelnde Kassen, doch jede zusätzliche Branche verlangt eigene Genehmigungen, Datenstandards, Botschaften und Spezialteams. Der damit verbundene Aufwand wird dabei regelmäßig unterschätzt, wie man an folgenden Beispielen gut sehen kann:

Unity erweiterte in den letzten Jahren sein sehr gutes Game-Engine-Kernprodukt um Film-Effekte, Digital-Zwillinge und In-Game-Ads. Ein Versuch wirtschaftlich wieder auf einen besseren Kurs zu kommen, Jänner 2024 mussten knapp 25% der Angestellten entlassen werden. 2025 kündigte das Unternehmen eine Änderung der Gebührenstruktur mit einer geplanten Run-Time Gebühr an. Das Ergebnis war ein Aufschrei der Gaming-Branche, 30 Prozent der Studios drohten mit Abwanderung. Das Vertrauen in Unity sinkt weiter und die bereits sehr starke Konkurrenz profitiert davon.

Groupon erlebte ein ähnliches Schicksal. Aus simplen Stadtgutscheinen wurde im Expansionsrausch ein Sammelsurium aus E-Commerce, Reiseportalen und Kassensoftware. Der neue CEO Dušan Šenkypl zieht jetzt die Reißleine, verkauft alle Nebengeschäfte und richtet den Blick wieder auf das Kerngeschäft mit hyperlokalen Deals. Ein Refinanzierungs­paket über 244 Millionen Dollar senkte die Zinslast, Local-Billing in Nordamerika wuchs im ersten Quartal 2025 um elf Prozent, der Kurs legte danach kurzfristig um 30 Prozent zu. Ein solides Comeback.

Beide Fälle zeigen, dass horizontale Expansion die Kosten treibt und den strategischen Fokus verwässert. Kann man machen, es gibt aber sehr viele Punkte zu beachten, um es erfolgreich umzusetzen.

Vertical Growth – Wie tief kannst du gehen?

Weniger Zielgruppen bedeuten klarere Prozesse. Branchenwissen senkt den Customer Acquisition Cost (CAC) und steigert den Average Revenue per User (ARPU) laut OpenView 2025 im Schnitt um 25 Prozent gegenüber horizontalen Angeboten. „Weniger“ heißt dabei nicht immer „kleiner“: Durch Globalisierung und digitale Direktansprache erreicht ein vertikal fokussierter Anbieter heute Millionen Nutzer weltweit, ohne sein Modell aufweichen zu müssen. Ein Paradebeispiel dafür ist Figma.

Figma blieb beim kollaborativen UI-Design. Browser-Canvas, Echtzeit-Multiplayer, Dev-Hand-off, keine Seiten­sprünge in CRM oder Office-Pakete. 2022 wollte Adobe für 20 Milliarden Dollar Figma übernehmen, der Deal scheiterte jedoch am Widerstand der EU-Kommission und der britischen Wettbewerbsaufsichtsbehörde. Am 31. Juli 2025 folgte der eigenständige Börsengang. Ausgabe­preis 37 Dollar, erster Kurs 52 Dollar, Börsenwert sofort 32 Milliarden Dollar, Tagesendkurs 115,50 Dollar. Laut Unterlagen stieg der Umsatz 2024 auf rund 700 Millionen Dollar, die wiederkehrenden Jahres­erträge sollen 2025 erstmals die Milliarde übertreffen. Aktuelle Roadmap-Erweiterungen – etwa AI-Layout und Code-Hints (intelligente Vorschläge, die während der Programmierung eingeblendet werden) – vertiefen den Design-Flow, statt neue Märkte aufzumachen. Ein klarer Beweis, dass vertikaler Fokus Skalierung nicht begrenzt, sondern befeuert.

Erweiterung Tech-Treibstoff oder Tech-Ballast

Für die Erweiterung von Services werden oft composable APIs eingesetzt. Sie wirken wie modulare Bausteine: Zahlungen, Messaging, KI-Services lassen sich andocken, ohne den Kern neu zu schreiben. Doch jeder Anschluss fügt Latenz, Datensilos und Compliance-Pflichten hinzu. OpenView meldet 2025, dass 73 Prozent der wachstums­starken SaaS-Firmen das API-Tempo feiern, aber 25 Prozent höhere Wartungs­kosten tragen, sobald eine zweite Branche integriert wird. Die technische Umsetzung sollte daher immer vorab gründlich durchdacht und kalkuliert werden.

Bevor ein Unternehmen den Kurs auf vertikale oder horizontale Expansion setzt, sollte es – ergänzend zu den grundlegenden Positionierungsfragen – die folgenden Punkte gründlich hinterfragen. Die Aufzählung ist bewusst nicht abschließend und dient als Denkanstoß, nicht als endgültiger Katalog:

• Wie verändern sich CAC, ARPU und Payback-Zeit bei einer zusätzlichen Branche?
• Welche Up- oder Cross-Sell-Möglichkeiten entstehen vertikal vs. horizontal?
• Teilen die Zielsegmente eine 70 %-Basis an Funktionen oder würde jeder Markt einen eigenen „Flavor“ verlangen?
• Reicht ein einheitliches Datenmodell oder bräuchten wir pro Branche neue Schemas, Integrationen und Compliance-Layer?
• Können bestehende Microservices eine zweite Branche tragen, ohne Wartungskosten zu sprengen?
• Welche zusätzlichen Zertifizierungen oder Bestimmungen (z. B. PSD3, HIPAA, ISO 27 001) löst eine horizontale Ausweitung aus?
• Wie tolerierbar ist der Cash-Burn, falls ein neues Segment länger zum Break-Even braucht?

Muss sich das Produkt-Universum endlos ausdehnen?

Manche Märkte belohnen eine gepflegte Umsatz-Plateauphase stärker als kostenintensives Wachstum, weil stabile Cashflows die Marge schützen und Krisenreserven aufbauen. Wenn Kundenzufriedenheit hoch ist und der adressierbare Markt weitgehend ausgeschöpft, bewahrt eine kontrollierte Stagnation das Markenversprechen, statt es durch hektische Diversifizierung zu verwässern. Zudem verschafft sie dem Team Zeit, Prozesse zu optimieren und Kapital für den nächsten echten Innovationssprung zu sammeln, statt Ressourcen in halbgare Experimente zu versenken.

Unser Future{hacks} – Fazit

Wenn Expansion zum strategischen Plan gehört, ist ein perfekt ausgeführtes Signature-Dish immer wertvoller als ein lauwarmes All-You-Can-Eat-Buffet. Unity und Groupon zeigen, wie rasch horizontale Vorstöße Kosten explodieren lassen und den Überblick verderben. Das Beispiel von Figma dagegen belegt, dass tiefer Branchenfokus mit wohldosierter KI selbst nach einem geplatzten Milliardendeal zur Spitzenbewertung führen kann. Wachstum passiert nur, wenn das Rezept stimmt.

Hier geht es zu den anderen Beiträgen aus der Future{hacks}-Reihe.

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