„KI-Agenten bauen oft schneller Prototypen, als wir eine Präsentation erstellen“

Software-Entwickler, Journalisten, Anwälte, ja sogar Minister: Kaum ein Berufsbild scheint derzeit vor einer Disruption durch AI gefeit. Dieser Imbruch macht selbst vor denen nicht Halt, die die derzeit vorherrschenden KI-Modelle entwickeln – unter anderem auch Gemini bei Google.
Oriol Vinyals, Co-Technical Lead for Gemini und Research VP bei Google DeepMind, beleuchtete auf der TEDAI-Konferenz in Wien die sich wandelnde Rolle der Wissenschaft im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und präsentierte aktuelle Entwicklungen bei Gemini. „Ich sehe unsere Aufgabe als Wissenschaftler im Wandel. Anstatt jedes einzelne Experiment selbst durchzuführen, werden wir uns künftig darauf konzentrieren, die richtigen Fragen zu stellen.“
Das Builder’s Dilemma
Vinyals stellte eine zentrale Frage der AI-Forschung vor, die er als „Builder’s Dilemma“ bezeichnet: Schaffen sich AI-Forscher durch die Entwicklung immer leistungsfähigerer Systeme letztendlich selbst ab? Diese Frage sei besonders dringlich geworden, da Modelle wie Gemini mittlerweile komplexe Aufgaben wie das Schreiben juristischer Argumentationen oder die Entwicklung von Videospielen bewältigen können.
AI-Wissenschaftler befinden sich in der besonderen Situation, Maschinen die gleichen Regeln, Logik und Intuition beibringen zu müssen, die sie selbst für den wissenschaftlichen Fortschritt nutzen. Dabei setzen sie AI bereits zur Beschleunigung der AI-Forschung selbst ein.
„Wir haben festgestellt, dass es oft erheblich schneller ist, einen Agenten einen funktionsfähigen Prototyp erstellen zu lassen, als eine aufwendige Präsentation zu erstellen“, sagte Vinyals.
Die Zukunft der AI-Forschung
Vinyals Antwort auf das Builder’s Dilemma fällt optimistisch aus. Er sieht die Rolle von AI-Wissenschaftlern nicht bedroht, sondern im Wandel begriffen. Während ein Berkeley-Professor ihm einst sagte, 90% einer Promotion bestünden darin, die richtige Frage zu stellen, sieht er genau darin die bleibende Aufgabe der Forscher. Statt jeden einzelnen Versuch selbst durchzuführen, würden sich Wissenschaftler darauf konzentrieren, die richtigen Fragen zu stellen, um die Wissenschaft voranzubringen und der Menschheit zu nutzen.
Die Entwicklung leistungsfähigerer AI-Systeme werde außerdem die Eintrittsbarrieren senken und Wissenschaft für mehr Menschen zugänglich machen. Durch menschliche Neugier, kreative Ideen und große Fragen könnten alle den Kurs für eine neue Ära der Entdeckungen mitbestimmen.
Fortschritte bei Gemini
Vinyals präsentierte beeindruckende Beispiele für die jüngsten Entwicklungen bei Gemini. Während frühere Systeme wie AlphaFold hochspezialisiert waren und nur spezifische Probleme wie die Proteinfaltung lösen konnten, repräsentiert Gemini den Sprung zu einem universelleren System.
Bei der Internationalen Mathematik-Olympiade erzielte eine erweiterte Version von Gemini namens „DeepThinking“ eine Goldmedaille. Das System löste Probleme in natürlicher Sprache mit vollständigen Beweisen und gewann auch bei der ICPC-Programmierwettbewerb eine Goldmedaille. Bemerkenswert ist, dass es sich um dasselbe System handelt, das unter gemini.google.com öffentlich zugänglich ist.
Der AI-Wissenschaftler in der Praxis
Ein besonders interessanter Aspekt ist Vinyals‘ Beschreibung der praktischen Auswirkungen auf die tägliche Forschungsarbeit. Sein Team entdeckte, dass es „oft deutlich schneller ist, einen Agenten einen funktionsfähigen Prototyp erstellen zu lassen, als eine aufwendige Präsentation zu erstellen“, um das Team von einer Idee zu überzeugen.
Google DeepMind experimentiert bereits mit einem internen AI-Wissenschaftler namens „Eiji“, der wissenschaftliche Paper lesen, deren Inhalt verstehen und anschließend neue Ideen generieren und testen kann. Bei einem Experiment wurde das System beauftragt, ein Protein-Kontrollsystem von Grund auf zu entwickeln – praktisch AlphaFold in Stunden statt Jahren neu zu erschaffen. Obwohl dies noch nicht vollständig gelungen ist, sieht Vinyals die Entwicklungsrichtung als klar definiert an.
Die Vision eines vollständigen AI-Wissenschaftlers umfasst ein System, das unabhängig Hypothesen formulieren, Experimente entwerfen und durchführen, Daten analysieren und Schlussfolgerungen ziehen kann – mit vollständigem Zugang zur digitalen Welt, zu Computern, Rechenzentren und dem Internet.