Deep Dive: So tickt Lettlands Startup-Welt

Lettland mag zwar mit seinen knapp zwei Millionen Einwohner:innen zu den kleineren Ländern Europas zählen, doch seine Innovationskraft kann auch im europäischen Raum beeindrucken. Besonders die Hauptstadt Riga hat sich in den letzten Jahren zu einem dynamischen Zentrum für Startups entwickelt, das mit Kreativität, technologischem Know-how und internationaler Vernetzung beeindruckt.
Trotz ihrer überschaubaren Größe bietet die lettische Startup-Szene eine bemerkenswerte Vielfalt an jungen Unternehmen, die mit frischen Ideen globale Märkte erobern wollen. Trending Topics hat im Zuge einer Medientour, organisiert von der lokalen Agentur TrueSix, einen Einblick in das Startup-Ökosystem von Riga erhalten.
Lettland gibt sich “Smart, Digital, Green”
Die lettischen Startups zeigen zwar viel Diversität, doch sie verbindet vor allem eine Gemeinsamkeit: Der Großteil von ihnen war von Anfang an auf einen internationalen Auftritt fokussiert. “Wir sind ein kleines Land, weswegen es sehr wichtig ist, dass wir einen internationalen Zugang haben. Lettland verfügt über eine Innovationsszene, die von Kreativität, Geschäftsfreundlichkeit und einem leichten Zugang zum europäischen Markt geprägt ist. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung spricht Englisch und unsere Founder wissen, dass sie nur wachsen können, wenn sie über unsere Landesgrenzen hinaus denken”, erklärte Agnese Oļševska, Deputy Director for Innovation bei der LIAA, der lettischen Agentur für Investitionen und Entwicklung.
Um sich international profilieren zu können, setzt Lettland im Bereich Innovation auf die Grundprinzipien “Smart, Digital, Green”. Laut der LIAA sind viele öffentliche Dienste digital. Große Schwerpunkte in der Landespolitik sind auch smarte Energie und Biomedizin. Ebenfalls wichtig geworden ist für das EU- und NATO-Mitglied seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs auch DefenseTech.
„Vielfältige und innovative Startup-Szene“
“In diesem Biotop ist eine vielfältige und innovative Startup-Szene entstanden. Ende 2024 zählten wir insgesamt 513 Jungfirmen”, so Oļševska. Das größte Vertical ist dieser Tage wie in vielen anderen Ländern AI. Auch stark vertreten sind die Bereiche DeepTech, HealthTech, Fintech und IoT. Lettische Startups haben auch bereits hohe Mengen an Wachstumskapital eingesammelt.
Mit Printful hat Lettland im Jahr 2021 sein erstes Unicorn erhalten. Das Scale-up ist ein sogenannter Print-on-Demand-Anbieter, der es Kund:innen erlaubt, bedruckte Produkte für den Online-Handel zu erstellen. Im vergangenen Jahr vollzog Printful einen Merger mit seinem größten Rivalen Printify.
Auch ein DeepTech-Unicorn könnte Lettland in Zukunft erhalten, denn die Jungfirma Aerones ist auf einem guten Weg zu einer Milliarden-Bewertung. Erst vor kurzem hat das Scale-up, das die Wartung von Windturbinen revolutionieren will, in einer Finanzierungsrunde 62 Millionen Dollar eingesammelt.

TestDevLab ist internationaler Softwaretest-Champion
Ein weiteres Unternehmen, das zwar schon seit fast 15 Jahren besteht, aber immer noch vom Startup-Spirit erfüllt ist, ist TestDevLab, das wir bei der Medientour besuchen konnten. Diese Firma hat sich auf Qualitätsprüfungen für Software spezialisiert. TestDevLab führt verschiedene Stresstests durch, die dafür sorgen, dass alle Funktionen einer Software einwandfrei funktionieren. Die beiden Founder, Andrejs Frišfelds und Ervins Grīnfelds, waren zuvor beide bei Skype tätig. Skype zählte auch zu den ersten Kunden des Unternehmens, nachdem dieses im Jahr 2011 an den Start gegangen war. Die beiden Gründer hatten aufgrund ihrer vorherigen Arbeit bereits starke internationale Kontakte, was sich bis heute auf das Vorgehen von TestDevLab auswirkt.
“Wir hatten immer schon einen internationalen Zugang. Zum Beispiel bieten wir Kurse für Unternehmen an, die vor allem remote und auf Englisch ablaufen. Vertreter:innen von Softwareunternehmen aus der ganzen Welt nehmen an ihnen teil”, erklärte Josh Griffiths, Digital Marketing Manager von TestDevLab, bei unserem Besuch. Ihm zufolge ist das Unternehmen zwar schon über seinen Status als Jungunternehmen hinausgewachsen, jedoch ist der Startup-Geist immer noch da.
“Wir haben immer noch die Mentalität eines Startups und beschäftigen ein sehr junges Team. Viele unserer Kunden sind darüber hinaus Startups. Sie wissen, dass wir ihre Herausforderungen und Sorgen verstehen”, so Griffiths. Auch bemerkenswert an TestDevLab ist, dass sich das Unternehmen bis heute durch Bootstrapping finanziert.

Das Startup House Riga und seine Jungfirmen
Doch auch in den letzten Jahren haben in Riga viele spannende Startups ihr Debüt hingelegt. Viele davon kann man im Startup House antreffen, einem Coworking- und Eventspace im Herzen der Stadt. Mitgegründet hat die Institution Janis Berdigans, Mitgründer von Printify. Wir durften einige der dort beheimateten Jungfirmen kennenlernen.
RivalSense
Eines dieser Jungunternehmen ist RivalSense. Diese Jungfirma bietet ihren Kund:innen einen Überblick über die Aktivitäten von bestimmten Unternehmen. Das soll ihnen unter anderem wichtige Informationen über die Konkurrenz bieten. Die AI der Jungfirma verbindet sich mit mehr als 80 Quellen, um tiefe Einblicke in Firmen in Bereichen wie Cyber, AI, Hardware, Gesundheitswesen, Biotechnologie, Unternehmenssoftware und mehr zu liefern.
Trace.Space
Trace.Space will den Maschinenbau mit AI revolutionieren. Das Startup bietet ein KI-gestütztes Herstellungssystem für komplexe Hardwarespezifikationen, das die Kosten für Forschung und Entwicklung um die Hälfte reduzieren soll.
Monetizr
Monetizr bringt Brands in Handyspiele. Das Jungunternehmen hilft Marken dabei, sich geschickt in solchen Games zu platzieren, beispielsweise durch In-Game-Belohnungen, die Spieler:innen durch das Ansehen von Werbung freischalten können.
Convershake
Convershake will Callcenter mit Künstlicher Intelligenz neu denken. Der KI-Copilot des Startups soll Angestellte bei ihrer Arbeit unterstützen. Das soll die Bearbeitungszeit und die Arbeit nach Anrufen wesentlich reduzieren.
Adsmom
Adsmom konzentriert sich speziell auf den Bereich der Werbung. Mit AI analysiert das Jungunternehmen Daten zu Werbungen von spezifischen Firmen. Ähnlich wie bei RivalSense soll dieser Service unter anderem einen Überblick über die Aktivitäten der Konkurrenz bieten.
StartSchool
Das Startup House bietet auch mit der StartSchool eine Ausbildung für angehende Founder. In einem 12-monatigen Vollzeitprogramm lernen diese die Grundlagen der Full-Stack-Entwicklung sowie praktisches Geschäftswissen, damit sie ihr eigenes Startup gründen oder ihre eigenen Tech-Produkte entwickeln können.
AI-Boom hat auch Lettland erreicht
Es zeigt sich: Auch in Riga ist der AI-Boom in vollem Gange. Ein Großteil der dortigen Startup-Szene hat sich bereits mit dem Thema KI beschäftigt und viele haben die Technologie in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten gerückt. Die Founder der Jungfirmen haben auch alle gemeinsam, dass ihre Ambitionen über die Landesgrenzen hinaus reichen. “Wir haben uns von Anfang an auf den internationalen Markt konzentriert. Lettland ist ein kleines Land, und ein Startup kann hier nur bis zu einem gewissen Punkt wachsen, bis es expandieren muss”, sagte Martins Vaivars, Mitgründer und CEO von RivalSense.
Der internationale Ansatz zeigt sich schon daran, dass die Gründer:innen und ihre Startups viel Englisch sprechen. “Lettisch ist eine Sprache, die nur relativ wenige Menschen sprechen. Es macht deshalb Sinn, dass Startups schon in der Frühphase auf den englischsprachigen Markt setzen. Die Internationalisierung liegt also schon von Grund auf nahe”, so Kristians Jenciuss, CEO des Startup House.

Riga zeigt vielfältige und gemeinschaftliche Innovationsszene
Auch abseits des Startup House konnten wir auf der Medientour noch einige Beispiele für die lettische Innovationsszene kennenlernen. Ein Beispiel dafür war die lokale Karten-Herstellungsanlage des finnischen IT-Konzerns Tietoevry. Hier konnten wir die Personalisierung von Bank- und Kreditkarten von verschiedenen Banken beobachten. Diese finden unter den höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Jeder Winkel der Produktion muss immer von Kameras überwacht werden. Tietoevry setzt stark auf Automatisierung. Wir konnten Maschinen beobachten, die Karten bedrucken, Chips einfügen und sie sogar in Briefumschläge einsetzen, in denen sie an Kund:innen geliefert werden.
Ebenfalls besucht haben wir die Draugiem Group, einen lokalen Tech-Dachverband. Zu ihm gehören Tochtergesellschaften wie Mapon, ein Anbieter von Flottenmanagement- und Asset-Tracking-Lösungen. Eine weitere Draugiem-Tochter ist Idea Lights, ein Anbieter von smarten Lichtsystemen, die unter anderem je nach Situation die Lichtintensität anpassen können.
Ein weiterer allgemeiner Eindruck, der sich bei der Medientour in Riga zeigte, ist, dass die dortige Innovationsszene sehr gemeinschaftlich ist. Founder kennen einander üblicherweise direkt oder über ein oder zwei Ecken. Startups interagieren nach eigenen Angaben viel miteinander und haben ein oft freundschaftliches Verhältnis zueinander. Der Besuch in Riga zeigte, dass auch ein kleines Land unternehmerische Ambitionen zeigen kann. Mit klarer internationaler Ausrichtung, smarter Technologie und dem Gemeinschaftsgeist zeigt die Startup-Szene in Riga, wie aus einem kleinen Land große Ideen kommen können.