Interview

Firas Saedaddin: „Technische Exzellenz kann man aufbauen, Charakter nicht“

Firas Saedaddin. ©️Yvi Cathé Social Media
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In China hat er gelernt, was Pragmatismus bedeutet, in Malaysia, wie Kooperation funktioniert, und bei Alcatel-Lucent, wie globale Technologieunternehmen agieren und wo ihre Grenzen liegen: Der Unternehmer Firas Saedaddin, in zweiter Generation einer Austro-Syrischen Familie, hat in Österreich nicht eines, sondern gleich drei Unternehmen aufgebaut – und sucht die enge Zusammenarbeit mit Startup-Gründer:innen.

Im Interview mit Trending Topics spricht er über seine Herangehensweise an die Startup-Kultur, ans Business und warum er zu viele Founder gesehen hat, die zu früh aufgegeben haben.

Wie haben Sie Ihre Erfahrungen bei Alcatel-Lucent und Genesys geprägt, und welche Lehren ziehen Sie heute daraus für Ihre Tätigkeit als Investor?

Firas Saedaddin: Meine Zeit bei Alcatel-Lucent, heute Nokia, sowie bei Alcatel-Lucent Enterprise und Genesys war prägend, weil sie mir gezeigt hat, wie globale Technologieunternehmen denken – aber auch, wo ihre Grenzen liegen. Bei Alcatel-Lucent habe ich in einem internationalen Umfeld erlebt, wie komplexe Strukturen Innovation bremsen können. Entscheidungen wurden oft zentral getroffen, mit vielen Hierarchieebenen dazwischen. Das hat mir verdeutlicht, wie entscheidend Unternehmenskultur und Agilität sind.

Bei Genesys wiederum habe ich gelernt, was Kundenzentrierung wirklich bedeutet: zuhören, messen, anpassen. Geschwindigkeit und Feedbackschleifen waren ausschlaggebend. Diese Erfahrungen prägen mein heutiges Denken als Investor. Ich achte besonders auf drei Dinge: Erstens schlägt Kultur die Strategie – ein starkes Team kann selbst schwächere Strategien korrigieren, umgekehrt funktioniert das nie. Zweitens braucht es frühe Marktvalidierung, denn Ideen müssen so früh wie möglich im echten Kundenkontext getestet werden. Und drittens muss Skalierbarkeit gegeben sein. Es reicht nicht, dass etwas funktioniert, es muss auch wachsen können.

Was waren die größten kulturellen Unterschiede, die Sie während Ihrer Stationen in Frankreich, den USA, China und Malaysia erlebt haben?

Jede dieser Stationen war eine Lektion in Leadership und interkulturellem Verständnis. In Frankreich habe ich gelernt, wie stark Konsens und Struktur wirken können. Entscheidungen dauern dort länger, sind aber oft tief verankert. In den USA wiederum zählte Geschwindigkeit – Scheitern war kein Makel, sondern Teil des Lernprozesses.

China lehrte mich Pragmatismus. Dort zählt Umsetzungsstärke mehr als lange Konzepte. Und in Malaysia, einem Land der Vielfalt, habe ich erlebt, wie Kooperation über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg funktioniert. Diese Erfahrungen haben mein globales Denken geschärft: Ein Geschäftsmodell funktioniert nicht überall gleich. Kulturelle Intelligenz ist oft der wahre Wettbewerbsvorteil. Ich arbeite heute gezielt mit Gründerinnen und Gründern zusammen, die über Landesgrenzen hinaus denken und wissen, wie man Vertrauen in unterschiedlichen Märkten aufbaut.

Was war Ihre Motivation bei der Gründung von Tridacna Holding, AGA Group und 4u-ventures?

Die Motivation hinter diesen Initiativen war ein Mix aus persönlichem Antrieb, Marktlücken und dem Wunsch, etwas aufzubauen, das über mich hinaus wirkt. Mit Tridacna Holding wollte ich eine Plattform schaffen, die Technologie, Beteiligung und Impact verbindet – also nicht nur Kapitalgeber sein, sondern aktiver Gestalter, der Innovation mit Verantwortung kombiniert und Ideen langfristig begleitet.

Mit der AGA Group wollte ich operativ tätig werden als Advisory, das Unternehmen und Startups bei Transformation, Wachstum und Internationalisierung begleitet. Wir arbeiten eng mit Programmen aus dem Bereich Inkubation und Acceleration zusammen und entwickeln für Unternehmen strategische Geschäftsmodelltransformationen sowie zielorientierte Markteintrittsstrategien und unterstützen deren Umsetzung. Der Ansatz ist praxisnah, umsetzungsorientiert und auf nachhaltige Wirkung ausgerichtet.

4u-ventures ist eine Gemeinschaftsinitiative, die Gründerinnen und Gründer in der Frühphase unterstützt – mit Know-how, Erfahrung und Zugang zu Netzwerken. Der Fokus liegt auf langfristiger Begleitung und dem gemeinsamen Aufbau tragfähiger Geschäftsmodelle. Ich wollte Strukturen schaffen, mit denen ich aktiv mitgestalten, Potenziale entfalten und Wirkung erzielen kann – auf unternehmerischer, strategischer und gesellschaftlicher Ebene.

Mit welchen Kriterien entscheiden Sie, ob ein Startup für Sie als Business Angel interessant ist?

Ich achte weniger auf die Präsentation als auf Substanz und Umsetzungsstärke. Besonders wichtig ist mir, dass Gründerinnen und Gründer ihr Risiko verstehen und wissen, wie sie es systematisch minimieren, bevor sie launchen. Wer es schafft, Hypothesen zu testen, Annahmen zu validieren und auf dieser Basis die Erfolgsaussichten zu maximieren, zeigt echtes Unternehmertum.

Wichtige Kriterien sind für mich das Team – Kompetenz, Werte, Resilienz und Gründer, die Verantwortung übernehmen. Dann das Problem: Es muss ein echtes, relevantes Problem sein, nicht ein hypothetisches. Der Markt sollte skalierbar und wachstumsfähig, aber klar definiert sein. Die Technologie muss einen klaren USP bieten, idealerweise mit Wissensvorsprung oder Schutzrecht. Beim Risikomanagement schaue ich darauf, ob ein Verständnis dafür vorhanden ist, wie man Annahmen prüft und Risiken vor dem Launch reduziert. Und schließlich sind mir Ethik und Impact wichtig – ich investiere nur in Modelle, die Verantwortung ernst nehmen.

Ich arbeite am liebsten mit Teams, die reflektiert, lernfähig und mutig sind, die Feedback annehmen, aber ihren inneren Kompass behalten.

In den Bereichen Deep Tech, HealthTech und FoodTech – welche Trends halten Sie derzeit für besonders zukunftsweisend?

Alle drei Bereiche verändern, wie wir leben. In Deep Tech faszinieren mich besonders autonome Systeme und Quantenanwendungen. Beides kann ganze Industrien neu definieren. Auch KI am Edge, also Intelligenz direkt im Gerät, wird vieles dezentralisieren.

Im Health-Tech-Bereich sehe ich enormes Potenzial in personalisierten Therapien, Digital Biomarkern und Telemedizin. Gesundheit wird individueller, präventiver und zugänglicher. Bei Food Tech liegt mein Fokus auf alternativen Proteinen, Zellkultivierung und Circular Food Systems. Ernährung verstehe ich als Systemfrage, nicht als Industrie.

Am spannendsten finde ich die Schnittstellen: etwa wenn KI in der Ernährungsdiagnostik eingesetzt wird oder Bioengineering die Medizin transformiert. Zukunft entsteht an den Kreuzungspunkten.

Wie balancieren Sie zwischen finanziellen Renditen und gesellschaftlichem oder nachhaltigem Impact?

Für mich ist das kein Widerspruch. Impact ist Teil der Rendite. Ich glaube nicht an kurzfristige Gewinne ohne Verantwortung. Unternehmen, die ökologisch oder sozial blind agieren, zahlen langfristig den Preis – in Vertrauen, Marke und Talentbindung.

Ich investiere bevorzugt in Modelle, die wirtschaftliche Stärke und gesellschaftlichen Nutzen verbinden. Dazu zählt auch Social Entrepreneurship, also Unternehmertum, das gezielt auf gesellschaftliche Wirkung ausgerichtet ist und wirtschaftliche Tragfähigkeit mit sozialer Verantwortung vereint. Wir messen Impact über konkrete KPIs, etwa CO₂-Einsparungen, Bildungszugang oder Beschäftigungseffekte. Mein Ziel ist nicht der maximale Return, sondern nachhaltiger Wert. Ein Unternehmen, das Menschen beschäftigt, Innovation treibt und Verantwortung übernimmt, ist für mich der wahre Erfolg.

Welche Eigenschaften schätzen Sie besonders bei Gründerteams?

Ich arbeite gerne mit Gründerinnen und Gründern, die Charakter, Klarheit und Courage vereinen. Mir sind wichtig: Authentizität, also Ehrlichkeit im Umgang mit Partnerinnen, Partnern und Kunden. Resilienz – nicht aufgeben, auch wenn es stürmt. Neugier – lernen statt rechthaben. Komplementarität, das heißt unterschiedliche Stärken in Tech, Sales und Vision. Und Empathie, denn wer führen will, muss zuhören können.

Ein starkes Team erkennt man daran, dass es Meinungsvielfalt aushält und trotzdem gemeinsam handelt.

Wie wichtig sind Resilienz und Ausdauer im Vergleich zu technischer Exzellenz?

Resilienz ist die härtere Währung. Technische Exzellenz kann man aufbauen, Charakter nicht. Ich habe viele brillante Ideen scheitern sehen, weil Gründer zu früh aufgaben. Umgekehrt habe ich Teams erlebt, die mit weniger Technologie, aber mehr Willenskraft Großes geschafft haben. Technik öffnet Türen, Resilienz geht hindurch.

Was sind die häufigsten Fehler, die junge Gründer machen – und wie können sie diese vermeiden?

Viele Fehler sind menschlich und vermeidbar. Die häufigsten sind: zu spät mit echten Kunden sprechen, zu viele Features statt klarer Fokus, Kapitalbedarf unterschätzen, Marketing und Vertrieb zu spät denken und interne Rollen nicht klären.

Mein Rat: Früh testen, schnell lernen, konsequent fokussieren. Und Feedback suchen. Niemand baut allein ein erfolgreiches Unternehmen.

Wie kam es zu Ihrem Einsatz für Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie?

Mein Engagement kommt aus persönlicher Erfahrung. Ich bin Teil der zweiten Generation von Austro-Syrern – meine Eltern kamen in den 1960er Jahren aus Damaskus nach Österreich. Ich bin hier aufgewachsen und habe früh verstanden, wie Integration gelingt: durch Sprache, Bildung, Teilhabe und gegenseitigen Respekt.

Ich habe viele Menschen erlebt, die trotz Ausbildung oder Erfahrung keinen Zugang zum Arbeitsmarkt fanden. Nicht wegen mangelnder Qualifikation, sondern wegen Strukturen. Das wollte ich ändern. Ich sehe Vielfalt nicht als Charity-Thema, sondern als Wettbewerbsvorteil. Wenn wir alle Talente nutzen, werden wir als Gesellschaft stärker. Deshalb engagiere ich mich in Mentoringprogrammen, Kooperationen mit NGOs und Initiativen, die Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie den Zugang zu Beschäftigung, Gründung oder Weiterbildung erleichtern.

Welche Rolle können Startups in diesem Bereich spielen?

Startups haben hier enormes Potenzial. Sie sind agil, werteorientiert und diversitätsfreundlicher als viele Konzerne. Sie können Menschen mit Migrationsbiografie Chancen geben, sich einzubringen – in flexiblen Rollen, mit Mentoring, in innovativen Umfeldern. Und sie können digitale Lösungen schaffen, die Integration messbar erleichtern: Sprach-Apps, Matching-Plattformen, Qualifizierungsprogramme.

Ich wünsche mir, dass Vielfalt in Startups kein Buzzword bleibt, sondern gelebte Kultur wird.

Gibt es konkrete Projekte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Ja, mehrere. Besonders wichtig ist mir die Zusammenarbeit mit NGOs und Bildungsinitiativen, die Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografie, insbesondere Frauen und Jugendliche, dabei unterstützen, ihre Qualifikationen in Österreich einzusetzen und neue Perspektiven zu schaffen.

Auch Social-Impact-Startups, die Brücken in den Arbeitsmarkt bauen, unterstütze ich aktiv – ob durch Coaching, Mentoring oder Netzwerk. Und ich setze mich politisch dafür ein, dass Integration als ökonomische Chance verstanden wird, nicht nur als soziale Aufgabe.

Wie sieht Ihr langfristiges Ziel als Investor und Entrepreneur aus?

Mein Ziel ist kein Exit, sondern Bestand. Ich will Unternehmen aufbauen, die bleiben – die nicht verkauft, sondern weiterentwickelt werden. Mich interessiert nicht der schnelle Gewinn, sondern der bleibende Wert. Ich möchte Beteiligungen begleiten, bis sie selbst neue Innovationen und Arbeitsplätze hervorbringen.

Ich sehe mich als Gestalter, nicht als Spekulant. Wenn in zehn Jahren jemand sagt: „Das Unternehmen hat Leben verändert, Jobs geschaffen, Standards gesetzt“, dann ist das mein Return on Investment.

Welche Rolle wird Europa im globalen Innovationsgeschehen Ihrer Meinung nach in den nächsten zehn Jahren spielen?

Europa steht an einem Wendepunkt. Wir haben enorme Stärken: Forschung, Bildung, Vielfalt, Ethik. Und genau darin liegt unsere Chance – verantwortungsvolle Innovation. Ich glaube, Europa kann weltweit führend werden bei ethischer KI, Green Tech und Bioökonomie, überall dort, wo Technologie und Verantwortung zusammenkommen.

Wenn wir Kapital, Mut und Kooperation stärker verknüpfen, kann Europa vom Regulierer zum Impulsgeber werden. Wir müssen lernen, weniger Angst vor Risiko und mehr Vertrauen in unser Talent zu haben.

Gibt es ein „Moonshot“-Projekt, das Sie persönlich realisieren möchten?

Ja. Mein persönlicher Traum ist, ein Plattformunternehmen an der Schnittstelle von Health, Ernährung und Technologie aufzubauen – ein System, das Prävention, Ernährung und digitale Diagnostik intelligent verbindet, besonders für Regionen, die heute unterversorgt sind.

Ich glaube, dass die Zukunft der Gesundheit ganzheitlich ist: Technologie, Wissen, Ernährung, Lebensstil. Wenn wir das verbinden, können wir Millionen Menschen helfen. Das wäre mein Moonshot.

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