Wachstum ohne neue Jobs: AI könnte „Aushöhlung“ der US-Mittelschicht zur Folge haben

Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat in einer aktuellen Analyse auf eine mögliche Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsentwicklung in den Vereinigten Staaten hingewiesen. Als Hauptursache identifizieren die Analysten den zunehmenden Einsatz künstlicher Intelligenz.
Wachstum ohne neue Arbeitsplätze
In ihrer am Montag veröffentlichten Studie prognostizieren die Goldman-Sachs-Analysten, dass das moderate Beschäftigungswachstum bei gleichzeitig robustem BIP-Wachstum in den kommenden Jahren zur Normalität werden könnte. Das zukünftige Wachstumspotenzial stamme hauptsächlich aus KI-gestützten Produktivitätssteigerungen, während Bevölkerungswachstum und geringere Einwanderung nur bescheiden zum Arbeitskräfteangebot beitragen würden.
Erste Anzeichen am Arbeitsmarkt erkennbar
Die Analysten verweisen auf bereits sichtbare Signale einer Abschwächung: Außerhalb des Gesundheitssektors sei das Beschäftigungswachstum in den vergangenen Monaten negativ ausgefallen. Zudem konzentrierten sich Unternehmensführungen zunehmend darauf, durch KI-Einsatz Personalkosten zu senken – eine Entwicklung, die langfristig auf die Einstellungsbereitschaft drücken könnte.
Ungleiche Auswirkungen auf verschiedene Beschäftigtengruppen
Besonders betroffen seien laut der Analyse Arbeitnehmer in stark KI-exponierten Branchen. „In den letzten Jahren scheint KI die Beschäftigungsaussichten der am stärksten exponierten Arbeitnehmer zu beeinträchtigen, etwa junge Technologiefachkräfte“, schreiben die Analysten. In den am stärksten von KI betroffenen Branchen sei das Beschäftigungswachstum bereits negativ, auch wenn die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen noch begrenzt blieben.
Historische Parallelen und Risiken
Goldman Sachs verweist auf historische Beispiele, insbesondere die „jobless recovery“ Anfang der 2000er Jahre. Nach der Rezession 2001 erholte sich das US-BIP dank technologiegetriebener Produktivität schnell, doch die Gesamtbeschäftigung hinkte jahrelang hinterher. Unternehmen hätten die Rezession genutzt, um ihre Belegschaft umzustrukturieren und weniger produktive Bereiche abzubauen.
Die Analysten warnen, dass KI möglicherweise anders wirke als frühere Technologien: Während manche Innovationen Arbeitsplätze schaffen, ersetzen viele KI-Tools bestehende Tätigkeiten. Dies könne zu einer „Aushöhlung“ von Mittelschicht-Positionen im White-Collar-Bereich führen, ähnlich wie Fabrikautomatisierung einst qualifizierte Blue-Collar-Jobs verdrängte.
Aktuelle Arbeitsmarktdaten
Die Einschätzung erfolgt vor dem Hintergrund aktueller Arbeitsmarktdaten: Im September verzeichnete der Privatsektor laut ADP-Daten einen Rückgang von 32.000 Arbeitsplätzen. Das Analyseunternehmen Revelio Labs berichtete von einem Rückgang der Stellenangebote um 17,2 Prozent im Jahresvergleich. Laut Challenger, Gray & Christmas erreichten die Einstellungspläne den niedrigsten Stand seit der Finanzkrise 2008/09.
Positiver Aspekt: Inflationsdämpfung
Als potenziellen Vorteil identifizieren die Analysten, dass schnelleres Produktivitätswachstum tendenziell die Inflation dämpfe. Dies könnte der US-Notenbank Federal Reserve Spielraum für Zinssenkungen geben, selbst wenn die Arbeitslosigkeit steigt – ähnlich wie in der Erholung Anfang der 2000er Jahre.
Goldman Sachs zeigt sich jedoch skeptisch gegenüber den drastischsten Prognosen, wonach technologischer Fortschritt zu sehr hoher Arbeitslosigkeit führen könnte. Die Analysten gehen davon aus, dass Innovation und gestiegene Kaufkraft durch höhere Produktion und Einkommen neue Arbeitsmöglichkeiten schaffen werden, die Arbeitsplatzverluste teilweise ausgleichen.