Web-Erfinder: AI wird werbebasierte Geschäftsmodelle zerstören
Der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, hat jahrelang vor der Konzentration von Plattformen und den negativen Effekten sozialer Medien gewarnt. Doch Künstliche Intelligenz betrachtet er anders. Im Interview mit The Verge erklärt Berners-Lee, dass AI erreicht hat, was sein Semantic-Web-Projekt nicht schaffen konnte: Die Technologie extrahiert strukturierte Daten von Websites, unabhängig davon, wie die Informationen formatiert wurden. Jahrzehntelang versuchte er, Datenbank-Betreiber zu überzeugen, ihre Systeme freiwillig maschinenlesbar zu machen. AI-Unternehmen haben sich die Daten einfach genommen – durch Extraktion statt Kooperation. Das Ergebnis ist aber dasselbe: ein maschinenlesbares Internet.
AI erfüllt die Vision des Semantic Web
Berners-Lee zeigt sich von der Entwicklung begeistert: „Ich denke, es ist aufregend und innovativ. AI als erste Anlaufstelle zu nutzen, ist spannend“, sagt er im Interview. Besonders interessant findet er, dass AI das Problem der Konvertierung von nicht-semantischen Daten in semantische Daten löst. „Jetzt haben wir eine neue Welle des Semantic Web mit AI“, erklärt der Web-Pionier.
Er sieht die Möglichkeit, dass AIs untereinander über ein Datennetz kommunizieren, das von AIs generiert und genutzt wird – aber auch von Menschen. Allerdings äußert er auch Bedenken: Wenn niemand mehr Links folgt und Suchmaschinen nicht mehr nutzt, bricht das werbebasierte Geschäftsmodell zusammen. „Ich mache mir Sorgen um die Infrastruktur des Webs, wenn es um den Datenfluss geht, der von Menschen produziert wird, die ihr Geld mit Werbung verdienen“, warnt Berners-Lee.
Persönliche AI-Assistenten brauchen Zugriff auf private Daten
Ein zentraler Punkt in Berners-Lees Vision ist die Kontrolle über persönliche Daten. „Man braucht eine AI, die für einen arbeitet. Wenn sie nur auf externe Daten zugreift und keinen Zugang zu den eigenen persönlichen Daten hat, kann AI keine gute Arbeit leisten, um einem im Leben zu helfen“, betont er. Seine Firma Inrupt hat mit „Charlie“ einen AI-Assistenten entwickelt, der auf alle persönlichen Daten in einer Data Wallet zugreifen kann. Das Konzept basiert auf dem offenen Solid-Standard, den Berners-Lee vorantreibt. Inrupt arbeitet bereits mit der BBC, der Regierung von Flandern und Visa zusammen, um Data Wallets in der Praxis zu etablieren. Die Vision: Nutzer sollen digitale Souveränität zurückgewinnen und die Kontrolle über ihre eigenen Daten behalten.
Zur aktuellen Browser-Konkurrenz äußert sich Berners-Lee ebenfalls. OpenAI hat vor wenigen Wochen Atlas veröffentlicht, Perplexity hat Comet gelauncht, Google hat AI-Features in Chrome erweitert. Alle diese Browser laufen auf Chromium, was Berners-Lee als nicht ideal bezeichnet – er räumt aber ein, dass Browser-Engines teuer zu entwickeln sind. Kritischer sieht er Apples Entscheidung, iPhones auf WebKit zu beschränken. Dies verhindere, dass Web-Apps mit nativen Apps konkurrieren können. „Ich kann nicht anders, als zu denken, dass die Zulassung von Chromium auf dem iPhone wie ein guter Schritt klingt“, sagt er und fügt hinzu, dass mehr Wettbewerb zwischen verschiedenen Schichten tendenziell zu mehr Innovation führt.
Der Markt alleine wird AI nicht regeln
Die neue Browser-Welle sieht Berners-Lee grundsätzlich positiv, auch wenn er sich Sorgen um das Werbemodell des Webs macht. Gleichzeitig erkennt er, dass Regulierung nötig sein könnte, um Interoperabilität durchzusetzen. „Ich kann nicht sehen, dass es durch Marktkräfte allein passiert“, gibt er zu. Der Autor Yuval Noah Harari habe Regulierungen für Interoperabilität vorgeschlagen, und in Europa gebe es Diskussionen darüber. Ob amerikanische Tech-Unternehmen auf europäische Regulierung hören werden, bleibt für Berners-Lee offen – AI verändere sich so schnell, dass die Zukunft schwer vorherzusagen sei.
Tim Berners-Lee erfand 1989 das World Wide Web, HTML als Standard-Sprache für Webseiten und das HTTP-Protokoll, das die Kommunikation zwischen Browsern und Servern ermöglicht. Er gründete vor über drei Jahrzehnten das W3C, das Standards-Gremium für das Web. Heute ist er Co-Founder und CTO des Startups Inrupt und kämpft dafür, dass das Web zu seiner ursprünglichen Vision zurückkehrt: eine demokratisierende Kraft für Wissen und Kreativität zu sein.

























