Amazon: Fühlender Roboter Vulcan räumt Regale selbstständig ein und aus

Er war wohl die transformativste Lösung, die im Rahmen von „Delivering The Future“ im Innovationszentrum in Dortmund von Amazon vorgestellt wurde: der tastende Roboter Vulcan. Mit seiner Fähigkeit, Regale eigenständig ein- und auszuräumen, plant der Logistikriese, den Prozess langfristig vollständig zu automatisieren.
„Durchbruch in der Robotik gelungen“
Amazon bezeichnet sich als weltweit größten Hersteller und Nutzer von Robotik. „Vulcan ist nicht unser erster Roboter, der Gegenstände bewegen kann. Aber mit seinem Tastsinn – seiner Fähigkeit zu verstehen, wann und wie er mit einem Objekt in Kontakt kommt – eröffnet er neue Möglichkeiten zur Optimierung von Arbeitsabläufen und Einrichtungen“, heißt es aus dem Konzern.
„Mit Vulcan ist ein Durchbruch in der Robotik und der physischen KI gelungen“, so Adam Parness, Director of Robotics AI bei Amazon. Und weiter: „Wir befinden uns im goldenen Zeitalter der Robotik. KI hilft Robotern, die physische Welt zu fühlen und mit ihr zu interagieren.“Entscheidend sei, die Modelle mit den richtigen Daten zu trainieren.
Vulcan muss rund 400 Millionen Produkte bearbeiten
Der Roboter ist noch nicht final entwickelt, aber bereits weit fortgeschritten: Vulcan besteht aus einem zweiteiligen System – „Stow“ für das Verstauen und „Pick“ für das Herausnehmen von Gegenständen. Beobachtet man ihn bei der Arbeit, scheint es, als wüsste er genau, was er tut. Mithilfe eines eigens entwickelten Greifers mit Tiefenkamera und Saugnapf entnimmt er die Gegenstände aus mit elastischen Bändern gesicherten Behältern.
In Zukunft soll Vulcan die Lagertechnologie in der First Mile unterstützen. Mit künstlicher Intelligenz wurde er darauf trainiert, Millionen unterschiedlicher Produkte präzise in Regale zu schlichten und wieder zu entnehmen. Eine Mammutaufgabe, bedenkt man, dass Amazon rund 400 Millionen Produkte versendet.
Identifizierung der Objekte in Echtzeit
Für Vulcan sei es unmöglich, sämtliche Spezifika der Items auswendig zu kennen, deshalb agiere er laut Parness in Echtzeit. Möglich sei dies durch die eingebauten Kameras und die Kraft-Drehmoment-Sensoren, die aussehen wie ein Hockey-Puck. Sie sorgen dafür, dass der Roboter bei physischem Kontakt mit dem Produkt „fühlt“, mit welcher Kraft er greifen kann, ohne es zu beschädigen. Die Kameras seien notwendig, um das richtige Produkt am richtigen Ort zu finden.
Die kleinste Objektgröße für Vulcan: etwa ein Lippenstift oder ein USB-Stick, wie das Amazon-Ingenieursteam vor Ort mitteilte. Mithilfe einer seitlichen Saugvorrichtung kann „Pick“ auch sehr dünne Gegenstände greifen. Die gesammelten Infos aus seinem Arbeitsalltag leitet Vulcan anschließend an eine Datenbank weiter.
Parallel wird Vulcan vom AWS-Cloud-Service begleitet. Mittels KI wird im Vorhinein berechnet, ob der Roboter in der Lage sein wird, ein bestimmtes Item zu greifen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird ein:e Mitarbeiter:in informiert. Man setze hier nicht auf ein simples Trial-and-Error-System, so Amazon.

Testbetrieb läuft bereits
Derzeit werden sechs Stow-Vulcan-Roboter in Amazon-Logistikzentren in Washington getestet. Dort hätten sie bereits eine halbe Million Artikel erfolgreich eingelagert, die anschließend an Kund:innen in den USA versandt wurden. Während Vulcan in den USA einräumt, wird in Deutschland ausgeräumt: In Winsen bei Hamburg seien momentan zwei Pick-Vulcans im Testbetrieb aktiv. Sie erleichtern laut Amazon schon jetzt den Arbeitsablauf und haben bereits 50.000 Bestellungen abgewickelt.
„Insgesamt arbeiten bei Amazon 250 Personen in verschiedenen Robotic-Departments in Berlin, Hamburg und Seattle an den Vulcan-Systemen“, so Parness. Die Robotik-Abteilung selbst bestehe aus 16.000 Mitarbeiter:innen weltweit. Neben der neuesten Robo-Innovation betreibt der E-Commerce-Gigant eigenen Angaben nach 750.000 mobile Roboter. Sie können an die bis zu 800 Kilo schweren Produktregale heranfahren, diese anheben und an einer anderen Stelle im Logistikzentrum abstellen. In Zukunft sollen Vulcan und die mobilen Roboter eng zusammenarbeiten.
In den nächsten Jahren – wenn Vulcans Technologie ausgereift ist – plant Amazon, die Roboter in Logistikzentren in ganz Europa und den USA einzusetzen. Noch in diesem Jahr soll die Anzahl der Vulcans in Winsen und Washington auf 60 bzw. 50 Stück erhöht werden. Pläne, die Technologie zu verkaufen, gäbe es keine.
Roboter und Mensch arbeiten parallel zusammen
Doch was passiert mit den Menschen bei Amazon, die mit Stand heute tagtäglich Produkte in Regale schlichten, diese dann wieder entnehmen und für den Versand vorbereiten? Sie werden weiterhin gebraucht, wie beim Event „Delivering The Future“ in Dortmund immer wieder betont wird.
Zum einen kann Vulcan derzeit etwa 75 Prozent der Gegenstände bearbeiten. Selbst wenn sich die Fehlerrate weiter reduziert, gäbe es laut Parness immer noch bestimmte Limitationen oder Probleme, auf die Roboter stoßen werden. Eine davon ist das Bewegen von Flüssigkeiten. Diese sollten besser in menschlichen Händen bleiben. Außerdem brauche es stets Mitarbeiter:innen mit kritischem Denkvermögen, um Fehler der Roboter zu korrigieren, schwierige Aufgaben zu übernehmen, Notizen zu machen und die Prozesse weiter zu verbessern.
Amazons Masterplan sieht vor, Mensch und Maschine parallel nebeneinander arbeiten zu lassen. Dies führe zu einer höheren Erfolgsrate. In der Praxis heißt das: Jene Produkte im Regal, die der Mensch ohne Leiter nicht erreicht oder für die er sich zu sehr bücken müsste, werden von den Robotern übernommen. Vulcan wird außerdem nicht in der Lage sein, in mit Produkten gefüllten Kisten zu stöbern, beispielsweise in einer Box mit mehreren PlayStations. Stattdessen muss der Roboter die Produkte vom Lieferband greifen, um diese ins Regal zu befördern.
Mehr Ergonomie, weniger monotone Arbeit
„Vulcan ist eine große Unterstützung für die Mitarbeiter:innen, da sie sich auf die leichter erreichbaren Bereiche konzentrieren können. Menschen arbeiten am besten innerhalb ihrer ergonomischen Powerzone“, so Parness. Auch sei das Auffüllen des Inventars eine sehr monotone Aufgabe, so Amazon. Durch Vulcan würde mehr Platz für weniger repetitive Tätigkeiten geschaffen.
Abschließend erklärte der Online-Riese, dass Vulcan durch die „Kombination aus menschlicher Vision und Automatisierung“ den Prozess langfristig vollständig automatisieren wolle. Supervision bleibt dennoch stets erforderlich, und es würden mit Sicherheit neue – aber eben andere – Jobs geschaffen.
Amazon zeigt bei “Delivering the Future“, wie Lieferungen künftig schneller werden