enliteAI: „Die Energiewende wird ohne KI nicht möglich sein“

Am 28. April 2025 ereignete sich ein massiver Stromausfall in Spanien und Portugal, bei dem innerhalb von fünf Sekunden 15 Gigawatt Elektrizität vom Netz getrennt wurden, was etwa 60% der spanischen Stromversorgung zu diesem Zeitpunkt entsprach. Experten diskutieren, ob der hohe Anteil an Solarenergie im spanischen Stromnetz – zum Zeitpunkt des Ausfalls etwa 55% – ein entscheidender Faktor war.
Während einige Fachleute wie der ehemalige CEO des französischen Netzbetreibers RTE, André Merlin, darauf hinweisen, dass nicht-steuerbare Ressourcen die Netzstabilität beeinträchtigen können, hat die spanische Netzbetreiberin Red Eléctrica diese Verbindung bestritten.
Die genaue Ursache des Blackouts bleibt weiterhin unklar und ist Gegenstand laufender Untersuchungen. Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez hat eine Untersuchungskommission eingerichtet, um die Ereignisse aufzuklären. Experten vermuten, dass möglicherweise nicht genügend konventionelle Energiequellen wie Kernkraft oder fossile Brennstoffe zur Verfügung standen, um die Netzfrequenz zu stabilisieren.
Auch bei österreichischen Startups, die an der Schnittstelle zwischen AI, Algorithmen, Trading und Energie arbeiten, ist der iberische Blackout Thema. Anton Fuxjäger und Stefan Zahlner von enliteAI, das KI-Systeme für die Optimierung von Stromnetzen, sprechen im Interview über den Vorfall.
Die Ursache für den riesigen Stromausfall in Spanien, Portugal und Teilen Frankreichs ist noch nicht restlos aufgeklärt. Von welcher Ursache geht ihr aus?
Es gibt eine Vielzahl von Ereignissen, die in der Regel gleichzeitig stattfinden, und es ist sehr schwierig, bei einem Ereignis zu sagen, dass dies die Hauptursache war. Zum jetzigen Zeitpunkt wurde DIE eine Ursache noch nicht gefunden.
In den Fokus geraten sind PV-Anlagen, die es auf der iberischen Halbinsel in großer Zahl gibt. Gibt es logische Gründe, warum Photovoltaik zu dem Stromausfall beigetragen haben könnte?
Von Netzbetreibern und Energieversorgern weltweit hört man oft „today’s grids were built for a world which no longer exists”. Damit ist gemeint, dass unsere Netze aus einer Zeit stammen, in der Energieerzeugung und Verbrauch sehr gut planbar waren, da zentralisiert. Die Energiewende, geändertes Nutzungsverhalten (getrieben etwa durch Elektrofahrzeuge), sowie stetig steigender Strombedarf stellen die gesamte Branche vor eine große Herausforderungen.
Ja, es gibt technische Gründe, weshalb große Photovoltaik-Anlagen unter bestimmten Umständen zur Instabilität des Stromnetzes beitragen könnten. Dies ist allerdings nur spekulativ – sie müssen nicht zwingend die Ursache für einen Stromausfall sein. Grundsätzlich gilt dies jedoch für jede Art großer Stromerzeuger: Ein plötzlicher Ausfall kann erhebliche Folgen haben.
Haben große PV-Anlagen besondere Eigenheiten?
Photovoltaik-Anlagen sind Wechselrichter-basiert und bieten somit keine physische Trägheit, im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken wie thermischen Kraftwerken. Diese Trägheit entsteht durch rotierende Massen ähnlich einem Fahrrad-Dynamo, welche Schwankungen der Netzfrequenz abfedern. In Regionen mit hohem Solarstrom-Anteil, etwa auf der iberischen Halbinsel, kann die Netzfrequenz daher empfindlicher auf Störungen reagieren.
Zweitens können Photovoltaikanlagen lokale Spannungserhöhungen verursachen. Integrierte Schutzmechanismen schalten Anlagen dann möglicherweise ab, was die Situation verschärfen könnte.
Enlite AI arbeitet auch an der KI-gestützten Optimierung für Stromnetze. Welches Problem wird da gelöst?
Wir analysieren Übertragungsnetze und Verteilernetze und optimieren die Topologien – also die Vernetzung – des Netzwerkes für Netzstabilität und Energieeffizienz. Da die Anzahl der möglichen Schaltzustände zu groß ist, um sie mit klassischen Methoden zu optimieren ist, KI hier ein wichtiges Tool. Abhängig vom Netzwerk kann es mehr Schaltzustände als Atome im Universum geben. Die meisten europäischen Netze sind somit komplexer als AlphaGo.
Dabei geht es vor allem darum, die bestehende Netzinfrastruktur effizienter zu nutzen und Netzengpässe frühzeitig zu erkennen sowie zu verhindern. Konkret setzt EnliteAI auf eine aktive Topologie-Steuerung: Durch intelligente Koordination weniger, gezielter Netzschaltungen können Engpässe reduziert und Überlastungen vermieden werden. Das erhöht die Zuverlässigkeit und Flexibilität der Stromnetze und sorgt gleichzeitig dafür, dass mehr erneuerbare Energien genutzt werden können, anstatt sie abzuregeln.
06Darüber hinaus sinkt die Abhängigkeit von teuren und fossilen Methoden wie Redispatch-Maßnahmen – dem Hochfahren thermischer Kraftwerke. Neben dem Management von Netzengpässen löst die Technologie auch verwandte Herausforderungen, beispielsweise bei der Wartungsplanung, der Optimierung von Eingriffen im Störfall oder der Verringerung von Netzverlusten.
Wie kann AI dabei helfen, künftige Stromausfälle zu vermeiden?
Die Energiewende wird ohne KI nicht möglich sein. Goldman Sachs schätzt den Investment-Bedarf für die Energiewende alleine in Europa auf 1,6 Billionen Dollar in den nächsten 10 Jahren, das entspricht 70% des italienischen GDP.
KI wird dabei als wesentlicher Teil der Energiewende gesehen mit Einsatzgebieten entlang gesamten Wertschöpfungskette: Bei der Inspektion von Anlagen, beim Management von Speicherlösungen, bei Virtual Power Plants und Energiegemeinschaften, und beim Forecasting und der Zustandserfassung von Stromnetzen und Erzeugern.
Welche Technologien und KI-Modelle kommen bei euch zum Einsatz?
Wir nutzen vor allem Reinforcement Learning (RL), eine KI-Methode, bei der Agenten eigenständig Strategien durch Interaktion mit simulierten Umgebungen entwickeln. Unsere Lösung basiert auf einer angepassten Variante von AlphaZero, ursprünglich bekannt aus komplexen Brettspielen wie Schach und Go, die wir speziell für die Optimierung von Stromnetzen weiterentwickelt haben. Unterstützt wird dies durch etablierte, schnelle und genaue Netzsimulationen.
Wie und wo wird die Lösung bereits eingesetzt?
Auf der obersten Netzebene, der sog. Transmission System Operator-Ebene (TSO), wird die Lösung in den Niederlanden pilotiert. Im Verteilnetz (DSO) arbeiten wir in Österreich mit zwei Energieversorgern zusammen.