Future{hacks}: Globale SaaS-Lösungen und der Kampf um europäische Souveränität

Markus Kirchmaier ist Prokurist & Partner bei LEAN-CODERS und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem IT-Arbeitsmarkt sowie modernen IT-Systemen und technologischen Entwicklungen. In diesem Gastbeitrag beschäftigt er sich damit, wie Plattform-Komfort in digitale Abhängigkeit kippt und wie Unternehmen sich strategisch daraus befreien können.
Bequemlichkeit ist wie Zucker: schmeckt sofort, wirkt später. In der SaaS-Welt hat man uns diesen Zucker in rauen Mengen angeboten. Einloggen, klicken, loslegen. Alles läuft. Alles ist smart integriert. Kein Stress mit Updates, keine lange Einarbeitung. Für viele wirkt das wie das Ende aller IT-Probleme. Aber es ist erst der Anfang einer neuen Abhängigkeit.
Lizenzkosten als Pulverfass in der IT-Strategie
Dänemark macht es gerade vor. Im Juni 2025 hat die Regierung beschlossen, Microsoft 365 und Windows durch LibreOffice und Linux zu ersetzen. Und das nicht nur aus Kostengründen, sondern weil sie digital souverän sein wollen. Kein Staat, und kein Unternehmen, sollte seine wichtigsten Daten und Prozesse an Plattformen auslagern, die unter Kontrolle fremder Regierungen stehen. Die erste Behördenstaffel wechselt bereits im Herbst. Rückfallebene: vorhanden. Kontrolle: wieder zurück beim Nutzer.
Noch deutlicher wird’s, wenn man die Kosten betrachtet: Die Microsoft-Lizenzkosten für Kopenhagen stiegen von 313 Mio. DKK im Jahr 2018 auf 538 Mio.im Jahr 2023. Das sind rund 72 % mehr in nur fünf Jahren. Das ist nicht nur ein dicker Brocken in der Buchhaltung, das ist ein Pulverfass in der IT-Strategie.
Open Source ist nicht mehr nur für Nerds
Und es betrifft längst nicht nur Firmensoftware. Die weltweit sehr beliebte Videoschnitt-App CapCut von ByteDance ist seit Juni 2025 in der Diskussion, weil die neuen AGB dem Anbieter ein weltweites, unbefristetes Nutzungsrecht an allen Nutzerinhalten einräumen – auch an privaten Entwürfen – und das sogar nach Kontolöschung weiter gilt. Besonders für Kreativschaffende in der EU ist das ein tiefer Eingriff in Datenschutz und Urheberrechte und ein weiteres Beispiel, wie Plattformen Kontrolle schleichend ausbauen.
Auch Österreich hat den Handlungsbedarf erkannt. Der “OSS Country Intelligence Report 2025” zeigt, dass Open Source längst nicht mehr nur für Nerds gedacht ist. Der Bund hat eine eigene CDO-Taskforce etabliert, die klare Leitlinien zur OSS-Nutzung herausgibt. Wien betreibt mittlerweile ein eigenes öffentliches Git-Repository für Open-Source-Projekte. Und mit der OSSBIG wurde sogar eine eigene Plattform gegründet, die Behörden bei der nachhaltigen Einführung offener Software unterstützt.
Unternehmen sollten offene Schnittstellen wählen
Das ist kein Idealismus. Das ist Risikomanagement. Digitale Souveränität wird zum Standortfaktor. Denn was passiert, wenn der Anbieter morgen entscheidet, sein Preismodell zu ändern? Oder ein Feature plötzlich nicht mehr verfügbar ist? Was, wenn kritische Sicherheitsfunktionen nur noch im teuersten Paket verfügbar sind? Und was, wenn ein Anbieter morgen vom Netz genommen wird, weil es politischen Druck gibt?
Dann merkt man, wie bequem man sich eingerichtet hat. Und wie hilflos man ist, wenn das Fundament nicht mehr stabil ist. Komfort lässt uns glauben, wir hätten Kontrolle. Aber in Wahrheit geben wir mit jedem Klick ein Stück Souveränität ab. Das ist kein Fortschritt, das ist der schleichende Verlust der Kontrolle.
Was können Unternehmen tun? Offene Schnittstellen wählen. Datenformate nutzen, die portabel bleiben. Systeme modular aufbauen. Exit-Strategien einplanen, bevor man Verträge unterschreibt. Open-Source-Lösungen zumindest als Option evaluieren. Dänemark und Österreich zeigen, wie es geht. Und dass es geht.
Future{hacks} meint: Plattformen sind zwar nicht grundsätzlich böse. Aber sie sind definitiv keine Freunde. Sie sind nichts anderes als Dienstleister, mit eigenen Interessen. Und geringen Moralvorstellungen. Wer ihnen blind folgt, reitet in ein enormes Risiko von unüberwindbaren Abhängigkeiten. Wer sie jedoch klug einsetzt, bleibt Herr der Lage. Und eigentlich geht es doch genau darum. Nicht um Technikromantik oder Bequemlichkeit. Sondern um die Frage: Wem gehört die Zukunft: Uns oder deren Plattformen?