Ukrainekrieg: „Das ist eine Mischung aus Erstem Weltkrieg und Terminator“

Putin hat ein europäisches Ultimatum für Waffenruhe in der Ukraine ignoriert, lässt weiter bombardieren: Auch im nunmehr vierten Jahr des Ukrainekriegs gibt es trotzt vieler Bemühungen kaum Anzeichen auf einen baldigen Waffenstillstand, geschweige denn eines Friedens. Währenddessen geht das Aufrüsten in Europa, das Russland mittlerweile als große Bedrohung der nächsten Jahre sieht (Militärhistoriker Sönke Neitzel sprach im März von einem möglichen „letzten Friedenssommer“), stetig weiter.
Davon profitieren nun auch junge Militär-Tech-Unternehmen, die Robotik, AI und Daten an und hinter die Front bringen können. ARX Robotics ist eines davon: Es baut autonome Roboter, die als Plattform für vielerlei Fähigkeiten dienen können, etwa zum Transport von Verwundeten oder für Drohnen. COO und Mitgründer Stefan Röbel im Interview.
Trending Topics: Europa rüstet auf und mit dem Kontinent auch all jene Startups, die Militärtechnologie bauen. ARX Robotics ist gerade mit einem Investment von 31 Millionen Euro und groß angelegter Expansion aufgefallen. Wie kam es dazu, was hat dich in diese Branche gebracht?
Stefan Röbel: Mein Weg hat bei der Bundeswehr selbst begonnen. Das eint uns als Gründerteam – wir waren alle ehemalige Offiziere. Ich war selbst zwölf Jahre dort, habe im Bereich der Logistik und Infanterie gearbeitet, war in Afghanistan eingesetzt und habe auch in den USA gearbeitet. Das war von 2000 bis 2012. Ich habe dann eine längere Runde über den Online-Handel gedreht und mich Stück für Stück Richtung Startup orientiert. Ende 2022 habe ich Mark und Max getroffen, die dann aber schon zwei Jahre auf der Reise waren.
Die Idee kam ursprünglich aus dem Bereich der Infanterie. Wenn man in der Infanterie ein Haus verteidigt und zu wenig Leute hat, will man dem Feind die Idee vermitteln, dass man mehr Leute hat. Mark hat damals an der Universität aus einer Bluetooth-Boombox mit leichten Modifikationen ein digitales Gewehr simuliert, mit Lichtblitz und Schussgeräusch. So hat die Reise 2021 angefangen, als er an der Bundeswehruniversität in München den Innovationspreis gewann.
Die logische Frage war dann: Stationär ist es sehr sinnvoll, aber mobil wäre es super. So kamen wir Stück für Stück in den Bereich der mobilen Robotik. Wir haben festgestellt, dass es keine Plattformen gibt im Militär, die stationäre Systeme mobil machen können. Von kleinen robotischen Systemen wurden wir immer größer und jetzt haben wir eine Plattform, die bis zu 500 Kilo tragen kann.
Du warst dann auch wirklich im Einsatz in Afghanistan. Dieses Wissen ist die Grundlage dafür, was ihr jetzt bei ARX baut, oder?
Das ist richtig. Als Gründerteam mit gemeinsamer Grundlage können wir sehr schnell Entscheidungen treffen. Die Laufbahnen in den Armeen werden oft unterschätzt, aber eigentlich ist die Armee eine sehr gute Management-Schule, wo man unter Druck Entscheidungen mit unvollständigen Informationen treffen lernt. Vieles, was in einem Startup passiert, ist ähnlich.
Was uns auch hilft, ist, dass wir den Kunden und die Probleme sehr gut verstehen. In Europa bauen wir seit langem hochtechnologische Systeme, aber die brauchen sehr lange in der Entwicklung. Wenn man in die Ukraine schaut, hat sich die technische Entwicklung an der Front in nur 24 Monaten dramatisch verändert. Zukünftig diese Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten ist eine Grundvoraussetzung.
Ein weiterer Vorteil ist, dass wir mit einem neuen System kommen. Als fahrende Plattform ist unser Roboter in keinem der bisherigen Prozesse verankert. Durch unseren Hintergrund helfen wir, neue Prozesse zu definieren, denn ohne neue Prozesse gibt es keine neue Struktur und keine neuen Fähigkeiten.
Der Ukraine-Krieg war ja anfangs wie ein Panzerkrieg aus dem letzten Jahrhundert, hat sich aber stark gewandelt. Ist das am Ende ein Drohnenkrieg?
Es ist eine Mischung aus Erstem Weltkrieg mit dem Grabenkampf und einem Stück weit Terminator – ein Drohnenkrieg, wo keine Bewegung mehr unbeobachtet bleibt. Dieser Wandel hat innerhalb von drei Jahren stattgefunden. Die ersten Panzer wurden von kostengünstigen Drohnen zerstört.
Das ist eine Riesenaufgabe für uns, denn wir waren nur auf die alte Variante vorbereitet. Zukünftig wird es keine teuren Systeme geben, die ohne eine große Menge einfacher Systeme bestehen können. Wir müssen kleinere Systeme integrieren, um unsere großen wertvollen Systeme zu schützen.
Ich habe eure Technologie als „Mini-Panzer“ beschrieben. Welche Rolle können die im Kampfeinsatz spielen?
Ich sehe es nicht so als Panzer, sondern eher als fahrendes Schweizer Taschenmesser. Wir sind eigentlich eine Plattform, auf der wir verschiedene Fähigkeiten und Lösungen aufbringen können. Aus einem System mit einer Verwundetentrage kann man innerhalb einer Minute einen Transportkorb machen.
Diese Modularität ist der wertvolle Teil. Wir können Systeme, die vorher stationär eingesetzt wurden, mobil machen. Ein Beispiel: Ein Radar kann 10-15 Kilometer ins Land schauen, ist aber als aktives System leicht zu erkennen und zu bekämpfen. Wenn du es auf unseren Roboter bringst, kannst du es kurz einschalten, Informationen sammeln und wieder weg sein, bevor etwas passiert.
Ähnlich ist es mit Luftdrohnen. Unser Gereon kann diese Drohnen 10 Kilometer weiter nach vorne bringen, wodurch ihre Reichweite um 10 Kilometer erweitert wird. Der Roboter hat eine größere Batterie und kann ein Luftsystem landen lassen, aufladen und wieder starten – autonomes Teaming zwischen Luft- und Bodensystemen.
Wo kommen eure Roboter aktuell zum Einsatz?
Wir unterstützen in der Ukraine und sind bei den europäischen Armeen viel im Einsatz und Test. Letztes Jahr waren wir in Litauen, in der Slowakei, viel in Deutschland unterwegs. Wir sind gerade viel in England, werden in Italien sein. Wir sind in ganz Europa unterwegs, um unsere Lösungen zu zeigen und die ersten Bedarfe zu generieren.
Sind diese Roboter einzigartig oder gibt es in Russland, China usw. ähnliche Gerätschaften?
Alle wissen, dass die Zukunft robotisch ist, und auch in China und Russland arbeiten Leute an ähnlichen Lösungen. Wir müssen es halt besser und schneller machen.
Wie sieht es mit den Expansionsstrategien nach eurer 31-Millionen-Euro-Finanzierung aus?
Wir wollen hauptsächlich den Prozesswandel in Europa begleiten, und das ist kapitalintensiv. Jedes Land in Europa hat seine eigenen Systeme, die mobil gemacht werden müssen. Mit den 31 Millionen wollen wir unseren Roboter, der jetzt schwerpunktmäßig ein deutscher Roboter ist, an die Bedürfnisse anderer Länder anpassen – die Supply Chain ändern, die Integration in die bestehenden Systeme vornehmen.
Wir haben auch eine Zusammenarbeit mit Daimler-Benz-Truck, um bestehende Flotten autonom und digital zu machen. Die Mehrzahl der Systeme in den Streitkräften ist noch sehr analog. Hier haben wir identifiziert, dass es ein großes Potenzial gibt, diese alten Systeme Software-fähig zu machen.
Wie autonom sind diese Roboter?
Wir haben in der Infanterie gelernt: Das Einfache gewinnt. Wir arbeiten nicht mit unendlich vielen Sensoren, unsere Anzahl der Sensoren ist limitiert, damit der Preispunkt pro Roboter so gering wie möglich bleibt.
Ein großes Problem in Europa ist der hohe Technologisierungsgrad und die lange Entwicklungszeit. Was wir nicht haben, ist die Masse an Systemen, die wir schnell und kostengünstig produzieren können. Unsere Autonomie muss nicht die beste sein, sondern gut genug. Der Roboter soll von A nach B finden und kann im Notfall auch zurückgelassen werden. Da er idealerweise in ein, zwei Tagen produziert werden kann, kannst du die Masse nachproduzieren.
Ist es für Scale-ups wie euch durch den Ukraine-Krieg leichter, Aufträge zu bekommen, oder kaufen die Armeen lieber dort ein, wo sie immer eingekauft haben?
Ja und nein. Logischerweise gibt es im Einkauf immer die etablierten Prozesse. Aber alle wissen auch, dass das, was uns bis hierher gebracht hat, uns nicht weiterbringen wird. Die Geschwindigkeit, in der wir uns verändern müssen, ist schwierig für die großen etablierten Player.
Was wir bringen, ist die nötige Iterationsgeschwindigkeit. Zudem hat der Ukraine-Krieg einen Soll-Ist-Vergleich ausgelöst: Was sind die entscheidenden Systeme im Krieg und wie viele davon haben wir? Es gibt ein klares Verständnis, dass das, was wir haben, nicht ausreichen wird.
Der Militärexperte Carlo Masala sagt, Europa könnte aus heutiger Sicht den direkten Krieg gegen Russland nicht gewinnen. Wie siehst du das?
Stefan Röbel: Als ehemaliger Offizier würde ich mich auf die europäische Seite schlagen. Wir haben hoch spezialisierte, gut trainierte und motivierte Soldaten. Von den Zahlen her sind wir unterlegen und uns fehlt die Iterationsgeschwindigkeit, aber wir haben eine gut ausgebildete Armee mit einer starken Wirtschaftsmacht dahinter.
Wenn man das Bruttoinlandsprodukt von Russland mit dem von Europa vergleicht, ist es kein Vergleich. Wenn wir unsere Ressourcen bündeln und mit Ernsthaftigkeit an diese Themen herangehen, haben wir viele Vorteile: technologisch, finanziell, industriell.
Es geht nicht um Krieg, sondern darum, technologisch so unattraktiv für einen Angriff zu werden, dass uns niemand angreift. Wir müssen technologisch schnell aufrüsten, um diese Parität wiederherzustellen.
Wie entwickelt sich die Militär-Tech-Branche mit Unternehmen wie Quantum Systems und Helsing?
Super eigentlich. Das Geld fließt in die richtige Richtung, und wir müssen ein Stück weit Unabhängigkeit in Deutschland und Europa schaffen. Quantum Systems ist letzte Woche zum Unicorn geworden – super Momentum. Helsing und die anderen KI-Startups sind super notwendig, denn zukünftig wird es keine Hardware mehr geben, die ohne Software funktioniert.
Palantir soll Daten in Echtzeit vom Schlachtfeld bekommen. Sind am Ende diese Daten entscheidend, wie Kriege geführt werden, und nicht so sehr die Hardware?
Ohne Daten geht es nicht, aber du brauchst Systeme, die Daten generieren – also Hardware. Bei uns sind die Systeme untereinander vernetzt, mit Kameras und KI. Die Informationen werden nach oben gemeldet und ausgewertet. Du brauchst diese Systeme am Boden, um das Lagebild akkurat weiterzugeben, und jemanden, der die Mission ausführt. Ohne Hardware wird das nicht funktionieren.
Was ist das Spektakuläre an dem US-Militär-Unicorn Anduril aus deiner Sicht?
Anduril hat es sehr gut gemacht, „software-defined Defense“ zu machen. Die Vernetzung und Datennutzung ist ihre Superkraft. Alle Systeme – Schiffe, Hubschrauber – sammeln Daten, die verarbeitet und in einem großen Computer ausgewertet werden. Das ist der Game Changer: mehr Informationen, bessere Entscheidungen, Vorhersagen über Datenmodelle. Anduril hat dann mehr und mehr Systeme entwickelt, um Daten in dieses System einzuspeisen. Mit Palantir kommt jetzt die zusätzliche KI-Expertise dazu.
Werden am Ende vielleicht schon bald Kriege von KI und Robotern geführt und weniger von Menschen?
In der Theorie wird das möglich sein, aber es ist eine ethische Frage, wie bereit Menschen sind, Entscheidungen den Maschinen zu überlassen. Aus meiner Sicht dürfen wir diese Linie nicht überschreiten: Wenn der Roboter entscheidet, wer anzugreifen ist, sind wir im Terminator-Zeitalter. Für uns gilt: Was auch immer ein Roboter aufklärt, sobald eine Aktion erforderlich ist, muss immer ein Mensch bestätigen.
Palmer Luckey und andere sprechen vom Jahr 2027 als Zeitfenster für einen chinesischen Angriff auf Taiwan. Siehst du dieses Jahr auch so zentral, oder wird es als Verkaufsargument überstrapaziert?
Es wird ein bisschen von beidem sein. Wenn Amerika sich von internationalen Systemen löst und „America First“ praktiziert, dann ist 2027 sehr realistisch – falls China mit Amerika einen Deal schließen kann, dass keine große Intervention bei Taiwan stattfindet.
China müsste sonst sehr zuversichtlich sein, einen Drohnenkrieg und Wirtschaftskrieg gegen die USA und die Welt gewinnen zu können. Angesichts der Überalterung und wirtschaftlichen Probleme in China ist es schwer zu sehen, warum es später passieren sollte.
Als Exportland ist China stark mit der ganzen Welt verknüpft und kann sich eigentlich keinen Krieg leisten. Wenn Russland einen guten Zeitpunkt für Europa suchen würde, würde auch ich auf 2026/2027 tippen, denn Europa investiert jetzt stark in Technologie und Verteidigung und wird bis 2030 große Fortschritte machen.
Ihr bezeichnet euch als „Defense Tech“. Ist es am Ende nicht so, dass Technologie auch für offensive Zwecke eingesetzt werden könnte?
Wir in Europa haben eine Verteidigungsarmee. Die Wahrscheinlichkeit, dass Europa einen Angriffskrieg führt, halte ich für null. Der einzige Grund, warum wir unser Militär einsetzen, ist zur Selbstverteidigung, daher ist es immer Verteidigungstechnik.
Wir wollen das nächste Level bei der Technologisierung und Digitalisierung unserer Streitkräfte herbeiführen, damit wir eine höhere Effektivität haben. Investitionen in Defense sind immer auch Investitionen in alles, was danach kommt. Der Defense-Sektor ist oft der erste Innovator, danach kommt der kommerzielle Sektor.
Mobile Robotik ist keine Exklusivität von Defense. Wir sehen hier eine Technologie, die sich jetzt im Militärbereich beweisen wird, aber Stück für Stück Einzug in alle Bereiche unseres normalen Lebens halten wird.