miss: „Für uns wird der gescheiteste Weg sein, Inhalte nur noch auf Facebook zu publizieren“
Das für junge Frauen konzipierte Magazin miss ist im digitalen Bereich eine Ausnahmeerscheinung: Mittlerweile mehr als 90 Prozent der etwas mehr als 1,1 Millionen Unique Clients (bei mehr als 5 Mio. Visits im November) kommen via Facebook zu den Online-Angeboten des Styria-Titels. Mit mehr als 230.000 Facebook-Likes kann sich miss auch mit großen Titeln aus Deutschland messen, und in den Social News Charts, die regelmäßig auf TrendingTopics.at veröffentlicht werden, kann miss Online-Zeitungen wie kleinezeitung.at, kurier.at oder heute.at überholen.
Jochen Hahn, Head of Product Management Digital der Styria Media Group AG und miss Brand-Manager, gibt im Interview detaillierte Einblicke in die Facebook-Strategie des Titels.
Können Sie die Digital-Strategie der miss kurz skizzieren? Warum der starke Fokus auf Facebook?
Jochen Hahn: Die Kernzielgruppe der miss sind Frauen zwischen 16 und 35 Jahren. Keine andere Zielgruppe ist derart Social Media- und Smartphone-affin. Daher haben wir Social Media als strategischen Mittelpunkt unserer redaktionellen Arbeit definiert und das Smartphone als Kern-Device. Das ist die Basis unseres Geschäfts.
Gibt es internationale Vorbilder bei der Digital-Strategie?
Im Prinzip keine. Der miss-Weg ist einzigartig und stets überaus opportunistisch. Wir orientieren uns an einem Zielgruppen-Megatrend im Mediennutzungsverhalten und dem ordnen wir alles unter. Manche Mechanismen sind vergleichbar mit Buzzfeed. Im Kern geht es uns jedoch darum, das Engagement, also einen qualitativen Parameter, auf Facebook derart auf die Spitze zu treiben, dass dadurch Userinnen enorme Markenbindung entwickeln und uns auf alle Marken-Kanäle folgen – auch in das miss-Magazin. Dabei werfen wir auch immer mehr über Bord, was sogenannte Social-Media-Experten an Grundsätzen und Erfolgsregeln ausrufen. Wir machen sehr oft das völlige Gegenteil und monitoren alle Erfolgsparameter bis in die letzte Faser.
Wenn miss mehr als 90 Prozent des Traffic via Facebook bekommt, fürchten Sie da nicht eine starke Abhängigkeit von der Firma und den Änderungen im Algorithmus, die immer wiederkehren?
Nein, Facebook und alle anderen Social Networks sind eine riesige Chance und niemals eine Gefahr. Die miss-Story hat Facebook zum Fundament, dort saugen wir eine gigantische Reichweite, dort sind wir für die Zielgruppe immer erreichbar und inhaltlich omnipräsent. Das wird sich nicht verändern oder verschlechtern, sondern laufend verstärken.
Haben Sie auch einen Rückgang der organischen Reichweite beobachtet? Wenn ja, müssen Sie diesen Rückgang mit Ads ausgleichen?
Nein, wir haben bislang bei keiner Algorithmus-Veränderung negative Auswirkungen verspürt. Ganz im Gegenteil, wir haben immer profitiert. Das liegt daran, dass wir sehr viele Facebook-Trends antizipieren oder uns sofort danach ausrichten. Wir haben eine junge Redaktion die unseren Userinnen entspricht. Um es deutlich zu sagen: Bei der miss schreibt die Zielgruppe für die Zielgruppe, daher funktionieren unsere Inhalte viral so wunderbar. Das ist unser USP gegenüber der alternden Frauen-Medien-Konkurrenz. Dazu gehört auch eine Chefredaktion, die digitales Geschäft versteht und entsprechende Freiheiten für Mitarbeiter ermöglicht. Wir sind wie ein Start-up organisiert, bei uns soll, darf und muss sich jeder inhaltlich entfalten können.
Wie viel investieren Sie in etwa pro Monat in Facebook-Ads, und welche Werbeformen sind am sinnvollsten?
Deutlich weniger als man aufgrund des massiven Traffics vermuten könnte (lacht). Punkto Werbeformen ist es so wie mit allen Inhalten auf Facebook: Die Favoriten wechseln, man muss laufend nachjustieren, es ist eine Wissenschaft. Jedoch eine, die sich wirklich lohnt. Facebook verändert ja für Kunden laufend seine Werbemöglichkeiten und Tools, daher gilt: Was heute funktioniert, kann morgen schon wieder ein Underperformer sein. Wir schrauben und tüfteln täglich.
Wird die Miss „Instant Articles“ bringen? Und: Würden sie Facebook die Vermarktung überlassen oder selbst machen?
Wir werden es uns sicher ansehen und aktiv testen. Ich gehe davon aus, dass es für uns aus Reichweitengründen auch über kurz oder lang der gescheiteste Weg sein wird, Inhalte nur noch auf Facebook zu publizieren. Das hätte auch eine höchst positive Kostenindikation, das Betreiben einer Website-Infrastruktur kostet ja auch den ein oder anderen Euro. Ob wir uns dabei selbst vermarkten oder irgendwann das Ruder an Facebook übergeben ist jetzt noch nicht zu entscheiden. Denkbar ist alles, am Ende des Tages geht es um die Höhe der möglichen Erlöse.
Welche Inhalte funktionieren am besten? Listicles wie bei Buzzfeed?
Den Leserinnen geht es sehr oft um Unterhaltung, daher sind Listicles natürlich eine Sache, die auch bei uns beliebt ist und funktioniert. Oft sind es aber auch einfach Service-orientierte Stories zu den Themen Haare oder Selbstvertrauen, und natürlich die eine oder andere Sex-Story. Dabei muss dann nicht mal die Headline besonders spektakulär sein. Von klassischem Click Baiting haben wir uns eigentlich rasch verabschiedet, wir setzen auf höchstes Engagement und dafür müssen die Inhalte einfach zu 100 Prozent zur Zielgruppe passen. Inhalte, Postings und Teaser müssen einen Wiedererkennungswert haben. Das gilt auch für das Community-Management. Wir sind blitzschnell für unsere Userinnen da und antworten wie eine Freundin. Das hat höchsten Impact auf die Markenbindung.
Ich nehme an, Miss wird vor allem via App bzw. mobil gelesen. Ist die App eine Möglichkeit, mehr Direktzugriffe zu machen?
Wir haben die miss-App im Februar mit dem Ziel gelauncht, hochloyale Power-User zu binden, die dem „alten“ Desktop-Direct-Traffic entsprechen, den alle klassischen Medien-Marken sukzessive verlieren und gegen Social- oder Search-Traffic eintauschen. Dieses Ziel haben wir bislang übererfüllt: Die Qualität des Userverhaltens in der miss-App sprengt alle unsere Erwartungen und eröffnet punkto Engagement der User sogar eine neue Dimension.
Glauben, Sie in Zukunft unabhängiger von Facebook werden zu müssen, z.B. über andere Kanäle wie WhatsApp, Snapchat, native App, Newsletter?
Wir schauen uns andere Plattformen an und engagieren uns, nicht der Unabhängigkeit von Facebook wegen, sondern weil wir immer mit Inhalten dort dominant sein wollen, wo sich die Zielgruppe gerade überwiegend aufhält und was sie cool findet. Sollte das in drei Jahren Snapchat sein, dann werden wir unseren Fokus auf Snapchat legen. Die miss-Redaktion hat all das auf dem Radar. Ich denke aber, dass die Dominanz von Facebook eher noch zunehmen wird.
Wie sieht das Verhältnis Print- und Digitaleinnahmen bei miss aus?
2016 wird es 50:50 sein.
Ist Native Advertising ein Thema für miss, und wenn ja, wie sieht die native Werbung bei Miss aus?
Native Ads spielen jetzt schon eine zentrale Rolle in unserer Monetarisierungs-Strategie. Wir haben als Mittelpunkt der miss-Organisation eine Unit aufgestellt, die sich nur dem Thema Content Marketing verschrieben hat. missMIND ist eine Inhouse-Agentur, die zwischen Redaktion und Verkauf positioniert ist, das beste von beiden Seiten inhaliert und so perfekte Umsetzungen für Kunden produziert. Deswegen ist die miss-App auch völlig frei von klassischer Werbung, also keine Banner, Interstitials etc. Wir bespielen unsere Community auf allen digitalen Kanälen mit zielgruppengerechtem, viralem Content, und da werden Kunden laufend transportiert. Wir schaffen dadurch in der miss-App massiv höhere Monetarisierungsraten als auf miss.at. Und Basis von all dem ist unser Engagement auf Facebook, von wo wir immer mehr Userinnen in die miss-App locken – und dort gehören sie dann uns!