Coronavirus: Die Sache mit dem Klopapier
Fotos von leeren Regalen und Schlangen an der Supermarktkassa dominieren die Chatverläufe dieser Tage. Auffällig dabei: Klopapier, sonst eher ungeliebte, weil unhandliche Ware, erfreut sich während der Coronavirus-Krise immenser Beliebtheit. Warum ist das so? Eine Spurensuche.
Lagebericht aus einem Hofer im zehnten Bezirk: Menschenmassen schieben sich durch die Gänge, MitarbeiterInnen bringen Kistenweise Nachschub und ein klein wenig liegt Anspannung in der Luft. Aber: Egal ob Brot, Milch, Nudeln, Erdäpfel oder Bohnen – die „wichtigsten“ Güter – oder zumindest die derzeit beliebtesten – sind allesamt verfügbar. Klar, es mag vereinzelt an Marken oder spezielleren Produkten mangeln, die Grundversorgung ist aber nicht gefährdet. Das bestätigte heute auch der Handel.
Wohin kommt das Klopapier?
Eine Sache fällt dann aber doch auf: Küchenrolle, Taschentücher und vor allem Klopapier sind mittlerweile tatsächlich vielfach vergriffen. Das wirft Fragen auf: Ist Toilettenpapier in weniger großen Mengen lagernd als beispielsweise Nudeln? Was veranlasst Menschen dazu, derartige Mengen zu hamstern? Oder wird Klopapier gar die Währung der Krise?
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Natürlich nicht. Bei ernsthafterer Betrachtung dürfte der Coronavirus-bedingte Wahn ums Klopapier durchaus psychologisch zu analysieren sein. Zwei Ideen: Einerseits ist Klopapier (zumindest beim Discounter) oft deutlich sichtbar gestapelt. Klopapier braucht viel Fläche am POS und es sticht darum ins Auge, wenn viel davon weg ist. Fehlen einige Packungen mehr, hat das zur Folge, dass noch mehr gekauft wird – weil es „ja alle machen“ und die Angst steigt, dass der Nachschub wirklich versieben könnte. Hamsterkäufe mit zehn Packungen Klopapier und mehr, sonst maximal als mieses Beispiel im Mathebuch belächelt, werden dann schnell Realität.
Handkes Betrachtungsweise
Jetzt wird aber Wasser auch in der Krisensituation sicher nicht zur Mangelware – und Klopapier ist damit (und ohnehin) nicht lebensnotwendig. Auf jeden Fall ist es ersetzbar. Also muss ein zweiter Ansatz her. Den verfolgt auch der Tagesspiegel eloquent in einer Kolumne. Dem stillen Örtchen wird eine gewisse Distanz, eine Form von Abschottung beschieden. Wer auf dem Topf sitzt, hat in der Regel ein paar Minuten für sich. Schon Peter Handke schrieb 2011 in seinem Werk „Versuch über den Stillen Ort“: „War mein Aufsuchen der Stillen Orte, im Lauf des Lebens gleichsam weltweit, immer wieder auch ohne spezielle Notwendigkeit, vielleicht ein Ausdruck, wenn nicht von Gesellschaftsflucht, so doch von Gesellschaftswiderwillen, von Geselligkeitsüberdruss?“
Weltflucht am WC
Soll heißen: Das WC könnte das Gefühl einer gewissen „Weltflucht“ vermitteln. Die paar Minuten auf meist wenigen Quadratmeter lassen zur Ruhe kommen, das stille Örtchen sorgt für einen Moment des innerlichen Abschaltens. In Zeiten vereinzelter Panik, zumindest aber grassierender Verunsicherung, von medialem Dauerfeuer und nur einem Thema in Beruf und Privatleben kann die Ruhe auf dem Klo fast Sehnsüchte erwecken. Und das Klo wiederum ist untrennbar mit dem Klopapier verbunden.
Objektiv betrachtet ist das Hamstern nicht notwendig, weil auch antisozial – zehn Packungen für mich wären jeweils zwei Packungen für fünf Familien. Das Ganze müssen wir vielleicht also viel mehr als Versuch einer Abschottung, zumindest unterbewusst, betrachten. In unsicheren Zeiten sucht der Mensch nach einem sicheren Hafen – und findet ihn mitunter am Klo.