Figma: „AI-Modelle kennen das öffentliche Internet, MCP gibt ihnen Wissen über das private“

Eine Bewertung von mehr als 40 Milliarden Dollar – und das, obwohl der Aktienkurs nach dem sensationellen Start vergangene Woche auch wieder ordentlich nachgegeben hat. Nichtsdestotrotz ist der IPO von Figma ein voller Erfolg gewesen und bestätigt einmal mehr: Ohne die Design-Software kommen heute Unternehmen mit digitalen Produkten kaum mehr aus. VW, BMW, Lufthansa, N26, Deutsche Bank, Porsche, Spotify, Netflix, Hello Fresh, New York Times, Airbnb, Google, Decathlon, SAP oder die Erste Group Bank aus Österreich, sie alle setzen Figma ein.
Emil Sjölander, Director of Engineering bei Figma, ist intensiv damit befasst, dass die Software gut und sinnvoll mit AI-Modellen und Dingen wie dem MCP (Model Context Protocol) integriert wird. Im Interview spricht er darüber, wie Figma zum Tool für Entwickler wurde, wie MCP eingesetzt wird, auf welche AI-Modelle das Unternehmen baut – und was KI trotz allem nicht ersetzen kann.
Trending Topics: Könnten Sie sich zunächst bitte vorstellen? Was ist Ihre Rolle bei Figma?
Emil Sjölander: Gerne! Mein Name ist Emil und ich bin Director of Engineering bei Figma. Dort leite ich unsere Developer Tools. Das umfasst den Dev Mode, den MCP Server und Features wie Annotations – im Grunde alles, was unserer Entwickler-Zielgruppe hilft. Es ist interessant: 30% der Menschen, die Figma nutzen, sind Entwickler, und ich leite das Team, das genau diese Nutzer bedient.
Figma begann ja als Tool für Designer. Wie hat sich diese Entwicklung hin zu 30% Entwicklern vollzogen?
Das stimmt, Figma startete als Design-Tool, aber mit dem grundlegenden Verständnis, dass am Designprozess bei weitem nicht nur nur Designer daran beteiligt sind. Von Tag eins an war klar: Es ist ein Tool für Designer, aber auch für Entwickler, Product Manager, Marketer – wirklich jeden, der an Produktentscheidungen beteiligt ist.
Designer erstellen natürlich die Mock-ups und sind ein zentraler Teil des Prozesses. Aber Ingenieure sind entscheidend für Feedback zur technischen Machbarkeit, genauso wie Product Manager und alle anderen Beteiligten. Figma ist eine End-to-End Produktdesign-Plattform, die Workflows für alle diese Gruppen umfasst.
Sie gelten als Erfinder des Dev Mode. Können Sie für jemanden ohne Entwicklungshintergrund erklären, was das ist?
Ich bin vor viereinhalb Jahren zu Figma gekommen, um unsere Entwickler-Zielgruppe besser zu bedienen. Obwohl Figma von Anfang an eine Plattform für alle am Designprozess Beteiligten war und 30% unserer Nutzer Entwickler sind, war das Tool vor fünf Jahren noch nicht für Entwickler optimiert.
Das Problem: Als wir Figma mit mehr Funktionen für Designer ausstatteten, wurden die Entwicklertools für Entwickler schwerer zu finden. Es gab einfach so viele Dinge, die man mit Figma tun konnte. Als wir mit Entwicklern sprachen, erkannten wir die Chance, eine separate Ansicht zu schaffen – den Dev Mode.
Es ist eine andere Sicht auf dieselbe Figma-Datei, die speziell für Entwickler-Anwendungsfälle optimiert ist. Entwicklertools stehen im Vordergrund, sind leicht zu finden und zu nutzen. Im ursprünglichen Design Mode konnten wir Entwickler-spezifische Tools nicht prominent platzieren, weil Designer sie nicht unbedingt brauchten. Wir brauchten einen neuen Raum, wo wir diese Tools in den Mittelpunkt stellen konnten.
Dieses Konzept haben wir seitdem mehrfach angewendet. Mit Figma Slides bemerkten wir, dass viele Menschen Präsentationen in Figma erstellen, aber die UI war nicht dafür optimiert. Also bauten wir einen separaten Bereich mit einer neuen UI – es ist dieselbe zugrundeliegende Design-Datei, aber mit einer für diesen Anwendungsfall optimierten Oberfläche.
Es wird gerade viel über GitHub Copilot, Cursor, Lovable und ähnliche Tools geredet. Sehen Sie diese als Konkurrenten zum Dev Mode oder als etwas völlig anderes?
Es ist eher eine Ergänzung. Lassen Sie mich erklären, wie wir diese Tools bei der Produktentwicklung bei Figma einsetzen: Wir nutzen Figma und speziell FigJam für Ideenfindung, Meetings und Zusammenarbeit. Dann verwenden wir Figma Design, um diese Ideen in Mock-ups zu visualisieren.
Kürzlich haben wir Figma Make angekündigt – unser KI-Prototyping-Tool, mit dem man von Visuals in Figma und Prompts innerhalb von Minuten zu Prototypen gelangt. Wir nutzen das intensiv, um durch hunderte von Ideen in sehr kurzer Zeit zu iterieren.
Dann nutzen unsere Entwickler – viele verwenden Cursor als IDE – unseren Figma MCP Server, um den Kontext des Designs in Cursor zu bringen. Das ergänzt sich perfekt: Cursor kennt den Code in Ihrer Codebasis, weiß aber nichts über Ihre Designsprache. Es weiß, was Sie vorher gebaut haben, aber nicht, was Sie als nächstes bauen wollen – das steht in Figma.
Mit MCP verbinden wir das, was Sie bauen wollen, mit dem, was Sie bereits gebaut haben. So arbeiten Figma und Tools wie Cursor wirklich als Ergänzung zusammen.
Könnten Sie den Iterationsprozess etwas genauer erklären?
Figma möchte jeder Firma helfen, das bestmögliche Produkt für ihre Nutzer zu bauen. Dabei glaube ich an zwei Kernprinzipien:
Erstens entstehen die besten Produkte durch Zusammenarbeit. Früher haben Designer etwas designt und sechs Monate später hat es der Entwickler implementiert – sehr linear und wasserfallartig. Das führt zu schlechten Produkten, weil man nur eine Version baut und Feedback zu spät kommt.
Mit Figma bringt man alle, die am Prozess beteiligt sind, an einen Ort und arbeitet parallel zusammen. Ingenieure können sofort Feedback geben wie „Das wird langsam sein“ und der Designer kann es direkt anpassen. Das geht über Designer und Ingenieure hinaus – das Marketing, sogar die Rechtsabteilung sollten von Anfang an dabei sein.
Das zweite Prinzip: Die erste Version jedes Produkts ist nicht sehr gut, die 100. Version ist viel besser. Wir wollen unseren Usern ermöglichen, schnell zu iterieren. Früher dauerte jede Iteration zwei Wochen, jetzt mit Figma Make dauert sie zwei Minuten. Das bedeutet, wir können 100 Mal am Tag Feedback einbauen, was zu einem viel besseren Endprodukt führt.
Wenn Sie MCP sagen, beziehen Sie sich auf das Protokoll von Anthropic?
Genau. MCP ist das Model Context Protocol – eine Möglichkeit, Modellen mehr Kontext zu liefern und ihre Wissensbasis zu erweitern. Diese Modelle kennen das öffentliche Internet, aber MCP gibt ihnen Wissen über das private Internet.
Während Modelle von Anthropic oder OpenAI wissen, wie man generell Code schreibt, wissen sie nichts über Ihr spezifisches Design in Ihrer Figma-Welt. Das Model Context Protocol erzählt dem Modell über Ihr spezifisches Designsystem, Ihre Muster, die Probleme, die Sie lösen wollen.
Ein klares Beispiel: Wenn ein Entwickler Cursor ohne MCP nutzt und sagt „Implementiere diesen Login-Screen“, wird Cursor einen generischen Login-Screen erstellen. Wenn Ihre Marke aber lustig, visuell und mit roten Highlights ist, wird Cursor trotzdem einen langweiligen Login-Screen, der nicht zum Rest passt, implementieren.
Mit Figma MCP sagen wir Cursor: „Das ist Ihr Stil, Ihre Sprache, diese Details.“ Dann bekommen Sie etwas, das Ihrem tatsächlichen Design sehr ähnlich ist und so spart man Zeit, die man für weitere Iterationen nutzen kann.
Auf dieser Konferenz wird viel diskutiert, ob KI-Modelle Entwickler ersetzen werden. Was ist Ihre Sicht darauf?
Es ist nicht schwarz-weiß. Wir glauben, dass KI und Menschen zusammenarbeiten werden. KI hilft uns, die Obergrenze dessen zu erhöhen, was Menschen tun können, indem es ihnen Superkräfte gibt, aber auch die Untergrenze zu senken.
Mit Figma Make können jetzt auch Entwickler Design-Vorschläge machen, die sich vorher nicht trauten, weil es ihnen zu schwierig erschien,Figma zu nutzen, wenn sie keine Erfahrung damit hatten. Mit Figma Make können nun auch Entwickler Design-Vorschläge machen. So senkt sich die die Untergrenze dessen, was Menschen machen können, so dass mehr Menschen am Prozess beteiligt sind. Es gibt auch Designern Superkräfte, die sie nie hatten. Kurz: das Tool erweitert die Bandbreite dessen, was möglich ist, wie auch den Kreis der Nutzer.
KI ist definitiv besser als Menschen bei manchen Sachen – zum Beispiel tippt die KI schneller als ich. Aber sie ist viel schlechter darin zu verstehen, was Nutzer brauchen und darin, nuancierte Entscheidungen zu treffen. Da kommt die Zusammenarbeit zwischen KI und Mensch ins Spiel, und das ist super spannend.
Welche KI-Modelle sind in den Dev Mode integriert?
Wir nutzen verschiedene Anbieter, weil manche bei bestimmten Aufgaben besser sind als andere. Figma Make wird von Anthropics Claude-Modellen angetrieben, für Bildgenerierung nutzen wir häufig OpenAIs Modelle. Wir evaluieren das laufend und wählen für jedes Feature das beste Modell aus, anstatt zu sagen „Das ist das beste Modell für Designer“.
Wenn Sie in die nächsten zwei bis drei Jahre blicken, wie wird sich das entwickeln?
Die Modelle werden definitiv besser werden – das sehen wir fast jeden Monat. Was wir besonders spannend finden ist die Entwicklung um Dinge wie MCP, weil man mit generischem Wissen vieles nur begrenzt machen kann. Spezifisches Unternehmens-Wissen mit reinzubringen – darauf konzentrieren wir uns.
Außerdem sehen wir bereits einen Übergang von einzelnen kurzen Aufgaben zu länger laufenden, komplexeren Aufgaben. Das wird sich definitiv weiterentwickeln und mehr zum Thema über das nächste Jahr werden.
Was denken Sie über Voice Interfaces? Könnte ich sagen „Mach mir eine grüne Version von X“?
Solche Dinge sind definitiv möglich. Ich denke, wir werden verschiedene Modalitäten für verschiedene Dinge haben – Stimme, Tastatur und andere. Viele Menschen nutzen Figma heute ohne Tastatur wegen Mobilitätsproblemen, und das müssen wir unterstützen.
Dann gibt es Menschen, die viel schneller tippen als sprechen. Und manchmal ist es schwer zu sagen „Ändere das Icon oben rechts, aber nicht ganz oben rechts, daneben“ – es ist einfacher zu zeigen und zu sagen „Ändere das Ding“, als wenn man darauf zeigen würde.
Man will multimodal arbeiten, und das sehen Sie heute in Figma, wo Sie Prompts in Make nutzen, aber auch auf Prototypen klicken können, um dem Modell zu zeigen, was Sie ändern möchten.
Braucht man einen gewissen Grad an Professionalität, damit KI-basierte Tools funktionieren?
Ich würde es nicht als Professionalität klassifizieren. Man muss den Nutzer verstehen, aber worüber ich mit Figma Make wirklich begeistert bin: Es wird so schnell und einfach, Software oder Prototypen zu erstellen. Sie verbringen zwei Minuten in Figma Make – das ist sehr wenig Zeit.
Sie müssen nicht mehr Anwendungen für eine Milliarde Menschen bauen, Sie können auch Anwendungen für sich selbst bauen. Den Nutzer zu verstehen bedeutet dann, quasi sich selbst zu verstehen.. Jeder kann Software für sich selbst bauen, weil jeder sich selbst versteht.
Das erinnert an die 1990er und frühen 2000er mit Dreamweaver und WYSIWYG-Editoren. Wie sehen Sie Adobes Bewegung in diesem Bereich?
Ich kann nicht über deren Roadmap sprechen, aber wir sind enthusiastisch wenn es darum geht, KI durchdacht in unserem Produkt-Portfolio zu integrieren. Wir haben viel KI in unser Kernprodukt Figma Design integriert, damit Menschen mehr und coolere Sachen machen können, und das schneller. Aber auch um völlig neue Produkte wie Figma Make für neue Workflows zu entwickeln.
Wir sind sehr nutzerorientiert bei Figma – sogar Junior-Ingenieure in meinem Team sprechen ständig mit Kunden. Wir sind sehr kundenorientiert und versuchen, die Bedürfnisse unserer Kunden zu bedienen.
Was sind die bekanntesten Apps und Websites, die mit Figma gebaut wurden?
Ich werde keine Top-Rangliste nennen, aber die mit Figma gebauten Produkte bedienen Milliarden von Nutzern weltweit. Wir haben fantastische Kunden und Partner – vom Startup, das gestern gegründet wurde, bis zu den größten Unternehmen.