Interview

„Österreich sollte mittelfristig zu einer Scale-up-Nation werden“

Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG, und Klara Sekanina, Direktorin der Schweizerischen Studienstiftung. © Rat-FTE
Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG, und Klara Sekanina, Direktorin der Schweizerischen Studienstiftung. © Rat-FTE

Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung (Rat-FTE) ist das wichtigste Beratungsorgan der Regierung zu allen Fragen der Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitik – und wird seit kurzem von zwei Frauen geleitet. Klara Sekanina, seit 2019 die Direktorin der Schweizerischen Studienstiftung, hat den Vorsitz übernommen, und Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG, ist nun stellvertretende Vorsitzende.

Auf die beiden kommen ganz große Fragen zu, die besser früher als später beantwortet werden sollten: Wie kann Österreich endlich zu einem Innovation Leader werden? Wie können Österreichs Unis mehr Spin-offs erzeugen? Wie schafft man bessere Voraussetzungen für Startups und Scale-ups? Wie muss Europa agieren, um seine Abhängigkeit von den USa und China zu minimieren?

Über diese und viele weitere Fragen sprechen Sekanina und Herlitschka im großen Interview mit Trending Topics.

Frau Sekanina, mit welchen Zielen treten Sie Ihre Position als Vorsitzende des Rates für Forschung und Technologieentwicklung an?

Klara Sekanina: Der Forschungsrat setzt sich mit Fragen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit auseinander und macht sich für den Forschungs- und Innovationsstandort Österreich stark. Das Land hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Bezug auf Forschung, Technologie und Innovation gut entwickelt und nimmt heute eine Position im vorderen Mittelfeld ein. Insgesamt hat jedoch die Dynamik nicht ausgereicht, um ins Spitzenfeld, also zu den sogenannten „Innovation Leaders“, vorzustoßen.

Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung hat in den vergangenen, Jahren daher wiederholt Empfehlungen für mehr Innovationsdynamik abgegeben, mit dem damit verbundenen Appell für eine ausreichende Finanzierung. Das werden wir auch in Zukunft so halten und dazu die umfangreiche Expertise aller Ratsmitglieder nutzen.

Corona-Krise, Digitalisierungsschub, Handelskrieg, Klimakrise: Sie kommen in einer brisanten Phase an die Spitze des Forschungsrates. Welche Schwerpunkte werden Sie setzen? Felder gibt es ja viele – von ethischer AI über CleanTech bis hin zu Life Sciences.

Klara Sekanina: Die von ihnen genannten Punkte sind aktuell tatsächlich unsere größten Herausforderungen, unterscheiden sich aber sehr hinsichtlich der zu ihrer Lösung notwendigen Maßnahmen. So können wir hoffen, dass wir gegen Covid-19 schon in absehbarer Zeit einen Impfstoff oder zumindest wirksame Medikamente bzw. Therapien haben werden. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind für viele Wirtschaftsbereiche gravierend und werden uns länger beschäftigen. Der Digitalisierungsschub hingegen bietet eine Chance, die wir unter Berücksichtigung der ethischen Fragestellungen noch stärker nutzen wollen. Der Handelskrieg wiederum ist eine politische Auseinandersetzung.

Der Klimawandel gehört sicherlich zu den größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Hier braucht es weitreichende Schritte sowohl auf internationaler Ebene als auch von jedem einzelnen Staat. Wir alle sind gefordert, d.h. jeder einzelne Bürger und jede Bürgerin, eine Bereitschaft zu entwickeln, um Dinge neu zu denken und anzupacken. Es gilt die Forschungs- und Innovationspolitik missionsorientiert auf die globalen Herausforderungen auszurichten. Denn gerade auch Forschung und Entwicklung werden eine ganz entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen.

Hinsichtlich der von Ihnen angesprochenen künftigen Schwerpunktsetzung des Forschungsrates sind wir als Gremium gerade dabei, diese zu diskutieren, um sie in der nächsten Ratssitzung beschließen zu können.

Ihr Vorgänger Hannes Androsch hat dieses Jahr bemängelt, dass das heimische FTI-System im internationalen Vergleich nur mittelmäßig ist. Welche Maßnahmen gilt es zu setzen, um Österreich zu einem „Innovation Leader“ zu machen?

Klara Sekanina: Der Rat hat in der Vergangenheit eine Reihe von zentralen Empfehlungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des österreichischen FTI-Systems abgegeben. So sollten auch in der nahen Zukunft die Mittel für F&E trotz der angespannten Budgetsituation auf einem sinnvollen Steigerungspfad gehalten werden. Denn gerade in Krisenzeiten hat der Staat die wichtige Verantwortung, Investitionen in Bildung, Wissenschaft, Technologie und Innovation zu intensivieren.

Zentral ist außerdem die Optimierung des Bildungssystems, wobei insbesondere das Problem der sozialen Selektivität und der „Bildungsvererbung“ angegangen werden muss. Zudem muss der Digitalisierungsgrad in benachteiligten Haushalten verbessert werden, um das Problem des Digital Divide systematisch anzugehen. In der Hochschulbildung braucht es einen Change-Prozesses mit dem Ziel, ein Studierenden-zentriertes Hochschulsystem mit effizienten Studienverläufen zu ermöglichen. Dabei sollte – gerade auch aufgrund der aktuellen Erfahrungen in Zusammenhang mit der Corona-Krise – ein starker Fokus auf die Nutzung des Potenzials der Digitalisierung gelegt werden.

Schließlich muss noch der Bereich der innovativen Unternehmensgründungen angesprochen werden. Hier gilt es, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für innovative Start-ups und akademische Spin-offs zu verbessern. Branchen mit hohen Wachstumschancen müssen in Form entsprechender Förderungen gezielter unterstützt werden, damit sich Österreich diesbezüglich von seiner Position des Nachzüglers verbessern kann.

Frau Herlitschka, als neue stellvertretende Ratsvorsitzende und Vorstandsvorsitzende eines sehr forschungsintensiven Unternehmens kennen Sie die Budget-Planung der Regierung sehr gut. Diese bringt mehr Geld für Forschung und Digitalisierung, aber auch neue hohe Schulden. Ist das Budget aus Ihrer Sicht richtig gewichtet?

Sabine Herlitschka: Es ist richtig, dass das neue Budget ein weit höheres Defizit bringt und damit den Gesamtschuldenstand weit nach oben treibt. Dies ist aber vor allem konjunkturbedingt auf die Corona-Krise zurückzuführen. Die Antwort der Regierung auf die Krise in Form des nun höheren Defizits war sicherlich adäquat, um so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten zu können.

Aktuell ist es angesichts dessen, dass wir uns immer noch mitten in der Krise befinden, schwierig zu beurteilen, ob die Gewichtung schlussendlich richtig gewesen sein wird. Natürlich würde sich der Rat für den Forschungsbereich mehr Mittel wünschen, denn nicht zuletzt ist aus der ökonomischen Forschung bekannt, dass F&E-Investitionen langfristig die höchsten Renditen für eine Volkswirtschaft abwerfen.

Dennoch ist es angesichts der Verwerfungen am Arbeitsmarkt und den dadurch bedingten massiven gesellschaftlichen und budgetären Auswirkungen schwierig, noch mehr Mittel für F&E einzufordern. Die aktuelle Budgetplanung ist angesichts dieser größten Krise seit dem 2. Weltkrieg ein starkes Zeichen für das Bekenntnis der Regierung zu Forschung und Technologie. Insbesondere möchte ich auch hervorheben, dass es für die Universitäten ein Budgetsteigerung von 1,2 Milliarden Euro geben wird, ebenso wie für die Fachhochschulen plus 137 Mio. Euro, immerhin die erste Erhöhung seit 2016.

Immer wieder wird beklagt, dass Österreich zwar viel forscht, aber Ausgründungen von Universitäten (also die Übersetzung von wissenschaftlichen Ergebnissen in den Markt) nur selten gelingen. An der ETH Zürich, die Sie, Frau Sekanina, gut kennen, gelingt das besser. Warum schafft Österreich das nicht?

Klara Sekanina: Im Zuge der Umsetzung der FTI-Strategie wurden die Rahmenbedingungen für Ausgründungen verbessert. Es wurden Anschubfinanzierungen bereitgestellt, Netzwerke geschaffen und die Sichtbarkeit für diese alternativen Karrierepfade erhöht. Unser „Bericht zur wissenschaftlichen und technologischen Leistungsfähigkeit 2020“ stellt fest, dass Österreich im internationalen Vergleich im Gründungsbereich nach wie vor schlecht abschneidet.

Zu den wesentlichen Gründen gehört die mangelnde Risikobereitschaft, und die damit einhergehende geringe Bereitwilligkeit von Uni-Absolvent*innen und Mitarbeiter*innen, Unternehmen zu gründen. Auch die Gründungsmotivationen sind oftmals negativ geprägt, wenn etwa Unternehmensgründungen nicht als Chance, sondern als Notwendigkeit betrachtet werden. Und nicht zuletzt leiden wir auch unter einer mangelhaften Gründungsfinanzierung, in der fehlenden Berücksichtigung unternehmerischer Bildung auf allen Ebenen des Bildungssystems sowie einer fehlenden Kultur des Scheiterns.

Frau Herlitschka: Österreich ist, das zeigt der internationale Vergleich, noch immer kein Gründerland. Muss es das werden oder sollte man sich andere Ziele setzen?

Sabine Herlitschka: Unternehmensgründer*innen sind wichtige Akteure in einem erfolgreichen Innovationssystem. Neben der Tatsache, dass sie den  Wettbewerb beleben, haben sie eine ganz zentrale Aufgabe, um Innovationen zu beschleunigen. Große Unternehmen haben meist komplexe Systeme, können daher zwar nicht so schnell sein wie kleine Unternehmen, verfügen aber über die ganz wichtige Kompetenz, Forschungsergebnisse in die tatsächliche, funktionierende Produktion zu bringen.

Darüber hinaus haben große Unternehmen ausgeprägte Stärken, um Produkte und Technologien erfolgreich auf Märkte zu bringen. Genau darin findet sich die perfekte Ergänzung zu Unternehmensgründungen, im Medizin und Pharmabereich sieht man diese Entwicklung seit langem. Unternehmensgründer*innen kommen rasch mit Forschungsergebnissen, die von großen Unternehmen zur Produktionsreife und schlussendlich auf Märkte gebracht werden.

Gerade in einer datengetriebenen Gesellschaft und Wirtschaft spielen Unternehmensgründungen eine besonders wichtige Rolle. Die wertvollsten und heute für jeden präsenten Unternehmen wie Amazon, Facebook, YouTube, etc. haben als kleine Unternehmensgründungen begonnen. Sie haben vor allem durch Innovationen in ihren eigenen Geschäftsmodellen zu Wachstum, Beschäftigung und der Zukunftsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft beigetragen. Daher ist eine weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Gründung von Unternehmen in Österreich nach wie vor notwendig.

Darüber hinaus ist eine stärkere Fokussierung auf die so genannte Scale-up-Phase notwendig, um das Wachstum neu gegründeter Unternehmen dauerhaft abzusichern und womöglich zu potenzieren. Das Ziel, Österreich zu einer der dynamischsten Gründer*innen-Nationen zu machen, ist daher zwar nicht aufzugeben, allerdings sollte das Ziel eher darin bestehen, Gründungen als Pipeline für Scale-ups zu unterstützen und mittelfristig zur einer Scale-Up-Nation zu werden.

Frau Herlitschka, mit Ihnen als Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG hat der Forschungsrat eine Managerin an Bord, die die Chip-Industrie ausgezeichnet kennt. Nun gibt es die eindringliche Warnung von Hermann Hauser, der auch im Forschungsrat Mitglied ist, dass der Verkauf von ARM an Nvidia aus den USA Europa schwächen und die USA im Handelskrieg stärken wird. Welche Position nehmen Sie in der Sache ein? Muss der Verkauf von ARM an Nvidia gestoppt werden?

Sabine Herlitschka: Die geplante Übernahme von ARM durch Nvidia wirft in der Tat einige zentrale Fragen mit Bezug zur Technologiesouveränität Europas auf.

ARM verfügt über ganz zentrales Know-how und dominiert derzeit den Markt für Chips und Chiparchitektur für mobile Endgeräte. Vor einigen Jahren wurde das in U.K. gegründete und finanzierte Unternehmen an ein japanisches Unternehmen verkauft. Das war für Europa bereits ein technologiepolitisch strategischer Nachteil.

Stoppen ließe sich die Übernahme von ARM durch Nvidia nur aufgrund kartellrechtlicher Bedenken. Eine europäische Zustimmung zur Übernahme wäre aus heutiger Sicht wohl nur unter einer Bedingung denkbar: Aufrechterhaltung von ARM als eigenständiger Teil von Nvidia und Sicherung von ARMs Marktposition als neutraler Lieferant, der seine Lizenzen auch an mit Nvidia konkurrierende Unternehmen vergibt.

In Zeiten der sich verschärfenden geopolitischen Situation würde die Akquisition von ARM durch Nvidia eine weitere potenzielle Bedrohung der europäischen Technologiesouveränität bedeuten.

Jedenfalls wäre aus Sicht des RFTE zusätzlich zu einer kartellrechtlichen Prüfung der Übernahme bzw. als zukunftsfähige Alternative eine (noch stärkere) europäische Unterstützung der European Processor Initiative zur Entwicklung von europäischen ARM- und RISC-V-CPUs sinnvoll und notwendig.

Frau Sekanina, Sie kennen die ETH Zürich sehr gut, die ein Jahresbudget von knapp 1,8 Milliarden Euro hat. Es gibt natürlich den Wunsch, dass Österreich auch eine solche Einrichtung bekommt, aber dafür gibt es doch viel zu wenig Geld?

Klara Sekanina: Basis für die heutigen Erfolge sind die vergangenen getätigten Investitionen in Forschungsinfrastrukturen und Talente. Die ETH Zürich und mit ihr der gesamte ETH-Bereich durften auf kontinuierliche Investitionen in hervorragende Forschungsinfrastrukturen, und eine solide Sockelfinanzierung der Lehre, der Forschung und des gesellschaftlichen Engagements setzen. Eine solide Basisfinanzierung gewährleistet Planungssicherheit und erlaubt auch riskantere Forschung, die einen langen Atem braucht. Zusätzlich spielen kompetitive öffentliche und private Drittmittel im Budget damals und heute eine wesentliche Rolle.

Immer schon war die Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft ein wesentliches Erfolgsmerkmal, und ist es bis heute geblieben. Bereits 1918 gründeten Schweizer Industrieunternehmen mit der Volkswirtschaftsstiftung eine Stiftung zur Förderung von Forschung an Hochschulen und zur Verbesserung des Wissens- und Technologietransfers. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die öffentliche Forschungs- und Innovationsförderung zum Verfassungsauftrag und mit entsprechenden Budgets ausgestattet.

Der Blick auf das Jahresbudget der ETH lässt den Wunsch, in Österreich ein Institut ähnlicher Bedeutung und Sichtbarkeit zu installieren, aus heutiger Sicht vielleicht nicht realisierbar erscheinen. Aber auch die ETH-Zürich hat ihren Weg nicht an der Spitze begonnen.

Ein Beispiel, dass dies auch in Österreich möglich ist, findet sich unter anderem im IST Austria, bei dessen Finanzierungsvereinbarung die Basisfinanzierung und die eingeworbenen Drittmittel mit einer erfolgsorientierten Erhöhung dieser Mittel gekoppelt wurden. Der damit ausgelöste positive Effekt ist an der Erfolgs- und Leistungsbilanz des IST Austria eindrucksvoll abzulesen.

Man muss aber auch in Betracht ziehen, dass die derzeit geltenden Zugangsregelungen zu Universitäten in der Schweiz und in Österreich unterschiedlich sind, was unter anderem zu einem budgetrelevanten hohen Anteil an nicht prüfungsaktiven Studierenden in Österreich führt.

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