Jede:r Dritte hat Aktien: „Misstrauensvotum gegen die staatliche Vorsorge“

Christoph Boschan, nunmehr seit fast neun Jahren Chef der Wiener Börse, ist am Dienstagvormittag mit grundsätzlich guter Laune vor die Presse getreten. Denn er kann für die Wiener Börse AG im Geschäftsjahr 2024 neue Rekordzahlen berichten. Der Konzernumsatz stieg auf 81,8 Millionen Euro (2023: 78,9 Millionen Euro), während das Ergebnis vor Steuern erstmals in der Unternehmensgeschichte die 50-Millionen-Euro-Marke überschritt und bei 50,1 Millionen Euro lag (2023: 47,9 Millionen Euro).
Trotzdem nutzte Boschan die Bühne auch gleich, um einen “Originalbericht von der Front” abzuliefern. Denn die vielen Entbürokratisierungsmaßnahmen der älteren und jüngeren Vergangenheit gebe es aus seiner Sicht schlichtweg nicht. “Die Realität ist genau das Gegenteil, die Regulierungs-Dampflok fährt ‘full steam ahead’”, sagte Boschan. Er sehe eine exponentielle Zunahme der Regulierung im Finanzbereich, einen Regulierungs-Tsunami.
“Wo will man hin damit, was ist das Ziel?” Wirtschaftlich gesehen treffe eine stagnierende Ertragsseite auf eine inflationäre Regulierungsseite. Boschan fordert deswegen ein “sofortiges Regulierungs-Moratorium”. Neue Vorschriften dürfe es nur mehr geben, wenn mehrere alte abgeschafft werden. Auch bei der Wiener Börse merke man das. Als mittelgroßer Börsenplatz mit deutlich weniger Personal müsse man genau die gleichen Vorgaben erfüllen wie die Großen Frankfurt oder Euronext. Man habe deswegen “ein gewisses Plateau erreicht in den letzten drei Jahren erreicht”, eben weil die Aufwandsseite gestiegen sei.
30 Prozent halten bereits Wertpapiere
Boschan, am Dienstag mit Ökonom Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) an seiner Seite, geht es aber nicht bloß um die Wiener Börse, sondern ums Big Picture. Also um die langfristige Wertanlage bzw. die Möglichkeiten in Österreich dazu, Stichwort dritte Säule des Pensionssystems. In anderen Ländern längst gang und gäbe, konnte sich in Österreich die vergangene Schwarz-Grün-Regierung etwa nicht zu einer Behaltefrist durchringen, um langfristige private Aktieninvestments zur Vorsorge attraktiver zu machen – und im Regierungsprogramm von Schwarz-Rot-Pink würde sich schon gar nichts mehr zu dem Thema finden.
Eine Studie von Industriellenvereinigung, Aktienforum und Wiener Börse zeigt, dass der Wertpapierbesitz in der österreichischen Bevölkerung zunimmt: 30 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung besitzen inzwischen Wertpapiere, was einem Anstieg um fünf Prozentpunkte seit 2023 entspricht. “Das ist ein Misstrauensvotum gegen die staatliche Vorsorge”, sagte Boschan. Vor allem bei Jüngeren gebe es eine höhere Aktienquote – offenbar würden immer mehr die private Altersvorsorge selbst in die Hand nehmen wollen.
In Österreich müsse man nichts neu erfinden, man könne internationale Erfolgsmodelle einfach kopieren. “Es gibt einfach seit Jahrzehnten international erprobte Modelle”, so Boschan. Während Österreich etwa 15 Prozent des BIP für Pensionen aufwendet, liegen die Werte in Schweden und den Niederlanden mit ihren Kapitalmarkt-gestützten Systemen bei 7,5 bzw. 7,0 Prozent. Auch das norwegische Modell eines Staatsfonds wird als Beispiel für eine nachhaltige Vermögenssicherung für künftige Generationen angeführt.

Felbermayr: „Nutzung des Kapitalmarktes ist unverzichtbar“
WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr verwies ebenfalls auf internationale Beispiele wie Schweden und die Niederlande, die mit kapitalgedeckten Modellen den Staatshaushalt entlasten und gleichzeitig die Altersvorsorge sichern: „Die Nutzung des Kapitalmarktes ist unverzichtbar, wenn wir den demografischen Wandel, Staatsfinanzen und Innovationsdruck zugleich bewältigen wollen.“
Auch wenn es kurzfristig zu Einbrüchen am Aktienmarkt geben kann – wie etwa in Folge von Trumps Zoll-Ankündigungen – langfristig gesehen sei die Anlageform unschlagbar. Boschan: “Die derzeit volatilere Marktlage ändert nichts an der Tatsache, dass Aktien auf lange Sicht die sicherste und ertragreichste Veranlagungsform bleiben.“