Anyline baut bis zu 40% der Stellen ab, wendet sich vom VC-Modell ab

„Anyline muss sich neu erfinden.“ Das ist die Botschaft, mit der sich CEO Lukas Kinigadner bei Trending Topics gemeldet hat, und es ist gleich klar: Das wird schmerzhaft. Denn Anyline, nach fast 40 Millionen Euro Investments und mehr als zehn Jahren am Buckel, hat einen umfangreichen Stellenabbau angekündigt. Zwischen 30 und 40 Prozent der Arbeitsplätze werden über alle Abteilungen hinweg gestrichen, wie CEO Lukas Kinigadner mitteilte. Die Mannschaft von derzeit 100 wird also auf nur mehr 60 bis 70 zusammengeschrumpft.
Diese Maßnahme ist Teil einer strategischen Neuausrichtung des Unternehmens, die vollständig auf künstliche Intelligenz setzen soll. „Wir werden Anyline zu einem 100%-KI-Unternehmen und die Firma unabhängig von Finanzierungsrunden in der Zukunft machen“, erklärte Kinigadner. Die Entscheidung sei „kurzfristig negativ, mittelfristig positiv“ zu bewerten.
Anyline wurde nach stattlichen Finanzierungsrunden in der Vergangenheit immer wieder von Rückschlägen durchgebeutelt. So mussten 2023 etwa 20% der Stellen gekürzt werden, im gleichen Jahr erreichte man aber auch den höchsten Umsatz der Firmengeschichte (mehr dazu hier).
Grundlegende Änderung der Unternehmensstrategie
Kinigadner sieht in der aktuellen Marktentwicklung einen fundamentalen Wandel: „Wenn man heute eine Firma neu bauen würde, dann würde man sie anders bauen: Man würde sie komplett auf Profitabilität ausrichten, bootstrappen und gar nicht an Fundraising denken. Und man würde AI zu 100% zu leveragen zu versuchen.“
Der CEO räumte ein, dass Anyline diesen Ansatz bisher versäumt habe: „Wir haben als Organisation und bei den Prozessen nicht das AI-First-Modell nicht gelebt. Das müssen wir ändern.“ Für die verbleibenden Mitarbeiter bedeutet dies eine grundlegende Veränderung ihrer Aufgaben: „Die Mitarbeiter, die bei uns bleiben, werden AI-First-Jobs bekommen, also durchgehend mit KI arbeiten. Ich gehe auch davon aus, dass das, was wir jetzt machen, in den nächsten Jahren alle Unternehmen durchmachen müssen.“
Fokus auf Profitabilität statt Wachstum um jeden Preis
Ein wesentlicher Aspekt der Neuausrichtung ist die Abkehr vom klassischen Venture-Capital-Modell mit seinem Fokus auf schnelles Wachstum. „Geld würden wir auf jeden Fall bekommen, aber wir wollen kein Wachstum um jeden Preis mehr. Das VC-Geld kommt mit Konditionen, die wir nicht mehr eingehen wollen“, stellte Kinigadner klar.
Stattdessen setzt das Unternehmen auf organisches Wachstum und finanzielle Unabhängigkeit: „Wir wollen jetzt schnell und ohne Risiko in die Gewinnzone kommen. Das ist für die Mitarbeiter, die bleiben, total wichtig. Wir müssen den Schnitt jetzt machen, um nachhaltig aufgestellt zu sein.“
Produktstrategie in Zeiten von Large Language Models
Trotz der Umbrüche bei Personal und Unternehmensstrategie bleibt Kinigadner bezüglich der Produkte von Anyline zuversichtlich. Das Unternehmen werde „mit Produkten erfolgreich sein, die in absehbarer Zeit nicht durch LLMs ersetzbar sind“, sagte er. „Produktseitig machen wir uns nicht viele Sorgen, aber diese LLMs werden verändern, wie Prozesse funktionieren, wie Sales gemacht wird, und vieles mehr.“
Als Teil der Produktstrategie sollen das kürzlich gelaunchte „Barcode AI“-Angebot und die Kernprodukte weiter verbessert werden.
Finanzielle Situation und Verkaufsgerüchte
Anyline kommt derzeit auf einen ARR (Annual Recurring Revenue) zwischen 10 und 15 Mio. Euro. Zur finanziellen Lage des Unternehmens sagte Kinigadner: „Bei der Liquidität haben wir mittelfristig kein Problem, aber wir müssen diese Veränderungen annehmen.“
Er dementierte Gerüchte über einen möglichen Verkauf des Unternehmens, bestätigte jedoch: „Wir haben keinen strukturierten Prozess gestartet, die Firma zu verkaufen, aber ja, wir bekommen immer wieder Kaufangebote.“ Ein unmittelbar bevorstehender Exit sei nicht geplant bzw. seien Gerüchte über einen kürzlich geplatzten Exit falsch.