Twitter Pro: Ein Vorschlag für ein neues Geschäftsmodell, bei dem die Nutzer für Premium-Features zahlen
Einer der Vorzüge des Internet ist, dass man sich per Meinungsbeitrag ungefragt als besserwissender Unternehmensberater aufspielen kann. Ich nutze diese Möglichkeit heute, um dem gebeutelten Kurznachrichten-Dienst Twitter ein neues Geschäftsmodell vorzuschlagen, das es aus der aktuellen Misere (Manager-Exodus, Börsenkurs auf Talfahrt, kaum Nutzerwachstum) holen könnte.
Mein Vorschlag: Twitter sollte davon absehen, zu einem Facebook in Hellblau werden zu wollen, und seinen Power-Nutzern eine Premium-Version mit umfangreichen Zusatzfunktionen anbieten:
Twitter Pro.
Wie könnte Twitter Pro aussehen?
Twitter Pro ist die kostenpflichtige Version von Twitter um 9,90 Euro/US-Dollar pro Monat, bei der der Nutzer (Person oder Unternehmen) zusätzliche Funktionen bekommt, die der Gratisnutzer nicht hat. Twitter kann seine Gratisversion in der aktuellen bzw. geplanten Version beibehalten und mit Werbung monetarisieren und außerdem weiter versuchen, Nichtnutzer auf seinen Webseiten (ca. 500 Mio.) bzw. sein mobiles Werbenetzwerk „Twitter Audience Network“ (ca. 700 Mio.) mit Werbung zu finanzieren.
Twitter hält aktuell bei 307 Millionen monatlich aktiven Nutzern. Würde man davon zehn Prozent (also 30 Millionen) von der kostenpflichtigen Pro-Version überzeugen, würde man pro Monat 300 Millionen US-Dollar verdienen, pro Jahr wären es 3,6 Mrd. US-Dollar Umsatz vor Steuern etc. – also deutlich mehr, als man jetzt mit Werbung und Datenverkauf verdient (ca. 2 Mrd. US-Dollar im Jahr 2015). Eine Conversion-Rate von 10 Prozent (jeder zehnte zahlt für Premium, 90 Prozent bleiben bei der Gratis-Version) ist natürlich ambitioniert, aber nicht unmöglich. Spotify etwa hat eine Conversion-Rate von mehr als 25 Prozent (20 Millionen von insgesamt 75 Millionen aktiven Nutzern zahlen für Premium).
1. Ein blaues Hakerl
Menschen lieben Statussymbole, und seien es nur ein paar Pixel, die sie vom Rest der Welt unterscheiden. Twitter-Pro-Nutzer müssen natürlich einen verifizierten Account bekommen und ihr Profil mit einem blauen Hakerl schmücken dürfen. Die Verifizierung müsste schlauerweise über die Bezahldaten gemacht werden, um sicherzustellen, dass es sich um eine echte Person bzw. ein echtes Unternehmen handelt. Twitter-CEO Jack Dorsey ist auch CEO des Payment-Dienstes Square, er kennt sich mit Online-Zahlungsmittel bestens aus.
2. Hub für Content
Twitter ist besonders beliebt bei Personen des öffentlichen Lebens, also bei Stars, Medienleuten, Bloggern, Politikern, Sportlern usw. Ihnen sollte man die Möglichkeit geben, über die 140 Zeichen hinaus Inhalte veröffentlichen zu können – in Wort, Bild, Video, animierten GIFs, Foto-Slideshows etc. Im 140-Zeichen-Tweet könnte man den Inhalt mit einer Schlagzeile oder ähnlichem anreißen, ein Klick auf „See more“ klappt den kompletten Content aus.
3. Schlaues Sharing
Da Twitter den Content nicht monetarisieren muss, den die Pro-Nutzer veröffentlichen, spricht nichts dagegen, ihn auf Wunsch einfach auf andere Plattformen verteilen zu können. Je nach Content-Typ (Text, Foto, Video) könnte es Tools geben, mit denen man den Inhalt einfach auf andere Plattformen (Facebook, Instagram, YouTube, Pinterest, LinkedIn, Medium, Tumblr, etc.) verteilen kann. Twitter könnte so zu einem schicken Social-Media-Management-Tool werden, bei dem man vordatieren etc. kann. Die anderen, werbefinanzierten Plattformen sollten nichts gegen den Twitter-Content haben, da er gratis ist und Twitter nicht mehr mit ihnen am Werbemarkt konkurriert.
5. Google-Optimierung
Pro-Nutzern wird es vor allem darum gehen, viel Reichweite für ihre Inhalte zu bekommen. Twitter, das bereits in den USA Tweets in den Google-Suchergebnissen anzeigt, sollte ihnen diese Reichweite per Google-Optimierung geben. Vehikel dazu wären optimalerweise die „Accelerated Mobile Pages“ (AMP, mehr dazu hier), bei denen man ohnehin schon mit Google zusammenarbeitet.
4. Analyse-Tools
Mit https://analytics.twitter.com bietet Twitter bisweilen ein kostenloses Analyse-Tool für seine Nutzer an. Dieses wäre ausbaufähig, vor allem dann, wenn Twitter zu einem Content-Hub wird. Wie Google-Analytics könnte man dort auch Insights bieten, woher die Nutzer kommen, wie lange sie mit den Inhalten agieren und wohin der Content weiter verteilt wird.
6. Maximaler Datenschutz
Twitter sieht sich gerne als Bastion der Meinungs- und Redefreiheit, warnt Nutzer, wenn ihre Accounts von staatlicher Seite angegriffen werden. Dieses Datenschutzversprechen könnte ausgebaut werden, etwa, indem man europäischen Nutzern Server in der EU anbietet, wo ihre Daten verarbeitet werden.
7. Keine Werbung, kein Tracking
Bezahlte Accounts, die keine Werbung zu sehen bekommen, müssen nicht getrackt werden. Wie bereits in diesem Artikel beschrieben, verwendet die Firma etwa den Tweet-Button auf den Webseiten Dritter, um User durchs Netz zu tracken und ihnen auf Basis dieser Surf-Daten angepasste Inhalte zu präsentieren. Außerdem analysiert die Twitter-App mit dem so genannten App-Diagramm, welche anderen Apps ein Nutzer auf seinem Smartphone hat, um für Werbezwecke auf seine Interessen rückzuschließen. All dieses Tracking wäre bei Premium-Accounts, die man nicht mit Werbung monetarisieren muss, nicht mehr notwendig.
8. Verschlüsselte Privatnachrichten
Direktnachrichten auf Twitter sind aktuell nicht verschlüsselt. Dieses Upgrade könnte man den Pro-Nutzern ins Paket dazugeben.
9. Eine pure Timeline (plus personalisierbare Timelines)
Was Intensiv-Nutzer derzeit am meisten stört, ist, dass Twitter die an sich verkehrt chronologische Timeline mit empfohlenen Tweets und anderen Content-Vorschlägen durcheinander bringt. Pro-Nutzer bekommen die geliebte, pure Timeline und außerdem die Möglichkeit, sich selber zusätzliche Timelines mit gefolgten Accounts zusammenzustellen (z.B. für „Medien“, „Freunde“, „Branche“, „Fun“, etc.)
So, soweit meine Ideen für eine alternative Twitter-Zukunft abseits einer Facebook-Kopie. Die Diskussion ist eröffnet 🙂