Hintergrund

Viele Scale-ups stecken gerade in einer paradoxen Zwickmühle

Unternehmer in der Zwickmühle. © Trending Topics via GPT-4
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Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview

Das Jahr 2025 verläuft hinsichtlich Startup- und Scale-up-Finanzierungen ordentlich schwach. Betrachtet man die Investments bisher (hier unser Tracker), so bleiben sie enorm weit hinter dem, was in den Vorjahren (die schon schwächelten) so in heimische Tech-Jungfirmen gesteckt wurde. Geht es so weiter, wird 2025 ein enorm schwaches Jahr für Startup-Finanzierungen.

Ein Bündel aus Gründen sorgt dafür, dass es bisher keine großen Runden gab: Denn am VC- und PE-Markt wird Profitabilität erwartet, und diese wiederum schaffen Scale-ups meistens nur, wenn sie einsparen – und Sparmaßnahmen führen naturgemäß zu schwächerem Wachstum, was wiederum Investoren abschreckt. Das Beispiel Anyline, das diese Woche bis zu 40% der Belegschaft kündigte, bald in die Profit-Zone will und sich vom VC-Finanzierungsmodell abwendet, ist ein Beispiel, das öffentlich wurde.

Die neue Realität: Profitabilität über Wachstum

Nach Jahren des „Growth at all costs“-Mantras hat sich der Wind im Venture-Capital-Markt deutlich gedreht. VCs, aber auch Private-Equity-Investoren und Exit-Märkte senden eine klare Botschaft: Nur Startups mit positivem Cashflow sind investierbar. Diese Verschiebung ist eine direkte Reaktion auf die veränderten makroökonomischen Bedingungen – gestiegene Zinsen, Inflationsdruck und eine allgemeine Risikoaversion haben das Kapitalumfeld grundlegend verändert.

Während vor wenigen Jahren (man erinnere sich an die Unicorn-Blütezeit von 2021 und 2022) noch hohe Wachstumsraten bei steigenden Verlusten akzeptiert oder sogar gefördert wurden, gilt heute die Devise: Profitabilität hat Prio.

Anyline baut bis zu 40% der Stellen ab, wendet sich vom VC-Modell ab

Der Sparkurs als vermeintliche Rettung

Als Antwort auf diese neuen Anforderungen greifen viele Startups zum Rotstift. Kostensenkungsmaßnahmen, Entlassungen und Priorisierung kurzfristiger Ergebnisse sollen die Profitabilität innerhalb von 12-18 Monaten herstellen. Diese Maßnahmen mögen aus operativer Sicht notwendig erscheinen, schaffen jedoch ein neues Problem.

Der intensive Fokus auf Kostensenkung und kurzfristige Profitabilität bedeutet oft, dass Investitionen in langfristiges Wachstum, Produktentwicklung und Marktexpansion zurückgefahren werden müssen. Es ist ein klassischer Trade-off: kurzfristige finanzielle Stabilität gegen langfristiges Wachstumspotenzial.

Profitabel, aber unterbewertet

Hier beginnt der Teufelskreis erst richtig. Nehmen wir an, ein Startup schafft tatsächlich den Sprung in die Profitabilität durch rigorose Sparmaßnahmen. Was theoretisch ein Grund zum Feiern sein sollte, entpuppt sich möglicherweise als pyrrhischer Sieg. Da das Unternehmen nicht mehr auf dem steilen Wachstumspfad ist, wird es bei einer potenziellen neuen Finanzierungsrunde oder einem Exit deutlich niedriger bewertet.

In der aktuellen Marktlage zeigt, sich, dass die Multiples auf den jährlichen wiederkehrenden Umsatzes (ARR), die für Bewertungsberechnungen gerne herangezogen werden (Beispiel siehe unten) in den vergangenen Jahren für SaaS- wie Non-SaaS-Unternehmen deutlich gesunken sind. Diese deutlich niedrigere Bewertung hat weitreichende Konsequenzen.

Liquidation Preferences: Der stille Vermögensvernichter

Ein zentrales Element, das viele Gründer erst zu spät vollständig verstehen, sind die sogenannten „Liquidation Preferences“ (Liquidationsvorrechte). Diese in den Investitionsverträgen festgehaltenen Klauseln regeln, wer bei einem Exit oder einer Liquidation des Unternehmens zuerst ausgezahlt wird und in welcher Höhe.

Typischerweise erhalten Investoren späterer Finanzierungsrunden (wie Series B oder C) bevorzugte Rechte. Eine Standard-Liquidation Preference gibt einem Investor das Recht, zuerst seinen investierten Betrag zurückzuerhalten, bevor andere Anteilseigner – einschließlich Gründer und frühere Investoren – überhaupt einen Euro sehen. In manchen Fällen können diese Preferences sogar ein Mehrfaches des investierten Kapitals betragen (z.B. 1,5x oder 2x).

Ein konkretes Beispiel: Ein Startup hat in einer Series B-Runde 10 Millionen Euro zu einer Post-Money-Bewertung von 50 Millionen Euro aufgenommen. Die Investoren haben eine 1x Liquidation Preference ausgehandelt. Wenn das Unternehmen später für nur 15 Millionen Euro verkauft wird, erhalten die Series B-Investoren zuerst ihre 10 Millionen zurück. Für alle anderen Stakeholder – frühere Investoren, Gründer und Mitarbeiter – bleiben nur noch 5 Millionen Euro übrig, die gemäß ihren Eigentumsanteilen verteilt werden.

In Szenarien mit mehreren Finanzierungsrunden und gestapelten Preferences kann die Situation noch drastischer ausfallen. Bei einem Verkauf zu einer niedrigen Bewertung können die gesamten Erlöse an die späteren Investoren fließen, während für Gründer und frühe Unterstützer nichts mehr übrig bleibt – trotz jahrelanger Arbeit und ursprünglich hoher Papier-Bewertungen.

Das bedeutet: Will oder muss man heute als Scale-up, das noch nicht profitabel ist, Geld aufnehmen, kommt dieses Geld oft zu ungünstigen Konditionen, die es für die Bestandsinvestoren wie auch die Gründer (also alle, die schon im Cap Table sind) enorm unattraktiv machen, dieses Eigenkapital aufzunnehmen.

Der perfekte Sturm

Die Kombination aus erzwungener Profitabilität, reduziertem Wachstum, niedrigeren Bewertungsmultiplikatoren und den Effekten von Liquidation Preferences schafft einen perfekten Sturm für Gründer. Sie können sich in einer Situation wiederfinden, in der sie ein starkes Wachstumsunternehmen aufgebaut haben, aber bei einem Exit leer ausgehen, weil die Verkaufssumme gerade ausreicht, um die Ansprüche der späteren Investoren zu befriedigen.

Diese Dynamik ist besonders bitter für Teams, die in den Hochzeiten des VC-Marktes zu hohen Bewertungen Kapital aufgenommen haben und nun mit einer völlig veränderten Marktlage konfrontiert sind.

Auswege aus der Zwickmühle

Gibt es Wege aus diesem Dilemma? Einige mögliche Strategien könnten sein:

  1. Balanced-Growth-Ansatz: Statt radikaler Kürzungen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Profitabilität und moderatem Wachstum anstreben.
  2. Neuverhandlung mit Investoren: In manchen Fällen können Liquidation Preferences neu verhandelt werden, besonders wenn alle Beteiligten erkennen, dass eine fairere Verteilung langfristig bessere Anreize schafft. Der österreichische Unternehmer Peter Augustin (Exit von Inode an UPC um 95 Mio. Euro) etwa hat kürzlich im Podcast erzählt, dass er eine ungünstige Liquidation Preference wegverhandeln konnte (siehe hier)
  3. Längerer Zeithorizont: Wenn möglich, einen Exit oder eine neue FInanzierungsrunde hinauszögern und auf verbesserte Marktbedingungen warten.
  4. Alternative Finanzierungsformen: Weniger auf klassisches VC-Kapital setzen und stattdessen Optionen wie Venture Debt, Revenue-Based Financing oder strategische Partnerschaften in Betracht ziehen.

Liquidation Preferences: Wie ein Investor:innen-Kniff Startup-Bewertungen aufbläst

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