Wie sozialer Rückbau die Baubranche verändert

Das Climate Lab ist ein Innovationshub für Klima-Akteur:innen aus ganz Europa. Es handelt sich dabei um eine Initiative des österreichischen Klima- und Energiefonds und des Klimaschutzministeriums (BMK) und wird gemeinsam mit dem größten Energieversorger des Landes, der Wien Energie, dem EIT Climate-KIC und dem Impact Hub umgesetzt. In diesem Gastbeitrag ist das Climate Lab im Gespräch mit Markus Meissner vom BauKarussell, einem Projekt, das im Bereich sozialer Rückbau tätig ist.
Direkt zum Einstieg zur Entstehung: Seit wann gibt es das BauKarussell und was ist Ihre Rolle? Gibt es eine Anekdote zur Gründung und waren Sie damals schon mit dabei?
Markus Meissner: Im Kern sind es zwei Masterminds Thomas Romm, seines Zeichens Architekt und sehr stark im Rückbau aktiv und ich selber. Ich komme aus der Richtung Kreislaufwirtschaft, Abfallwirtschaft. Dritter in diesem Bunde war Matthias Neitsch. Wir haben 2016 die Idee gehabt, dass wir Sozialwirtschaft, Kreislaufwirtschaft und die Veränderung des anstehenden Rückbaus verknüpfen.
Von meiner Seite aus geht es schon seit fast 20 Jahren darum, Sozialwirtschaft mit der kommunalen Abfallwirtschaft im Bereich Haushaltsprodukte zu verbinden. Also wie bringen wir Ströme, von denen wir glauben, dass sie Abfall sind, aber die eigentlich noch gut sind, wieder in sozialwirtschaftliche Second Hand Läden? 2016 wurde die Idee des Social Urban Mining geboren und 2022 haben wir dann die BauKarussell Genossenschaft gegründet.
Es ist also das Social Urban Mining, das den Ansatz vom BauKarussell erst besonders macht? Wie funktioniert dieses Prinzip und was kann ich mir darunter konkret vorstellen?
Wir haben von Anfang an die Sozialwirtschaft mitgenommen bei unserer Idee. Bei Social Urban Mining werden verwendungsorientierte Rückbauarbeiten mithilfe von sozialwirtschaftlichen Unternehmen umgesetzt, mit dem Ziel der höchstmöglichen Wiederverwendung. In einfachen Worten heißt das, man baut alte Gebäude so zurück, dass man möglichst viele Materialien wiederverwenden kann – zum Beispiel Holz, Türen oder Fenster.
Dabei helfen Firmen, in denen Menschen arbeiten, die sonst schwer einen Job finden – bevor dann die Maschinen den Rest abbrechen oder das Gebäude saniert wird. So wird die Umwelt geschont und gleichzeitig etwas Gutes für die Gesellschaft getan, da arbeitsmarktferne Menschen durch uns die Möglichkeit bekommen sich am Arbeitsmarkt zu qualifizieren und sich anschließend neu zu positionieren. Social Urban Mining also, da wir mit der urbanen Mine arbeiten und das Ganze mit einem sozialen Mehrwert versehen.
Was sind die speziellen Herausforderungen, die mit dem Einbezug der Sozialwirtschaft auftreten können?
Dass hier Geschäftsbereiche oder Sektoren zusammenarbeiten müssen, die das per se noch nicht gemacht haben. Sowohl die Bauwirtschaft als auch die Sozialwirtschaft haben ihre Limits – beide haben ihre eigene Fachsprache und plötzlich müssen sie sich verstehen. Das ist unser Job: Diese Übersetzungsleistung.
Ein Beispiel: Wenn man einen Sozialbetrieb fragt: „Könnt ihr das für mich tun?”, dann sagen die: „Ja, das kann ich.” Dann kriegt man ein Angebot: Zehn Arbeitsstunden. Preis Y. Aber eine Baufirma will wissen: „Was kostet der Rückbau von einem Quadratmeter Parkettboden?” Diese Anschlussfähigkeit herzustellen, dieses Verständnis zu schaffen, das ist unsere Aufgabe. Eine weitere Herausforderung ist, dass wir Personen beschäftigen, die aus verschiedensten Gründen aus dem ersten Arbeitsmarkt herausgefallen sind. Wenn es zu herausfordernd ist, kommt vielleicht morgen keiner – alle im Krankenstand. Auch hier gilt: Die Übersetzung zwischen den Anforderungen ist die Herausforderung.
Gibt es bei Ihnen ein Projekt, was Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Das ist zum Glück mittlerweile schwierig, weil wir jetzt doch schon fast zehn Jahre unterwegs sind. Vor wenigen Monaten hat es von einer Planungsfirma der Stadt Wien eine Ausschreibung gegeben, die schon auf unser Gewerk hin orientiert war. Das wäre vor fünf Jahren noch unmöglich gewesen, weil sich dann niemand über dieses Gewerk überhaupt Gedanken gemacht hätte, geschweige denn Ausschreibungspositionen dafür formuliert. Das freut uns, weil das ist ein Schritt in Richtung ‘Standardwerkzeugkoffer’ hinein. Wenn du in Ausschreibungstexten vorkommst, dann existierst du. Das ist ein Schritt Richtung Qualitätsanspruch.
Gibt es ein Projekt, wo Sie auf besonders innovative oder kreative Weise auf eine Herausforderung eingegangen sind?
Wir haben erkannt, dass unser Angebot zweigeteilt sein muss: Zuerst braucht es einen Erkundungsauftrag vom Auftraggebenden – das nennen wir Social Urban Mining Konzept. Dabei analysieren wir das Gebäude, machen Fotos, recherchieren und erstellen einen Fachbericht über das Potenzial. Auf dieser Basis kann die auftraggebende Person entscheiden, ob sie weitermachen möchte. Erst dann folgt Schritt zwei: Die Ausschreibung der konkreten Arbeiten. Diese Zweiteilung ist essenziell, um Klarheit und Sicherheit für alle Beteiligten zu schaffen – denn Unsicherheit schreckt Auftraggeber:innen ab.
Wie arbeiten Sie mit Partner:innen wie zum Beispiel KRAISBAU oder den Materialnomaden zusammen?
KRAISBAU ist ein FFG-gefördertes Großprojekt mit einem Konsortium, dem wir nicht angehören. Wir stehen aber mit einigen Partner:innen im Austausch – wenn operative Unterstützung gebraucht wird, sind wir bereit. Bei den Materialnomaden sind wir gegenseitig Genossenschaftsmitglieder. Unsere Genossenschaft ist offen, solidarisch und nicht so zentralisiert wie eine GmbH. Wir bündeln darin innovative Bauakteur:innen, Architekt:innen und sozialwirtschaftliche Betriebe. Wer sich stärker einbringen möchte, kann einen Aufnahmeantrag stellen – das sind unsere Spielregeln.
Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft der Baubranche?
Wir müssen die Wertschöpfungskette des Rückbaus in standardisierte Instrumente überführen – zirkuläres Bauen darf kein persönliches Anliegen mehr sein, sondern genauso selbstverständlich wie ein Energiekonzept. Rückbau und Neubau müssen zusammengedacht werden: Nur wenn wir Materialien qualitätsgesichert zurückgewinnen und im Neubau wieder einsetzen, kann Kreislaufwirtschaft funktionieren.
Gibt es konkrete nächste Schritte, die Sie bereits geplant haben und über die Sie an dieser Stelle schon etwas erzählen können?
Was wir am dringendsten brauchen, sind Bauauftraggebende, die bereit sind, mit uns diesen ersten Schritt zu gehen – die das Potenzial erkennen und den Mehrwert sehen, noch bevor gesetzliche Vorgaben kommen. Wir entwickeln uns laufend weiter, gemeinsam mit Projektpartner:innen. Aber wir brauchen Menschen, die mit uns Lösungen suchen – nicht solche, die erklären, warum es nicht geht. Wir wollen mit denen arbeiten, die sagen: Wie machen wir’s – und dann machen wir’s auch.
Sind Sie insgesamt positiv gestimmt, wenn Sie in die Zukunft blicken?
Ich bin da sehr pragmatisch. Die Transformation ist nicht mehr aufzuhalten. Wir werden in zehn Jahren nicht mehr so handeln, wie wir heute handeln. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Und natürlich gibt es dunkle Stunden, wie bei allem, wo man sich denkt, wozu und warum. Aber ich habe jetzt drei Lektorate in drei verschiedenen tertiären Einrichtungen.
Wir arbeiten mit Menschen zusammen, die uns immer wieder rückmelden, wie toll das ist, dass sie auf unseren Baustellen arbeiten, weil es endlich etwas gibt, was Sinn für sie macht. Das ist Motivation. Das ist wirklich Motivation, da weiterzumachen. Ich bin in einem super Team eingebettet mit meinen Vorständen Thomas Romm und Sonja Zumpfe – da bin ich zum Glück nicht alleine. Und das ist wichtig, weil ein Team ist ein Team. Und das bringt wirklich Sicherheit.