Amazon zeigt bei “Delivering the Future“, wie Lieferungen künftig schneller werden

Amazon präsentierte erstmals sein Innovationszentrum im Ruhrgebiet in Deutschland – eines von vier weltweit. Die anderen befinden sich in Boston, Seattle und in Novara, nahe Mailand. Aber jenes in Dortmund sei speziell. Es ist mit seinen knapp 20.000 Quadratmetern das kleinste und einzige, das sich mit der letzten Meile beschäftigt. Trending Topics war live vor Ort und warf einen Blick auf die neuesten (KI)-Technologien aus dem Hause Amazon.
Entwicklungszentrum für die letzte Meile
Amazon will die Logistik-Industrie revolutionieren und lud rund 75 Journalist:innen aus aller Welt zum “Behind The Scenes“-Event nach Dortmund. Das 2024 eröffnete Zentrum beheimatet laut eigenen Angaben eine “weltweit einzigartige Testanlage”, die das nächste Jahrzehnt der Paketzustellung prägen soll. Testen will man dort das Konzept des “Verteilzentrums der Zukunft“. 2026 ist geplant, das erste dieser Art in Europa in Betrieb zu nehmen.
Grundsätzlich will man von den manuellen Prozessen in Verteilzentren abkommen. Deshalb soll Technologie Mitarbeiter:innen bei repetetiven und körperlichen Aufgaben unterstützen und gleichzeitig eine schnellere Lieferung ermöglichen. Das große Ziel: die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter.
Ein Verteilzentrum wird autonom
So werden in Dortmund eine Reihe von Tools getestet, wie etwa eine automatisierte Kippvorrichtung, die das manuelle Entladen von Paketen überflüssig machen soll und diese direkt auf das Förderband überführt. In der Praxis heißt das: Ein:e Mitarbeiter:in nimmt den Paket-Wagen aus dem Fulfillmentcenter entgegen und schiebt ihn zur Kippvorrichtung, die wie ein großer grauer Trichter aussieht. Von dort aus werden die Pakete automatisch in Abständen zueinander auf dem Förderband aufgelegt.
Die Technologie arbeitet eng mit dem sogenannten Echelon und Sechsseitenscanner zusammen. Ihnen kommen die Aufgaben zu, den Paketfluss auf den Förderbändern zu steuern bzw. Paketinformationen zu erfassen – auch diese Tätigkeiten wurden zuvor manuell erledigt. Später in diesem Jahr möchte Amazon einen Universal Robotic Labeler (URL) einsetzen, der die Pakete automatisch mit gelben Labels versehen soll. Aktuell müssen Mitarbeiter:innen die Labels händisch aufkleben – und zuvor das Paket in die richtige Richtung drehen. Das Innovative an URL: Kameras scannen die angebrachten Barcodes (auch von unten scannbar), um im Anschluss das Labeln freizugeben.
Laut Shyam Machiraju, Automation Engineer, der die Maschinen vorführte, können diese zwischen 3000 und 6000 Paketen pro Stunde durchlaufen lassen. Der “Sweet Spot“ für die ideale Geschwindigkeit wurde allerdings noch nicht gefunden.

Sobald das gelbe Label klebt, kommen Agility und Matrix ins Spiel. Agility sortiert Pakete in drei Zonen und leitet sie anschließend zur nächsten Technologieeinheit, dem mechanisch-elektrischen System der Matrix, weiter. Kleine Förderbänder im Hochgeschwindigkeitssystem lösen gezielte Bewegungen nach rechts oder links aus.

Die Vision Assisted Sort Station (VASS) nutzt Computer Vision und Projektionstechnologie, um Pakete effizienter zu sortieren. Sie kennzeichnet Pakete an deren richtigen Plätzen visuell. So sollen Mitarbeitende sofort wissen, welches Paket in welche Tasche gehört – angepasst an die jeweilige Zustellroute. Die VASS-Station ist einerseits ein Teil von ZancaSort, andererseits soll sie in die elektrischen Amazon-Zustellfahrzeuge der Marken Rivian und Mercedes integriert werden.

Amazon bezeichnet VASS als einen Gamechanger für Mitarbeiter:innen. Diese sollen sich durch die Technologie künftig pro Schicht bis zu 30 Minuten Zeit beim Ausliefern einsparen. Gleichzeitig reduziere VASS die mentale und physische Belastung um 60 bis 70 Prozent, da nicht mehr nach dem richtigen Produkt gesucht werden muss.
Man kann sich das so vorstellen: Die Fahrerin oder der Fahrer betritt den hinteren Bereich des E-Lieferwagens und bekommt mithilfe eines Lichts angezeigt, welches Paket an der jeweiligen Adresse ausgeliefert werden soll. Ein grüner Pfeil signalisiert das jeweilige Paket, während die anderen mit roten Kreuzen markiert werden.

In Europa sind aktuell 3500 elektrische Zustellfahrzeuge für Amazon im Einsatz, die direkt auf firmeneigenen Grundstücken an 360-kW-Stationen geladen werden. Denn laut Andreas Marschner, Vice President Global Engineering Services, Central RME & Worldwide Operations Sustainability, weist die öffentliche Ladeinfrastruktur noch zahlreiche Schwachstellen auf.
Die 200 E-Lkw befinden sich derzeit in einer Lernphase und werden auf unterschiedlichen Streckenprofilen getestet. Ihre Reichweite liege aktuell bei etwa 500 Kilometern. Die Dekarbonisierung der Logistik ist jedoch noch lange nicht abgeschlossen – insbesondere im Langstreckentransport sieht Amazon weiterhin große Herausforderungen. Die E-Flotte stellt somit eine Zwischenbilanz dar. Bis 2040 hat sich Amazon das ehrgeizige Ziel gesetzt, in allen Geschäftsbereichen CO₂-neutral zu arbeiten.

ZancaSort für mehr Effizienz und Ergonomie
Dann wurde ZancaSort vorgestellt: eine riesige Packstation, die laut Amazon in dieser Größe einzigartig in Dortmund ist. Sie ist dafür zuständig, dass die Pakete sowie die dafür vorgesehenen Ausliefer-Taschen in ergonomischer Höhe direkt zu den Mitarbeitenden gelangen. Dadurch sollen diese nicht mehr selbst durch die Gänge im Warenhaus laufen oder nach Paketen strecken müssen, um sie zu stapeln. Am Ende soll die VASS-Technologie den Sortierprozess für Menschen deutlich effizienter und komfortabler machen.
Immer wieder betont wurde, dass es trotz der hochgradigen Automation immer (noch) Menschen an der Sortierstation braucht, die die Pakete (dem jeweiligen Farbcode entsprechend) im Tetris-Style in die Boxen legen. Denn laut Amazon würden die Maschinen kein Tetris beherrschen. Mitarbeitende könnten Boxen besser packen. Außerdem braucht es Supervisor:innen, die ein Auge auf den Prozess behalten.

Wichtig: Das Innovationszentrum in Dortmund agiert als großes Testzentrum, um den Real-Life-Betrieb nicht zu behindern, denn viele der Maschinen sind noch nicht fertig entwickelt. Erst wenn die Innovationen von allen Seiten freigegeben werden, kann der globale Rollout beginnen, so Machiraju.
Amazon verspricht zusätzliche Arbeitsplätze
Das Testen und Einführen der neuen automatisierten Tools lässt annehmen, dass Personalkürzungen bevorstehen könnten. Diesen Einwand weist Amazon entschieden zurück und verspricht bei dem Event in Dortmund, dass das Gegenteil der Fall sein wird. So heißt es etwa seitens des Konzerns: “Um die Arbeitsplätze in den Verteilzentren sicherer und einfacher zu machen, investieren wir seit 2021 bis Ende 2025 voraussichtlich mehr als 700 Millionen Euro in technologische Innovationen für das europäische Netzwerk an Verteilzentren.“
Trotz Automatisierung: Der Mensch soll bleiben
In Deutschland gäbe es derzeit mehr als 40.000 festangestellte Mitarbeiter:innen bei Amazon. Im vergangenen Jahr habe man 4.000 zusätzliche feste Arbeitsplätze geschaffen. Zum Vergleich: Ende 2019 beschäftigte der Zustellriese 20.000 Personen in Deutschland. In Österreich seien es mehrere Hundert – eine konkrete Zahl konnte Rocco Bräuniger, Vice President, Country Manager Germany & Expansion Countries EU, nicht nennen.
Auf die Frage, ob Maschinen menschliche Arbeitskräfte ersetzen werden, antwortete er: “Nicht wirklich.“ Stattdessen würden neue Jobs geschaffen, zum Beispiel im Maintenance, im Staging – also im Beladen der Zustellfahrzeuge – und im IT-Bereich, etwa Supervisor:innen und Robotic Floor Managers.
Mitarbeiter:innen erlernen neue (KI-)Fähigkeiten
Grundsätzlich brauche es laut Amazon in Zukunft mehr statt weniger Personal: Die Menge der verarbeiteten Pakete steige, was zu einer höheren Lagerkapazität, mehreren Zustellfahrten und schnelleren Prozessen führe. Die Menschen sollen weiterhin Maschinen überwachen und Aufgaben übernehmen, bei denen Robotik und Co. an ihre Grenzen stoßen. “Im Jahr 2024 haben über 20.000 Mitarbeitende in europäischen Amazon-Verteilzentren neue Fähigkeiten im Umgang mit Automatisierung und KI erlernt“, so Amazon.