Interview

Andrew Keen: „Google ist kein Monster, aber es ist Gefangener seines eigenen Geschäftsmodells“

Andrew Keen im Gespräch mit Jakob Steinschaden. © Johannes Brunnbauer
Andrew Keen im Gespräch mit Jakob Steinschaden. © Johannes Brunnbauer

Der britisch-amerikanische Buchautor Andrew Keen ist immer dann ein gern gesehener Gast auf Medien- und Digitalkonferenzen, wenn man eine kritische Stimme zu aktuellen Entwicklungen in der Welt der Technologie braucht. Auf den Österreichischen Medientagen hat TrendingTopics.at mit Keen über all die Buzzwords gesprochen, die derzeit die Digitalbranche bewegen: Instagram, Uber, Adblocker, Snapchat, Apple und natürlich Google.

Als ich Sie 2011 in Santa Rosa, Kalifornien, für ein Interview besucht habe, hatten Sie damals Visitenkarten, auf denen stand “The Antichrist of Silicon Valley”. Haben Sie die noch?

Andrew Keen: Das war ein Witz damals. Ich bin Jude, ich wollte immer der Antichrist von irgendwas sein. Das Silicon Valley hat keinen Antichristen, es hat auch keinen Christus, es hat keine Religion. Es gibt natürlich ein religiöses Element, aber es wäre zu einfach, das nach einem Schwarz-Weiß-Schema in Religion und Gegenreligion einzuteilen.

Sie werden immer als der große Internet-Kritiker, der Internet-Skeptiker präsentiert. Passt Ihnen das?

Ich bin skeptisch gegenüber großen Versprechungen. Ich will die Wahrheit über die Welt erzählen, und da Internet ist ein immer wichtigerer Teil dieser Welt, eine enorme Konzentration von Macht und Reichtum. Ich will die PR-Spins und die Lügen abschälen. Ich bin kein Technologie-Skeptiker, Sie haben ja gerade gesehen, wie ich auf meinem iPhone E-Mails gecheckt habe. Ich bin so vernetzt und so süchtig nach Updates wie alle anderen auch. Wichtig ist aber, eine ernsthafte Diskussion darüber zu führen, eine Diskussion zwischen den Skeptikern und den Optimisten.

Ihr Buch heißt auf Deutsch “Das digitale Debakel”. Was genau ist das Debakel?

Naja, das ist nicht der Originalname, es heißt ja “The Internet Is Not The Answer”. Ursprünglich sollte es “Epic Fail” heißen, ein Wortspiel, weil Fails im Silicon Valley immer so idealisiert werden. Jedenfalls: Das Internet ist gescheitert, die Welt demokratischer zu machen, es kommt den Versprechungen seiner Erfinder nicht nach.

Sie beschäftigen sich viel mit Google. Vor einigen Wochen wurde die neue Alphabet-Holding geschaffen, und es scheint, dass die Gründer Larry Page und Sergey Brin sich nicht mehr dem Internet widmen, sondern lieber an echten Produkten forschen wollen. Haben die das Internet satt?

Nein. Das Internet ist mittlerweile überall, vom Haus über das Auto bis in die Kleidung, da ist es verständlich, dass sie diese Holding geschaffen haben. Die Umsätze kommen aber immer noch von der Online-Werbung. Die Suchmaschine und YouTube, die zwei Kronjuwelen von Google, sind weiter in der selben Firma, nämlich Google Inc., vereint. Google ist kein Monster, dort glaubt man an Demokratie, aber es ist Gefangener des eigenen Business-Modells.

Sie kritisieren Google als Monopol. Sie selbst leben im Silicon Valley, wo ständig neue Start-ups entstehen. Ist die Angst vor diesen Monopolen nicht übertrieben?

Nein. Die meisten Start-ups scheitern. Wann war das letzte Mal, wo ein Start-up im Search-Bereich erfolgreich war, Im Video-Bereich, im Social-Media-Bereich? Es gibt kaum welche, und wenn es welche gibt, werden sie nicht finanziert. Die einzige Chance ist, sich in einem neuen Bereich breit zu machen, so wie Airbnb und Uber. Nur weil es viele neue Start-ups gibt, ist die Gefahr von Monopolen nicht gebannt. Google ist nicht nur wegen der Dominanz bei der Suche gefährlich, sondern auch wegen YouTube und Android. Android hat etwa 80 Prozent Marktanteil, und es gibt ehemalige Google-Leute, die damit kämpften, einen Adblocker in den Play Store zu bringen. Monopole behindern also Innovation.

Stichwort Adblocker: Apple führt mit den neuen Werbeblockern für das iPhone einen großen Angriff auf Google. Welchen Effekt wird das auf Google haben?

Nicht Amazon, Apple ist der große Rivale von Google, weil sie so unterschiedliche Geschäftsmodelle haben. Dass Apple ein so großer Verfechter des Paid-Modells ist, ist ermutigend. Das Problem von Apple ist, dass es weniger als 15 Prozent Marktanteil am Smartphone-Markt hat, das iPhone ist ein Premium-Produkt für Wohlhabende. Tim Cook hat recht, wenn er auf den Verkauf von Produkten als Geschäftsmodell fokussiert, Apple ist vertrauenswürdiger als Google. Das macht Apple nicht zur moralisch überlegenen Firma, sie umgehen Steuern, die Behandlung von Arbeitern in Shenzhen ist schlecht. Ich mag das Geschäftsmodell aber lieber als dieses Big Data. Daten fließen heute überall, von unseren Autos über unsere Wohnungen bis zu unserer Kleidung. Das wird so stark reguliert werden, dass das Big-Data-Modell nicht lebensfähig sein wird.

Glauben Sie, dass die Werbeblocker der Anfang vom Ende des Gratis-Internet sind?

Ja, das hoffe ich. Außerdem funktioniert Mobile nicht so gut für die Werbeindustrie wie die Laptop-Welt, weil diese Geräte so klein sind, dass dort Werbung nicht so gut funktioniert. Für Google hat das aber auch eine gute Seite, sie können jetzt zu den Regulierern in Brüssel sagen, dass ihr Geschäftsmodell in Gefahr ist.

Sie sagen ja selbst, dass staatliche Regulierung eine Antwort auf die Probleme des Internet ist.

Ja, wir brauchen mehr Regulierung, Regulierung ist ein Freund der Innovation. Denken Sie an die 1990er zurück. Microsoft hat alles getan, um seinen Dominanz bei Windows zu schützen, und einige Sachen davon waren illegal. Sie haben ihren Browser mit Windows gebündelt, um Netscape zu bekämpfen. Dann haben europäische und US-Wettbewerbsbehörden eingegriffen. Wäre Microsoft damals nicht eingebremst worden, dann hätte Google niemals so groß werden können.

In Ihrem Buch haben Sie auch ein Kapitel über Instagram geschrieben. Wenn sich Forscher in 100 Jahren unsere Instagram-Selfies ansehen werden, werden sie dann den Eindruck erhalten, dass wir alle happy waren?

Das ist wirklich eine gute Frage. Wir machen heute schon so viele Selfies, dass es kaum weiter wachsen kann. Es hängt auch stark davon, was in der Politik passiert. Donald Trump ist ein Selfie-Politiker. Trump ist es völlig egal, was er sagt, er steht für den Aufstieg des Selfie-Politikers. Das sieht man auch daran, dass einige Rapper und John McAfee für die Präsidentschaftswahl kandidieren. Ich denke, die Frage wird sich von selbst erledigen. Das Selfie an sich als Trend wird vielleicht aus der Mode kommen, aber die Personalisierung, die ständige Reflexion unseres Selbst in dieser Echokammer-Kultur, das wird bleiben.

Was halten Sie dann von Snapchat? Das ist quasi das Gegenstück zu Instagram, weil es dort nicht um schöne, sondern ungefilterte Bilder geht, die nicht ewig gespeichert werden, sondern nach wenigen Sekunden verschwinden.

Snapchat ist eine dieser Blasen-Companies. Warum verkaufen sie nicht, warum gehen sie nicht an die Börse? Snapchat ist wie Yahoo, eine dieser Blasen-Firmen der 1990er. Ich denke nicht, das Snapchat wichtig wird.

In Ihrem Buch schreiben Sie viel über Uber. Ihre Kritik richtet sich nicht nur an das Business-Modell, sondern an Gründer Travis Kalanick persönlich. Was ist so schlecht an ihm?

Ich kenne Travis seit vielen Jahren, ich bewundere seine Chuzpe und seine Verrücktheit. Er hat eine Idee in eine spannende Firma verwandelt. Die andere Seite von Travis ist, dass er sich nicht um Gesetze schert, und seine libertären Ansichten, er sieht den Staat immer als Feind. Travis ist wie einer dieser Kapitalisten des 19. Jahrhunderts, ein böser, selbstgerechter Typ, der zivilisiert werden muss. Er hat sich ein wenig geändert, er hat PR-Leute an Bord geholt und ist moderater in seinen Aussagen geworden. Dass einige seiner Manager verhaftet wurde, die Proteste in Paris gegen Uber, das hat ihn realisieren lassen, dass er sich mit der Politik auseinandersetzen muss. Das Internet hat sich aus dem Wilden Westen in eine neue Phase entwickelt, diese Firmen müssen anerkennen, dass sie sich mit der Legislatur arrangieren müssen.

Uber soll 51 Mrd. US-Dollar wert sein. Können Sie mir erklären warum?

Uber hat sicher seinen Wert. Sie machen echten Umsatz, haben ein funktionierendes Geschäftsmodell, und sie haben eine Industrie auf den Kopf gestellt, die reif dafür war. Aber Uber ist ebenfalls Teil einer spekulativen Blase im Silicon Valley, wo Google und andere viel Geld in Firmen kippen. Uber hat große Konkurrenz aus China und Indien, ist also nicht der Monopolist, von dem Investoren glaubten, dass er ist. Und sie haben politische Probleme, sind also sicher nicht 50 Milliarden wert.

Uber-Chef Travis Kalanick will ja in ein paar Jahren die Fahrer durch autonome Autos ersetzen. Sie selbst sagen, dass Technologie 40 bis 50 Prozent unserer heutigen Jobs killen wird. Könnte es aber nicht auch sein, dass viele neue Jobs entstehen?

Eine der großen Regeln der Ökonomie ist, dass jede neue Technologiewelle Jobs zerstört und Jobs schafft. Die industrielle Revolution hat viele Jobs am Land zerstört und in der Stadt geschaffen. Aber nur weil das in der Vergangenheit so war, heißt das nicht, dass das in der Zukunft so ist. Technologie zerstört mit Sicherheit Jobs, kein Zweifel. Aber was wird aus den schlecht Ausgebildeten, was soll ein Busfahrer machen, wenn es fahrerlose Busse gibt? Klar wird es noch Jobs für Masseure, für Köche, für Gärtner, für Putzkräfte geben, aber was wird aus der Mittelklasse werden? Es wird eine gut ausgebildete Elite geben, die mit Computern arbeitet, eine Unterklasse, aber es ist nicht klar, wo der Platz der Mittelklasse sein wird. Leider sehen manche Technologie als Religion, die schon irgendwie Jobs schaffen wird, aber es gibt keine Garantie dafür.

Letzte Frage: Sind Sie optimistisch oder pessimistisch, was die Tech-Zukunft angeht? Werden das Internet und neue Technologien ihre Verheißungen einmal einlösen können?

Ich bin zunehmend optimistisch. Bei meinem ersten Buch war ich sehr pessimistsich, mein zweites Buch “Digital Vertigo” war auch sehr dunkel, aber mein neuestes Buch ist zwar kritisch, aber auch von Hoffnung erfüllt. Jeder realisiert, von Google bis Facebook, dass wir das Internet zur Antwort machen müssen. Die Industrialisierung hatte dunkle Kapitel, und es ist heute nicht alles perfekt, aber im Großen und Ganzen hat sie viele Verbesserungen gebracht. Das selbe Potenzial hat die digitale Revolution, die aber ist noch in einer sehr frühen Phase ist. Ich bin kein Reaktionär, der die alten Zeiten zurückholen will, das geht nicht. Das industrielle, analoge Zeitalter ist tot, wir müssen mit diesen neuen Realitäten arbeiten, um die Zukunft zu fixen.

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