Analyse

Apple’s AI-Dilemma

Apple-Manager Craig Federighi im Kleinwagen, überholt von einer Fahrrad-Fahrerin. © Apple (Screenshot)
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Es ist eine seltsame Szene, in der vielleicht aber (gewollt, oder ungewollt) viel Wahrheit steckt: Im Präsentations-Video der WWDC wird Apple-Software-Chef Craig Federighi im Kleinwagen von einer Fahrradfahrerin überholt – während er glaubt, in einem röhrenden Rennwagen zu sitzen. Ist das sinnbildlich für die KI-Entwicklung, die bei Apple sichtlich langsamer vonstatten geht als etwa bei Google oder OpenAI?

Apple steckt jedenfalls in einem Dilemma. Nachdem KI-Chip-Riese Nvidia und OpenAI-Großinvestor Microsoft (wieder mal) am einst wertvollsten Unternehmen der Welt vorbeigezogen sind, ringt der iPhone-Macher sichtlich damit, die richtige AI-Strategie zu fahren. Vor einem Jahr noch positionierte man sich rund um das iPhone 16, Apple Intelligence und der ChatGPT-Integration als die Firma, die „AI for the rest of us“, also für alles und jeden zugänglich macht.

2025 sieht es aber nicht danach aus. Die jüngsten Entwicklungen offenbaren eine paradoxe Strategie: Apple kritisiert die Intelligenz moderner Reasoning-Modelle, während es gleichzeitig versucht, Entwickler von seinen eigenen KI-Fähigkeiten zu überzeugen – und tatsächlich muss man noch mehr auf OpenAI-Technologie zurückgreifen, um bestimmte Dinge im kommenden Betriebssystem iOS26 (ja, das mit „Liquid Glass„) zu ermöglichen.

Siri’s verlorenes Jahr: Wenn Versprechen zu Luftschlössern werden

Craig Federighi, Apples Senior Vice President für Software Engineering, musste diese Woche Farbe bekennen. Die großspurigen Siri-Features, die auf der Worldwide Developers Conference (WWDC) 2024 demonstriert wurden, sind schlichtweg verschwunden – aus den Entwicklungsplänen gestrichen. „Es hat nicht in der Qualität konvergiert, die wir benötigten“, räumte Federighi gegenüber dem Wall Street Journal ein.

Die versprochenen Funktionen – Siris Fähigkeit, durch Apps zu suchen und auf Bildschirminhalte zu reagieren – existierten zwar als funktionierende Software, erfüllten aber nicht Apples Qualitätsansprüche. Ein Jahr nach der großen Ankündigung steht das Unternehmen mit ziemlich leeren Händen da. Stattdessen setzt iOS 26 verstärkt auf OpenAI-Technologie: Nutzer können über Kamera und Screenshots mit ChatGPT interagieren und Bilder mit OpenAIs Tools generieren.

Federighi verteidigt diese Strategie mit einem Vergleich zur frühen Internet-Ära, als Apple sich darauf konzentrierte, andere Services zugänglich zu machen, anstatt konkurrierende Plattformen zu entwickeln. Doch dieser Vergleich hinkt: Damals war Apple ein Underdog im Computer-Markt – heute ist es der wertvollste Konzern der Welt, der stets den Anspruch hat, technologische Standards zu setzen – und auch, besser als Google und Co zu sein.

Das Paper, das die KI-Welt erschütterte

Während Apple öffentlich mit Siri hadert, feuerte das Unternehmen einen wissenschaftlichen Torpedo auf die gesamte KI-Industrie ab. Das Research Paper „The Illusion of Thinking: Understanding the Strengths and Limitations of Reasoning Models via the Lens of Problem Complexity“ stellt fundamentale Behauptungen der LLM-Produzenten in Frage. Veröffentlicht wurde es kurz vor der WWDC 2025.

Das Apple-Forscherteam um Parshin Shojaee und Iman Mirzadeh untersuchte, wie Large Reasoning Models (LRM) – die neueste Generation von Sprachmodellen, die angeblich ihr „Denken“ offenlegen – mit echten Denkherausforderungen umgehen. Anstatt auf die üblichen Benchmark-Tests zu setzen, die von Kritikern wie Informatik-Professor Aravind Narayanan als „eindimensionaler Fortschritt“ kritisiert werden, wählten die Forscher klassische Problemlösungsaufgaben wie die Türme von Hanoi.

Die Ergebnisse sind ernüchternd:

  • Bei einfachen Aufgaben schlagen traditionelle LLMs ihre „denkenden“ Nachfolger. Die Reasoning-Modelle sind nicht nur nicht besser, sondern teilweise schlechter als ihre Vorgänger.
  • Bei mittelschweren Aufgaben zeigen LRM leichte Vorteile, jedoch keine revolutionären Verbesserungen, die die Behauptungen über ihre überlegene „Denkfähigkeit“ rechtfertigen würden.
  • Bei komplexen Aufgaben kollabieren beide Varianten vollständig. Beide Modelltypen erreichen einen Punkt, an dem sie versagen – unabhängig von der verfügbaren Rechenkapazität.

Besonders merkwürdig: LRM zeigen Verhalten, das bei Menschen als irrational gelten würde. Sie fahren ihre Rechenkapazität bei komplexer werdenden Aufgaben zurück, obwohl noch genügend Ressourcen verfügbar wären. Gleichzeitig analysieren sie einfache Aufgaben über das notwendige Maß hinaus weiter – ein Phänomen, das Forscher „Overthinking“ nennen und das die Modelle unwirtschaftlicher macht und die Umwelt belastet.

Die unbequeme Wahrheit über Sprachmodelle

Apples Erkenntnisse bestätigen, was führende KI-Forscher wie Yann LeCun von Meta schon länger behaupten: Sprachmodelle „denken“ nicht – sie halluzinieren kontrolliert. Sie haben kein Wissen im eigentlichen Sinne, sondern brechen Eingaben in Wortbestandteile herunter und arbeiten diese mit statistischen Wahrscheinlichkeiten ab.

Für ein Sprachmodell ist eine Tür genauso real oder irreal wie ein Einhorn – beides sind nur Ansammlungen von Wortbestandteilen mit bestimmten statistischen Beziehungen. Wenn LRM behaupten, ihre Denkprozesse offenzulegen, stellt sich die logische Frage: Warum sollten Systeme, die auf semantischen Wahrscheinlichkeiten basieren, plötzlich ehrlich über ihre internen Prozesse berichten?

Bereits im März hatte das Anthropic-Team Hinweise gefunden, dass ihr Reasoning-Modell etwas anderes erzählte als das, was es tatsächlich tat. Apples Forschung liefert nun systematische Belege für diese Vermutung.

Apples paradoxe KI-Strategie

Während Apple wissenschaftlich die Grenzen aktueller KI-Technologien aufzeigt und AGI (erklärtes Ziel von OpenAI) zur Chimäre erklärt, versucht das Unternehmen gleichzeitig, seine eigenen KI-Fähigkeiten zu vermarkten. Auf der WWDC 2025 kündigte Apple das „Foundation Models Framework“ an, das Entwicklern kostenlosen Zugang zu den hauseigenen KI-Modellen ermöglicht.

Der Köder ist verlockend: Während Entwickler für OpenAI oder Anthropic Token-basierte Gebühren zahlen müssen, die sich bei häufiger Nutzung erheblich summieren können, bietet Apple seine KI-Inferenz vollständig kostenfrei an. Die Verarbeitung erfolgt lokal auf dem Gerät, was sowohl Kosten spart als auch Datenschutzvorteile bietet.

Doch die Realität ist komplexer: Apple kann nicht ohne OpenAI. Bei Funktionen wie News-Zusammenfassungen musste das Unternehmen bereits zurückrudern, und die ChatGPT-Integration wird immer wieder herangezogen (siehe oben), Defizite der eigenen KI auszugleichen. Selbst das neue Xcode 26 bietet zwar lokale Modelle auf Apple Silicon, setzt aber primär auf ChatGPT für KI-gestützte Programmierung. Wahlweise können Developer auch andere AI-Modelle, etwa die bei Coding besonders leistungsfähigen von Anthropic (Claude 4), einbinden.

Zwischen Innovation und Realismus

Apple Intelligence bringt durchaus nützliche Features: Live Translation für Messages und FaceTime, Visual Intelligence für Bildschirmanalysen, verbesserte Genmoji und Image Playground-Funktionen. Die Apple Watch erhält mit „Workout Buddy“ ihre erste KI-basierte Fitness-Erfahrung, und Shortcuts werden um „Intelligent Actions“ erweitert.

Diese Funktionen sind praktisch und gut durchdacht, aber sie sind evolutionär, nicht revolutionär. Sie verbessern bestehende Workflows, anstatt völlig neue Paradigmen zu schaffen. Das ist ehrlicher als die Versprechen mancher Konkurrenten, aber auch weniger spektakulär.

Strategie hinter dem Widerspruch?

Apples scheinbar widersprüchliche Haltung – KI-Kritik bei gleichzeitigem AI-Fokus – folgt einer durchaus logischen Strategie:

  • Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit: Durch kritische Forschung positioniert sich Apple als seriöser, wissenschaftlich fundierter Akteur in einem von Marketing-Übertreibungen geprägten Markt.
  • Erwartungsmanagement: Indem Apple die Grenzen aktueller KI aufzeigt, kann es realistische Erwartungen für seine eigenen Produkte setzen und Enttäuschungen vermeiden.
  • Datenschutz-Differenzierung: On-Device-Processing ist ein klarer Vorteil gegenüber Cloud-basierten Lösungen und spielt Apple in die Karten – und ist ein Argument dafür, dass man schwächere KI-Modelle am Gerät für bessere Privatsphäre akzeptieren muss
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