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Bluecode-CEO Christian Pirkner: „In Europa sind wir wirklich an allerletzter Stelle“

Christian Pirkner, CEO von Bluecode. © Bluecode
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„Was Google angekündigt hat, ist ein echt Mehrwert-basiertes Payment“, erklärt Christian Pirkner, CEO von Bluecode im Interview mit Trending Topics. Er verrät außerdem, warum in Europa die Alarmglocken schrillen müssten, wie das Payment der Zukunft (auch mit Bluecode) aussehen wird und ob die Corona-Pandemie das Bargeld tatsächlich abschaffen könnte.

Trending Topics: Google Pay ist in Österreich gestartet – vorerst in Partnerschaft mit einigen ausgewählten Fintechs. Große Banken fehlen (noch). Der richtige Weg?

Für Google Pay ist das eindeutig der richtige Weg. Das ist genau wie bei Apple: Es geht jetzt darum, wie ich mir als Unternehmen die Kundenreise beim Bezahlen hole. Das ist die einzige Frage, die man sich in Amerika stellt. Die Amerikaner wissen: Wer die Kundenreise hat, hat am Ende das Geld. Apple hat beispielsweise mit allen gesprochen, niemand wollte mitmachen, weil es für Banken ja ein Verlustgeschäft ist, Apple Pay anzubieten. Dann ist Apple einzeln zu den Banken und haben gefragt, wer als erstes in die Zeitung will – wer die innovativste Bank sein will. Damals ist die Erste Bank umgefallen und jetzt müssen alle nachziehen.

Google macht das etwas anders. Die gehen auch herum, verlangen aber weniger Geld. Google sagt, je mehr „getappt“ wird (also je mehr Zahlungen über Google Pay abgewickelt werden, Anm.), desto mehr verdient die Bank. Google sagt, wir haben die beste User-Experience, macht doch bitte alle mit. Die großen Banken sagen da zwar noch nein, die haben ja ihre eigenen Lösungen – siehe George oder MeinELBA. Darum geht Google halt einfach zu den Neobanken und zeigt wie es geht, damit die Leute bei N26 oder Revolut diese Experience haben – das geht so lange, bis die anderen Banken dann auch wie die Dominosteine umfallen. Das heißt, für Google ist der Schritt sicher absolut richtig. Die gehen in den Markt mit einem Partner, der Vertrauen besitzt und für Innovation steht – wie George bei Apple Pay. Bei Google sind das die Neobanken.

Wohin kann diese Entwicklung gehen?

Wenn man sich das europäische Produkt ansieht, ist das ja nett. Aber wer das amerikanische Produkt kennt – das wurde auch vor zwei Tagen schon angekündigt – Google Pay mit Plex. In einem Wort: Weltklasse. Das heißt: Wenn ich jetzt eine europäische Bank bin, und ich habe meine Kunden auf iOS, winke ich denen gerade Goodbye, weil die mit Apple Pay davonfahren. Dazu kommt die Apple Card, das ist sicher wie das Amen in der Kirche. Google hat in den USA ein Top-Produkt, mit dem kannst du als Gruppe überweisen, du kannst Belege abfotografieren und sogar durchsuchen oder dir einfach anzeigen lassen, wie viel Geld du für Essen in den letzten 30 Tagen ausgegeben hast. AI, Daten – da ist Google besser als alle anderen. Die fahren das jetzt nach Hause.

Der Anfang in Österreich ist ja schön harmlos: Einige große Banken sagen zwar vielleicht noch nein und setzen auf ihre eigene App. Aber es ist eine Frage der Zeit, da kommt Update für Update von Google und irgendwann fallen auch die Großen. Dann hast du die beiden großen Handy-Software-Hersteller dieser Welt, Google mit Google Pay und Apple mit Apple Pay. Die holen sich dann die Kundenreise fürs Payment – and the rest is history, wie es so schön heißt.

Das heißt, die Marktmacht, die die beiden Unternehmen haben, wird dann irgendwann so groß sein, dass auch die Kunden der großen Banken diese Produkte wollen?

Ja, weil die Produkte am Ende besser sind. Was Google angekündigt hat, ist ein echt Mehrwert-basiertes Payment. Das ist nicht nur simples Bezahlen.

Einfach gefragt: Was hindert denn die großen österreichischen Banken daran, ähnliche Produkte zu bauen?

Da musst du im Tech-Bereich echt gut sein. Was Google kann, bezüglich Datenanalyse, AI, OCR (Texterkennung), Datenmanagement – wenn du so eine Costumer Journey machen willst, brauchst du Ressourcen, Erfahrung und Geld. In den USA haben bereits zwanzig Banken Google Plex im Angebot, das ist das Banking-Produkt von Google. Kurzum: Da musst du als Bank so ein gutes IT- und Tech-Team haben, um zu sagen, ich halte da jetzt stand. George zum Beispiel ist eine gute App, die könnten vielleicht sagen, wir bringen das hin, wir bauen auf Android zumindest eine ebenbürtige Lösung. Das ist schon gut möglich, ich will jetzt niemanden runterreden. Für die mittleren und kleineren Banken, die diese Ressourcen nicht haben, wird es aber sicher immer schwieriger. So nimmt das dann alles seinen Lauf.

Der klassische Domino-Effekt also.

Genau, wie in jeder Industrie. Die Amerikaner kommen, nehmen dem Markt die Journey und irgendwann geht der Erste, dann kommt der Zweite, dann der Dritte und so weiter. Zum Schluss haben sie (amerikanische Unternehmen, Anm.) die Journey und die Daten. Das ist auch gut so, das haben sie ja auch verdient. Als Europa muss man sich in Summe aber nicht wundern, wenn man halt dann nur noch die Hofreitschule, Museen und Schnitzel und Pommes hat. Im Bereich Tech und Digitalisierung spielen wir dann keine große Rolle mehr.

Wenn dieses Szenario eintritt, also Google Pay die Marktvorherrschaft tatsächlich gewinnen kann – wie sehen dann die Auswirkungen für die Kunden und den Bankensektor aus?

Ich würde sagen, die ganz großen Banken und Marken werden es schaffen, da zumindest ein bisschen mitzuhalten. Ich will da nicht zu schwarz malen, morgen geht nicht die Welt unter. Google macht das ja auch geschickt und holt sich Partner ins Boot, die dann die Kunden für die Plattform boarden. Gefährlicher ist es für die mittleren und kleinen Banken. Irgendwann wird denen das Wasser bis zum Hals stehen.

Für Kunden ist alles cool, die Produkte sind ja gut. Ich liebe diese Entwicklung, weil es wird alles immer schlauer, immer besser. Das sind wirklich tolle User Experiences für die Kunden. Man muss aber wissen, dass es dann keinen „european way to do this“ geben wird. Das ist okay, es gibt ja auch kein europäisches Social Network und auch keinen europäischen Messenger. Aber ist dann ja okay, dann haben wir halt den Bereich Finance auch noch verloren. Für den Kunden ist das egal, Hauptsache, es funktioniert alles.

Ein recht dystopisches Szenario, das aber die Frage aufwirft, wie sich Europa diesem „Angriff“ der US-Tech-Riesen noch erwehren kann.

Das geht dann nur noch mit Regulierung. Brüssel stehen die Haare zu Berge. Da gibt es ein vor wenigen Wochen veröffentlichtes Paper mit 22 Seiten, „European Retail Payment Strategie“. Da steht explizit drinnen, wie wir der Abhängigkeit von amerikanischen „Rules and Rails“ etwas entgegensetzen können. 22 Seiten Dokumente von Politikerinnen und Politikern in Brüssel – und auf der anderen Seite hocken zehntausende Leute im Valley und programmieren. Das wird also nicht einfach. Ich will aber auch nicht immer nur sagen, dass das alles so schlimm ist. Aber das muss einfach jeder wissen, das war ja auch in den letzten Jahren schon klar.

Kann ich aus Kundensicht ruhigen Gewissens mein Geld bei amerikanischen Banken hinterlegen?

Das ist ja das Schöne: Die Amerikaner sind nicht dumm. Das Geld hast du ja noch immer bei heimischen Banken. Du merkst nur einfach nichts mehr von der Bank und die Wertschöpfungskette liegt in den USA. Das Mühsame, rechtliche Belange, Compliance, das Geldwäschegesetz – das lassen die Amerikaner bei uns. Also alle Dinge, die die Europäer zu Tode reguliert haben. Aber oben drüber, das schöne Gesicht, die Mehrwerte, das sind die Kollegen aus den USA.

Kommen wir noch zu einem anderen Thema, das die Welt derzeit beschäftigt: die Corona-Krise und ihre Auswirkungen. Wie ging und geht es denn Bluecode mit und in der Pandemie?

Wenn Leute unbar bezahlen, ist das für uns natürlich sehr, sehr gut. Wir sind ja eine Methode, die wirklich kontaktloses Zahlen ermöglicht – mit Bluecode berührt man zu keiner Zeit irgendetwas Fremdes. Das heißt, wir sind eine sehr sichere, hygienische Art zu zahlen. Das hilft uns. Was wir merken ist, dass die Volumina steigen. Die Leute gehen seltener einkaufen, kaufen dafür aber mehr ein. Für einen Teil unserer Kunden ist die Situation aber auch dramatisch, die können nur zusehen. In Deutschland haben wir beispielsweise Stadien und Kantinen, da wird aber nicht mehr gespielt. Da merkt man schon, dass unsere Kunden teilweise in wirkliche Probleme kommen. Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer: Viele von diesen Kunden fokussieren sich jetzt auf die Zeit danach. Da merken wir, dass einige wirklich komplett ‚cashless‘ werden wollen. Wenn einige Stadien wieder für Zuseher aufmachen, wird es dort gar keine Möglichkeit zur Barzahlung mehr geben. Der Schwung, der jetzt gekommen ist, wird da sicherlich noch größer.

Deckt sich das mit dem Umstand, dass in Österreich nach wie vor sehr gerne Bargeld verwendet wird? Wird bargeldloses Bezahlen mehr akzeptiert?

Ja, die Zuwachsraten bei E-Commerce und kontaktlosem Bezahlen sind eindeutig überdurchschnittlich.

Das heißt, wir kommen irgendwann zu einem Punkt, wo wir ausschließlich kontaktlos – und damit nicht bar – zahlen? Diese Befürchtungen gibt es ja.

Wie immer im Leben: Das geht jetzt rauf und wenn dann alles wieder normal ist, die Angst weg ist, dann verlangsamt sich die Geschwindigkeit derartiger Änderungen. Das Niveau ist letztlich aber signifikant höher als es vor der Krise war. Die Steigerungsrate wird aber nicht so hoch bleiben.

Der Effekt ist also schon dauerhaft.

Ja. Menschliches Verhalten zu ändern ist schwer, Dinge müssen erst zur Routine werden. Aber je länger diese Covid-Phase dauert, desto klarer ist, dass der Sockel höher bleibt. Vor allem, wenn dann noch Produkte kommen, die besser sind als Cash und Karte.

Dass die Produkte sehr oft sehr gut sind, steht ja oft außer Frage. Dennoch verweigern viele Menschen diese Art von Digitalisierung. Vereinfacht: Wenn ich mich vor einer Entwicklung fürchte und mir darum das jeweilige Produkt gar nie ansehe, kann ich ja nicht wissen, wie gut es ist – und was ich eventuell verpasse.

Richtig. Wenn das Produkt keinen wirklichen emotionalen Mehrwert hat, dann geht auch keiner hin. Ich will da jetzt keine Bank attackieren, aber die Android-Produkte sind nur zum Bezahlen da. Die haben auch darum keinen Pick-up, weil Bezahlen kann ich mit der Karte auch – und fühle mich sogar wohler dabei. Die Produkte müssen darum Erlebnisse vermitteln.

Im Mai 2020 haben laut einer Statista-Studie über 40 Prozent der befragten Personen noch gemeint, niemals mit dem Smartphone bezahlen zu wollen. Wie holt man die – auch als Bluecode – ab?

Das ist eine sinnvolle Antwort, weil die Karte im Vergleich auch einfach praktisch ist – die braucht keine Batterie, die habe ich teilweise schneller zur Hand. Das ist durchaus legitim. Darum sage ich ja: Wenn wir in Europa nur Apps schreiben, mit denen man bezahlen kann, dann wird das nicht abheben. Wenn Google Pay und Apple Pay mit immer mehr innovativen Features kommen, dann sind diese 40 Prozent irgendwann nur noch 35 Prozent, dann 30 Prozent und so weiter. Wir müssen als Technologen besser sein also die heutige Alternative, damit die Leute switchen. Ich nutze heute ja WhatsApp auch, weil es besser ist, als einen Brief zu schreiben.

Versuchen wir uns noch an einem konkreten Beispiel. Wie müsste Bluecode denn in fünf Jahren aussehen, um mit Apple und Google konkurrieren zu können? Reicht es, einfach Google Pay zu kopieren?

Wir sind eher bei der Alipay- und WeChat-Kopie, wenn man so will. Bluecode funktioniert ja nicht mit NFC, sondern wird direkt über die Kassensysteme gescannt. Wir haben viel mehr Möglichkeiten als die Kartenkollegen. Bei den ersten Händlern haben wir die digitalen Belege digitalisiert. Unser Mehrwert muss eher in Richtung Alipay oder WeChat gehen, also in Richtung optische Systeme. Ganz Asien zahlt optisch, nur wir Europäer und die Amerikaner zahlen ein bisschen mit NFC. Da sind aber Welten dazwischen.

Warum ist das so?

In Asien hat man das ganze Kartenlegen einfach übersprungen. Und die Apps können auch einfach zehnmal so viel wie Google Pay. Mit Alipay buche ich mir ein Hotelzimmer, öffne per QR-Code in der App die Zimmertür und muss dabei noch nicht einmal einchecken. Bei Alipay heißt das „Mini-Apps“. Durch diese Mehrwerte werden ganze Märkte weiter disrupiert. In Europa sind wir da also wirklich an allerletzter Stelle, wir haben mehr oder weniger gar nichts – während die Asiaten wirklich ändern, wie Commerce von Grund auf funktioniert. Wir versuchen also, diesen asiatischen Ansatz nach Europa zu bringen.

Ganz allgemein zum Schluss: Wie soll sich Bluecode denn in den nächsten Jahren entwickeln?

Wir haben zwei große Dinge vor. Einerseits haben wir in den letzten sechs Monaten mehr Banken- und Händlerverträge unterschrieben als in den gesamten vier Jahren davor. Andererseits haben wir auf der Händlerseite auch, dass der Handel jetzt auch sagt, ich muss Payment näher an meine App-Experience holen. Wenn die europäischen Banken schlafen, und das tun sie offensichtlich, sind die Händler die, die die Party bezahlen. Wenn die also sehen, die Bankindustrie schläft hier, das wird alles immer teurer, dann wird es die ersten Händler geben, die sagen, aus, dann mach ich das halt selber. Das ist unsere Chance als neutrales Produkt. Wir sind auch im Austausch mit der Europäischen Kommission und der Zentralbank, weil da sind die Alarmglocken mittlerweile auf schrillendem Rot. Es sieht so aus, dass Europa beim Thema Payment nichts hat oder auch nicht viel kommt.

Wir arbeiten darum mit Lösungen wie Bluecode aus anderen Ländern an sogenannten „Roaming-Agreements“. Das heißt,  das ich meine Bluecode-Lösung nehmen kann und damit beispielsweise auch in der Schweiz zahlen kann – in deren Partnersystem, aber das merke ich nicht. Wir versuchen also zu sagen, vielleicht sind wir Europäer anders, vielleicht ist bei uns die föderale Lösung die richtige – auch ohne Riesen wie Google Pay oder Apple Pay.

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