Google AI Mode startet in Europa, treibt Schweißperlen in die Gesichter von Publishern

Wer meint, dass der Launch von ChatGPT die entscheidende Wende im AI-Zeitalter war, der muss sich auch den 8. Oktober 2025 rot im Kalender anstreichen. Denn da wird nun die mit Abstand größte und wichtigste Suchmaschine der Welt auf KI getrimmt, und zwar endlich auch in Europa.
Google rollt diese Woche seinen AI Mode in 38 neuen Sprachen und über 40 weiteren Ländern aus, darunter Deutschland, Österreich, Italien, die Niederlande, Polen, Spanien und Schweden. Die erweiterte KI-Suchfunktion, die erstmals im Mai in den USA eingeführt wurde, wird in den kommenden Wochen allen Nutzern auf Desktop, Mobile und in den Google-Apps für Android und iOS zur Verfügung stehen.
Hard Facts zum Launch
AI Mode nutzt die Frontier-Fähigkeiten der Gemini-2.5-Modelle und ergänzt die bereits in über 200 Ländern und Territorien verfügbaren AI Overviews. Laut Google nutzen mittlerweile mehr als 2 Milliarden monatliche Nutzer weltweit AI Overviews. Die neue Funktion ist als eigener Tab auf der Google-Suchergebnisseite zugänglich, wird jedoch nicht als Standard-Suchmodus eingestellt.
Die Entwicklung berücksichtigt nach Unternehmensangaben lokale Präferenzen und kulturelle Nuancen. „Der Aufbau einer wirklich globalen Suche geht weit über bloße Übersetzung hinaus. Es erfordert auch ein tiefes Verständnis für lokale Präferenzen und kulturelle Nuancen“, erklärte Hema Budaraju, VP of Product Management für Google Search, in einer Online-Präsentation vor europäischen Journalisten.
Googles Argumentation: Vorteile und Nutzen
Google begründet die Einführung mit veränderten Nutzergewohnheiten. Seit dem Start von AI Overviews stellte das Unternehmen einen deutlichen Wandel fest: „Die Leute stellen jetzt längere, schwierigere, komplexere, nuanciertere Fragen“, so Budaraju. Die Anfragen seien zwei- bis dreimal länger als traditionelle Suchanfragen. AI Overviews hätten bereits zu über 10 Prozent mehr Suchanfragen für die entsprechenden Query-Typen geführt – mit steigender Tendenz. Nicht angemerkt wird, dass dieses veränderte Nutzungsverhalten vor allem durch ChatGPT verursacht wird, das mittlerweile 800 Millionen wöchentlich aktive Nutzer hat und als der größte Herausforderer der Cash-Cow Google Search gilt.
Jedenfalls: AI Mode soll Fragen beantworten können, die zuvor nicht möglich waren. Das System nutzt eine „Query Fan-out“-Technik, die komplexe Fragen in Unterthemen aufteilt und mehrere Suchanfragen gleichzeitig ausführt. „Dieser zusätzliche Schritt ermöglicht es uns, eine breitere und vielfältigere Auswahl hilfreicher Web-Inhalte anzuzeigen“, erklärte Budaraju. Die Funktion biete multimodale Fähigkeiten, sodass Nutzer auch Bilder hochladen und Fragen dazu stellen können.
Google betont die Integration mit dem Web: „AI Mode nutzt fortgeschrittenes Reasoning, um Ihre komplexe oder knifflige Frage im Wesentlichen aufzuschlüsseln […], wodurch es noch mehr unterstützende Webseiten identifizieren und darauf zugreifen kann, als bisher möglich war“, so Budaraju. Das Unternehmen hebt hervor, dass die Erfahrung auf „prominente Links“ setze, damit Nutzer tiefer in Inhalte einsteigen könnten.
Aus Werbesicht argumentierte Dan Taylor, VP for Global Ads: „Diese längeren, gesprächsartigeren Anfragen eröffnen auch neue Möglichkeiten für Werbetreibende, entdeckt zu werden.“ Die Gesamtzahl der Suchanfragen, einschließlich kommerzieller Anfragen, sei im Jahresvergleich gestiegen, und über 60 Prozent der Shopping-Anfragen konzentrierten sich auf breite Suchintentionen.
Kritik: Traffic-Verluste für Publisher
Die Einführung stößt jedoch auf erhebliche Bedenken seitens der Verlage. Zahlreiche Publisher bzw. Analysen berichteten von einem organischen Traffic-Rückgang von bis zu 70% (Trending Topics berichtete). Die zentrale Frage lautet: Wie passt die Expansion von AI Mode zur Google-Mission, Informationen universell zugänglich zu machen, wenn Publisher dadurch Zugriffe verlieren könnten? Imerhin ist mittlerweile die Rede vom „Tod des freien Web“.
Budaraju entgegnete auf mehrere Fragen zu Traffic-Verlusten ausweichend. Sie verwies darauf, dass die Erfahrungen „grundlegend darauf ausgerichtet sind sicherzustellen, dass es nicht nur eine hilfreiche KI-Antwort ist, sondern auch tiefe Verbindungen zum Web“ biete. Google sei „mehr als jeder andere in der Branche darauf festgelegt, Traffic zum Web zu senden.“
Zur Datenlage erklärte Budaraju: „Wir haben viele Spekulationen und ungenaue Daten gesehen. Wir haben viele Spekulationen und ungenaue Behauptungen über Traffic von der Suche gesehen.“ Traffic-Rückgänge könnten verschiedene Gründe haben, darunter saisonale Nachfrage und veränderte Nutzerpräferenzen. „Aus Suchperspektive bleibt der Traffic zum Web von der Suche insgesamt stabil“, betonte sie.
Das Unternehmen argumentiert zudem, dass AI-gestützte Suche den Markt erweitere. Bei über 5 Billionen Suchanfragen pro Jahr seien 15 Prozent täglich neu. Nutzer stellten nun Fragen, die zuvor nicht möglich gewesen seien, was netto neue Suchen bedeute und nicht nur die Umverteilung bestehender Anfragen.
Ist Google nun selbst Publisher?
Die Frage, ob Google durch AI Mode selbst zum Publisher wird und für die Inhalte verantwortlich ist, beantwortete Budaraju nicht direkt. Auf die Frage, wer bei fehlerhaften AI-Mode-Antworten haftet, verwies sie lediglich auf die Struktur der Funktion: „Diese AI Mode und AI Overviews zeigen eine KI-Momentaufnahme zusammen mit Links zum Web an. Und es gibt sehr einfache, simple, direkte Wege für Menschen, mit den Inhalten des Webs zu interagieren.“
Google betont, dass AI Mode auf den gleichen Qualitäts- und Sicherheitssystemen basiere, die seit über 20 Jahren für Suchranking und Anti-Spam entwickelt wurden. „Wir testen weiterhin sorgfältig und identifizieren Bereiche für Verbesserungen“, erklärte Budaraju. Das System prüfe mit Geminis Reasoning-Fähigkeiten, ob „qualitativ hochwertige, vertrauenswürdige Informationen“ angezeigt würden.
Die Frage nach der Transparenz über Trainingsdaten der Gemini-Modelle gemäß dem EU AI Act wurde nicht während des Pressebriefings beantwortet.
Werbeintegration in Europa vorerst ausgeschlossen
Werbeanzeigen sind derzeit innerhalb von AI Overviews oder AI Mode in der EU nicht verfügbar. Dan Taylor erklärte: „Wir befinden uns noch in der Testphase der Werbeerfahrung dort, und wir machen das derzeit nur in den USA.“ Europäische Werbetreibende könnten jedoch bereits von KI-gestützten Kampagnen profitieren, um Nutzer bei verändertem Suchverhalten zu erreichen (mehr dazu hier).
Die Auseinandersetzung zwischen Googles Vision einer erweiterten, KI-gestützten Suche und den Bedenken von Content-Erstellern um Traffic und Reichweite dürfte mit dem Europa-Launch an Brisanz gewinnen. Während Google von stabilen Gesamt-Traffic-Zahlen spricht, fürchten Publisher substantielle Verluste. Bei einem Treffen von Medien-Managern am Montag Abend in der Wirtschaftskammer jedenfalls waren die Ängste vor dem Start des Google AI Mode bereits deutlich zu spüren. Im November wird sich in den ÖWA-Zahlen dann erstmals möglicherweise zeigen, welche Effekte Googles KI-Suche auch die Zugriffszahlen von Webseiten in Österreich haben.