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„Hard Tech“-Ära im Silicon Valley: Von Apps zurück zu Atomen

Apple Campus von oben. © Amit Lahav auf Unsplash
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B2B statt B2C, Hardware statt bloß Software, Business statt Party, Republikaner statt Demokraten: Das Silicon Valley durchlebt gerade einen fundamentalen Wandel. Nach zwei Jahrzehnten der Fokussierung auf Software-Innovationen und Consumer-Apps kehrt das Tech-Zentrum zu seinen physischen Wurzeln zurück – zu dem, was Experten als „Hard Tech“-Ära bezeichnen.

Das Ende der „Rest and Vest“-Kultur

Die goldenen Tage des Web 2.0, geprägt von kostenlosen Mittagessen, Regenbogen-Sitzsäcken und dem berüchtigten „Rest and Vest“-Phänomen, gehören der Vergangenheit an. In der HBO-Serie „Silicon Valley“ von 2014 wurde diese Kultur satirisch dargestellt: Tech-Arbeiter, die auf Firmendächern Bier tranken, während sie im Wesentlichen dafür bezahlt wurden, ihre Aktienoptionen abzuwarten.

Diese Zeit war geprägt von mobilen Apps, Streaming-Diensten und Photo-Sharing-Plattformen. Facebook wollte jedem eine Facebook-E-Mail-Adresse geben, und die größte Innovation schien die Perfektion von Instagram-Filtern zu sein. Doch diese Ära ist vorbei.

Der Aufstieg der KI und physischen Technologien

Heute dominieren andere Begriffe die Diskussionen in den Konferenzräumen und Hacker-Häusern: Neuronale Netzwerke, Large Language Models und Graphical Processing Units (GPUs) sind zum Pflichtrepertoire geworden. ChatGPTs Fähigkeit, Bilder sofort in Studio-Ghibli-Cartoons zu verwandeln, lässt Instagrams Fotofilter steinzeitlich erscheinen.

Das geografische Zentrum der Innovation hat sich verschoben – von den traditionellen Silicon Valley-Städten wie Mountain View und Palo Alto 65 Kilometer nordwärts nach San Francisco, wo KI-Unternehmen wie OpenAI und Anthropic ihren Sitz haben. Neue Stadtviertel haben Tech-Spitznamen erhalten: „The Arena“ zwischen Mission District und Potrero Hill, wo Startups um KI-Vorherrschaft kämpfen, und „Cerebral Valley“ in Hayes Valley, einem Hotspot für KI-Ingenieure. So beschreibt es etwa die New York Times in einer Reportage.

Struktureller Wandel der Branche

Der Wandel zeigt sich auch in den Investitionsmustern. Wie Sheel Mohnot von Better Tomorrow Ventures feststellt: „Die Zeit der niedrig hängenden Früchte im Tech-Bereich, als frühere verbraucherorientierte Software-Unternehmen einfacher zu bauen waren und Geld druckten, fühlt sich vorbei an.“

Die Tech-Giganten stellen nicht mehr in Massen ein, sondern suchen gezielt nach Talenten mit „härteren“ Fähigkeiten. Deep Learning- und neuronale Netzwerk-Spezialisten sind gefragt, während „digitale Propheten“ und Diversity-Manager entlassen werden.

Hard Tech als historischer Motor des Fortschritts

Die Rückkehr zu Hard Tech entspricht eigentlich der historischen Norm. Eine Analyse von MaC Venture Capital zeigt, dass über 80% der ältesten und 50% der wertvollsten börsennotierten Unternehmen in den USA Firmen sind, deren Hauptprodukt physischer Natur ist.

Jede große technologische Revolution basierte auf Hardware-Durchbrüchen: Die Elektrifizierung ermöglichte die zweite industrielle Revolution, Personal Computer von Apple und IBM in den späten 1970ern schufen neue Industrien, und heute ermöglichen NVIDIA-GPUs OpenAIs KI-Revolution.

Die wertvollsten und langlebigsten Unternehmen der Geschichte sind oft Hardware-Unternehmen. General Electric, 1892 gegründet und federführend bei der Elektrifizierung amerikanischer Fabriken, gehört heute noch zu den 100 wertvollsten Unternehmen weltweit.

Investitionstrends im Wandel

Trotz des historischen Erfolgs von Hardware-Unternehmen herrschte vier Jahrzehnte lang die Überzeugung vor, dass „Hardware schwierig“ sei – zu kapitalintensiv, zu langsam und mit schlechteren Exits.

Neue Datenanalysen widerlegen jedoch diese Annahmen:

  • Hardware-Unternehmen gehen im Durchschnitt sogar schneller an die Börse als Software-Firmen
  • Die durchschnittlichen Bewertungen bei Exits sind nahezu identisch
  • Hardware-Unternehmen benötigen nicht wesentlich mehr Kapital als ihre Software-Pendants

Die neue Generation: Vertikal integrierte Technologie-Unternehmen

Die vielversprechendsten Hard Tech-Unternehmen von heute unterscheiden sich deutlich von ihren Vorgängern: Sie vereinen Hardware und Software durch vertikale Integration. Unternehmen wie Tesla, SpaceX und NVIDIA kontrollieren die gesamte Wertschöpfungskette von der Entwicklung bis zum Einsatz.

Wie Investor Packy McCormick erklärt: „Die Integration ist die Innovation.“ Software spielt dabei eine zentrale Rolle im gesamten Produktlebenszyklus – von der Entwicklung über die Fertigung bis hin zu kontinuierlichen Updates nach dem Verkauf.

Makrotrends fördern Hard Tech-Renaissance

Mehrere Trends treiben die Notwendigkeit einer neuen Hard Tech-Revolution voran:

  • Geopolitische Spannungen erhöhen den Bedarf an heimischer Produktion
  • Klimawandel erfordert innovative Energie- und Fertigungslösungen
  • KI-Revolution benötigt spezialisierte Hardware-Infrastruktur
  • Lieferketten-Vulnerabilität macht lokale Produktion attraktiver

Konkrete Beispiele des Wandels

MaC Venture Capital hat seit 2020 über 73 Millionen Dollar in Hard Tech investiert, was 26% ihres eingesetzten Kapitals entspricht. Ihr Portfolio umfasst Unternehmen wie:

  • Stoke Space: Vollständig wiederverwendbare Raketen
  • Starfish Space: Autonome Satelliten-Wartung im Orbit
  • Chef Robotics: Adaptive Automatisierung in der Lebensmittelproduktion
  • Leapfrog Nuclear: Neuartige Kernreaktoren für dezentrale Energieversorgung

Technologische Durchbrüche als Katalysator

Ein konkretes Beispiel für die neue Hard Tech-Generation ist NVIDIAs DGX Spark – ein 3.000-Dollar-Desktop-Computer, der bis zu einem Petaflop Leistung in kompakter Form bietet. Dieses System ermöglicht es Entwicklern und Forschern, hochleistungsfähige KI-Modelle direkt am Arbeitsplatz zu betreiben, anstatt auf teure Cloud-Infrastruktur angewiesen zu sein.

Ausblick: Die Zukunft gehört der Integration

Die Daten zeigen auch: Die Erzählung von Hardware-Unternehmen als benachteiligt gegenüber Software-Firmen war übertrieben. Führende Venture Capital-Firmen erkennen dies und kehren zu ihren Hard Tech-Wurzeln zurück:

  • Susa Ventures-Mitgründer Leo Polovets startete 2022 Humba Ventures für Hard Tech
  • Die LA-Firma Crosscut schwenkte 2024 komplett auf Frontier Tech um
  • Selbst Marc Andreessen, Autor des „Software frisst die Welt“-Manifests, gründete einen „American Dynamism“-Fonds

Fazit: Zurück zu den Wurzeln

Silicon Valley kehrt zu dem zurück, was es groß gemacht hat: der Entwicklung physischer Technologien, die die Welt verändern. Wie die Geschichte zeigt, entstammt echter Fortschritt dem Bau „harter Dinge“ – der Welt der Atome, nicht nur der Bits.

Die Zukunft gehört nicht ausschließlich Hardware- oder Software-Unternehmen, sondern jenen, die beide Bereiche intelligent integrieren. Nach Jahrzehnten der Fokussierung auf Apps und Werbetechnologie erinnert sich Silicon Valley daran, dass die transformativsten Innovationen dort entstehen, wo Software auf Hardware trifft und neue physische Realitäten schafft.

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