Interview aus Glasgow

Klimaexpertin zur COP26: „Von schönen Worten werden die Emissionen nicht reduziert“

Renate Christ nimmt an der COP26 teil ©Christ
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Seit dem 31.10.2021 findet nun schon die Weltklimakonferenz (COP26) im schottischen Glasgow statt. Über die Grenzen des Konferenzgeländes sind nun schon einige Ergebnisse bekannt gegeben worden. Aber wie ist die Situation direkt vor Ort? Darüber unterhalten wir uns mit Renate Christ. Die Oberösterreicherin wohnt solchen Verhandlungen bereits seit Jahrzehnten bei. Sie leitete elf Jahre lang das Sekretariat des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC, auch als der IPCC 2007 den Friedensnobelpreis erhielt, war beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi und bei der Europäischen Kommission in Brüssel tätig.

Im Gespräch mit Tech & Nature spricht sie über die Lage direkt vor Ort:

Tech & Nature: Wie ist die Atmosphäre bisher auf der COP26?

Renate Christ: Es ist relativ positiv, muss ich sagen. Es hat sich in der vorherigen Woche sehr viel getan (…). An den formalen Punkten sind gute Fortschritte erzielt worden, aber es sind natürlich noch ganz wichtige Fragen offen. Dazu gehört zum Beispiel der internationale Emissionshandel (…) Verbunden damit geht es darum, dass bei jeder Transaktion aus dem Emissionshandel ein gewisser Teil in den Adaptation Fund fließt, der Entwicklungsländer bei Anpassungsmaßnahmen unterstützt. Hinzu kommt die große Frage der Finanzierung, d.h. wie man zu einer glaubwürdigen, langfristigen Finanzierung kommen kann.

In der vorherigen Woche ist auch sehr viel auf der nicht formellen Ebene passiert, was man als Climate-Action-Aktivitäten zusammenfasst. Hier hat sich einiges getan. Wenn ich etwa an die Deklaration über den Schutz der Wälder denke oder die über nachhaltige Landwirtschaft. Es gab eine Selbstverpflichtung der Tourismus-Industrie. Es gab von den Finanzinstitutionen Zusagen. Ich glaube, das Ganze darf man nicht unterschätzen. Wenn in derartigen Bereichen etwas passiert, dann ist es oft wahrscheinlich noch wichtiger als Erklärungen am Papier. Denn die ergreifen dann wirklich Maßnahmen und sind dabei untereinander verbunden und lernen voneinander.

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Wie ernst zu nehmen sind diese Einigungen? 

Beim Kohleausstieg bin ich nach wie vor unzufrieden, denn der geht mir einfach nicht schnell genug. Da sollte man wirklich auf das Tempo drücken, und zwar in allen Ländern, die noch Kohle verwenden. Es wird schon jahrelang darüber diskutiert und da müsste man jetzt wirklich einen klaren Schritt machen.  Positive Signale gab es in der vorherigen Woche. Indien hat jetzt zum Beispiel  ein Ziel für die Klimaneutralität vorgestellt. Gut, man kann sagen, 2070 ist etwas zu spät. Aber dass überhaupt dieses Ziel in der nationalen Politik fixiert wird, finde ich persönlich einen sehr großen Fortschritt. Auch China hat das gemacht mit dem Jahr 2060 (…). Das finde ich schon einen Schritt, den man nicht unterschätzen sollte.

Mit welchen Meilensteinen ist noch zu rechnen?

Es sind die offenen Fragen, die ich erwähnt habe. Diese vier großen Bereiche, die natürlich auch zusammenhängen. Dann gibt es auch die Cover-Decision, also sozusagen die erste Seite der Abschlusserklärung. Da würde ich mir schon wünschen, dass ganz klar das 1,5-Grad-Ziel darin verankert wird. Auch, dass die dafür geforderte Emissionsreduktion von minus 45 Prozent bis 2030 darin verankert wird und die Netto-Null-Emissionen darin verankert werden. Also dass hier wirklich ein ganz klares Bekenntnis kommt (…). Außerdem natürlich ganz klare, strikte Regeln für den Emissionshandel, damit es wirklich zu einer Emissionsreduktion führt und natürlich das notwendige Geld und die Unterstützung für die Entwicklungsländer. Damit sie auch wirklich ihre Maßnahmen durchsetzen können. Das ist meine wichtigste Wunschliste.

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Sehen Sie mehr Einsatz der Länder dieses Jahr im Vergleich zu vorherigen Jahren?

Ja, auf alle Fälle. Also wie gesagt, in China, Indien, aber auch viele andere Staaten. Ich sehe schon einen gewissen Fortschritt und ein Anerkennen der Dringlichkeit. Es ist natürlich noch immer nicht genug. Von schönen Worten, schönen Erklärungen und schönen Plänen werden die Emissionen nicht weniger. Es geht jetzt einfach darum, dass man die Ärmel aufkrempelt und auch wirklich in jedem Land einen klaren, ehrlichen Plan hat (…) Zum Beispiel global die minus 45 Prozent bis 2030 zu erreichen und das Netto-Null-Ziel bis zur Mitte des Jahrhunderts. Aber von schönen Worten werden die Emissionen nicht reduziert.

Maßnahmen, rechtliche Rahmenbedingungen und Infrastrukturmaßnahmen müssen jetzt in Angriff genommen werden und verschiedene Dinge brauchen eben einige Jahre Zeit. Jetzt haben wir 2021, also so viel Zeit ist nicht mehr bis 2030. Also ich glaube, die Dringlichkeit kommt durch. Aber es muss sich manifestieren in Handlungen. Da würde ich eben auch sagen, Österreich muss sich sehr anstrengen. Denn wir haben in den letzten 30 Jahren bekanntlich, außer jetzt Covid-bedingt, keine CO2-Reduktion erreicht. Wir müssen eben auch ganz klar die Maßnahmen setzen im Verkehr, in der Industrie, in der Energie – um die Emissionen zu reduzieren. Nicht in fünf Jahren, nicht in drei Jahren, sondern wir müssen jetzt beginnen.

Wie bewerten Sie das österreichische Auftreten?

Das habe ich jetzt nicht direkt beobachtet. Es gibt in dem Sinn ja kein österreichisches Auftreten, denn die EU verhandelt ja immer als Gruppe. Das heißt, die Position wird vorverhandelt unter den 27 und ein/e Delegierte/r präsentiert dann die Position der EU und der 27 Mitgliedsstaaten. Insofern gibt es da vielleicht innerhalb der EU Koordination gewisse Positionen. Aber nachdem ich nicht in der Regierungsdelegation bin, entzieht sich das meiner Kenntnis.

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Reicht die Geschwindigkeit beim Klimaschutz aus?

Der letzte Bericht 2020 von UNEP, der „Emission Gap Report“ ist davon ausgegangen, dass man in Fahrtrichtung 3,2 Grad ist. Nun ist schon eine gewisse Verbesserungen auf 2,7 Grad zu erkennen. Die Internationale Energieagentur hat dann versucht auszurechnen, was wäre der Pfad, wenn wirklich alle Länder die Klimaneutralität versprochen haben. Die kommen eher auf ein optimistisches Szenario, wonach man sogar 1,8 Grad erreichen könnte. Wenn wirklich alle sofort beginnen zu reduzieren und sofort ihren Pfad in Richtung Netto-Null einschlagen. Das heißt, es gibt eine positive Entwicklung. Das Ziel haben wir festgelegt in Paris. Jetzt haben die Länder ihre Fahrpläne vorgelegt und wir müssen jetzt aufs Tempo drücken. Vor allem müssen wir darauf schauen, dass nicht irgendwo ein Zug Verspätung hat oder vielleicht sogar entgleist. Wir müssen da den Druck ständig aufrechterhalten, damit jetzt was passiert und nicht nur wunderschöne Worte.

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Kann die Konferenz den Erwartungen gerecht werden?

Aus meiner Sicht ist bei der vorher erwähnten Cover-Decision wichtig, dass man da wirklich 1,5 Grad, Minus 45 Prozent und Netto-Null festlegt. Das andere ist, dass man eben ein Emissionshandelssystem hat, das wirklich wasserdicht ist. Das sind für mich Kriterien für einen Erfolg. Aber was wirklich der Erfolg der Klimapolitik ist, ist das, was nächste Woche ab Montag passiert. Welche Maßnahmen in den Ländern wirklich implementiert werden, sowohl mit politischen Maßnahmen, als auch mit rechtlichen und finanziellen Maßnahmen. Daran wird man den Erfolg messen können.

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