KSV1870: Was die Neuerungen im Insolvenzrecht konkret bedeuten
Raschere Entschuldungen und eine zweite Chance für Unternehmer: Die Reform des österreichischen Insolvenzrechts soll viele Verbesserungen am Markt bringen. Aber wie funktioniert es im Detail, und worauf ist künftig zu achten? Karl-Heinz Götze, Leiter KSV1870 Insolvenz, spricht im Interview über die Neuerungen und was diese sowohl für die Schuldner als auch die Gläubiger bedeuten.
Worum geht es bei der Restrukturierungsordnung (ReO), die im Zuge der Umsetzung der Restrukturierungs- und Insolvenz-Richtlinie (RIRL) am 17.07.2021 in Kraft getreten ist?
Karl-Heinz Götze: Es soll insolvenzgefährdeten, aber noch nicht zahlungsunfähigen Unternehmen ermöglicht werden, in einem gerichtlichen Restrukturierungsverfahren den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Manches ist dabei gänzlich neu, manches steht im Widerspruch zu den Grundsätzen des heimischen Insolvenzrechts, etwa was die Gleichbehandlung der Gläubiger betrifft.
Denn im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens kann der Unternehmer mit von ihm definierten Gläubigern einen Deal über einen Schuldenschnitt ausverhandeln. Dazu braucht es ein Restrukturierungskonzept seitens des Unternehmers, das der Zustimmung der vom Schuldner miteinbezogenen Gläubiger bedarf. Wer diese sind, entscheidet der Unternehmer selbst.
Schuldner suchen sich also ihre Gläubiger aus, mit denen sie einen Deal ausverhandeln wollen?
Im Prinzip ja. Die in das Verfahren mit einbezogenen Gläubiger werden in Klassen eingeteilt. An der Spitze stehen die besicherten Gläubiger, gefolgt unter anderem von unbesicherten Gläubigern und Anleihegläubigern – jede Klasse stimmt dabei über den Restrukturierungsplan ab. Im Unterschied zum Sanierungsplan gibt es hier keine Mindestquote. Es müssen je Klasse über 50 Prozent der anwesenden Gläubiger und mehr als 75 Prozent der betroffenen Forderungen für den Plan votieren.
Aber: Das Gericht kann unter bestimmten Voraussetzungen dem Restrukturierungsplan auch dann die Bestätigung erteilen, wenn nicht alle Klassen zugestimmt haben. Das hat jedoch eingeschränkte Mitbestimmungsrechte einzelner Gläubigergruppen zur Folge. Die Forderungen der nicht involvierten Gläubiger bleiben vom Verfahren unberührt und müssen in vollem Umfang bezahlt werden.
Welche Rolle spielt dabei der KSV1870?
Das Restrukturierungsverfahren muss nicht in der Ediktsdatei veröffentlicht werden. Zudem ist eine Verständigung von bevorrechteten Gläubigerschutzverbänden wie dem KSV1870 nicht vorgesehen. Somit erhalten wir nicht automatisch Akteneinsicht, können von Schuldnern wie auch Gläubigern jedoch aktiv ins Verfahren geholt werden.
Die Konzeption als geheimes Verfahren halten wir für fragwürdig. Vor allem, weil sich das österreichische Modell auch im europäischen Vergleich bewährt hat, worum uns die europäischen Insolvenzexperten beneiden. Aufgrund unserer Expertise wurden Verhandlungsergebnisse erzielt, die rund einem Drittel aller insolventen Unternehmen eine erfolgreiche Sanierung ermöglichen. Und die Gerichte wurden durch unser Mitwirken entlastet.
Kommen wir zum Privatkonkurs, wo sich ebenfalls einiges getan hat.
Der Privatkonkurs galt lange Zeit als Erfolgsmodell, vor allem, weil er für alle Beteiligten relativ fair war. Trotzdem wurde das bestehende Modell im Jahr 2017 erstmals reformiert. Eine von sieben auf fünf Jahre verkürzte Rückzahlungsdauer und die Abschaffung der zehnprozentigen Mindestquote waren die Folge. Nun wurde ein weiteres Mal eingegriffen – und das nicht zu knapp. Unsere Kritik bezieht sich auf die neu geschaffene Möglichkeit einer privilegierten Entschuldung im Rahmen des Abschöpfungsverfahrens (Tilgungsplan) auch für Konsumschuldner.
Ab sofort ist es für private Schuldner möglich, sich innerhalb von drei Jahren zu entschulden. Insgesamt wird suggeriert, dass es relativ einfach ist, seine privaten Schulden wieder loszuwerden. Diese Entwicklung hat jedenfalls das Potenzial, das verantwortungsbewusste Handeln ins Wanken zu bringen.
KSV1870-Chef: „Aktuell haben die Gläubiger Verständnis für eine Insolvenz“
Nun gibt es mit dem Gesamtvollstreckungsverfahren eine weitere Möglichkeit der Entschuldung. Wie läuft diese ab?
Früher haben die Schuldner zumeist selbst ein Schuldenregulierungsverfahren angestoßen. Im Rahmen der Novelle der Exekutionsordnung kann jetzt auch das Exekutionsgericht die offenkundige Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners feststellen. Dies wird voraussichtlich dann der Fall sein, wenn jahrelange Exekutionen keine nennenswerten Ergebnisse gebracht haben. Gläubiger können dann einen Antrag auf Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens gegen den Schuldner stellen.
Nach Eröffnung müssen Gläubiger ihre Forderungen anmelden. Die Quoten werden verteilt, sobald eine Quote von mindestens 10 % erreicht wird, jedenfalls aber nach drei Jahren. Wenn keine relevanten Beträge bis dahin zusammenkommen, kann das Gericht das Verfahren nach fünf Jahren beenden. Da das jedoch weder im Interesse der Schuldner noch der Gläubiger ist, kann der Schuldner im Rahmen des Gesamtvollstreckungsverfahrens einen Antrag auf Eröffnung eines Schuldenregulierungsverfahrens stellen und einen Zahlungsplan anbieten, um die Restschuldbefreiung zu erlangen.
Der Schuldner kann also quasi „umsatteln“?
Mit der Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens soll der Schuldner dazu bewegt werden, die Zahlungsunfähigkeit einzusehen, um in weiterer Folge eine Entschuldung im Rahmen eines Zahlungsplans oder eines Abschöpfungsverfahrens einzuleiten. Durch diese sinnvollen Gesetzesänderungen wird erreicht, dass die vielen unnötigen, weil vergeblichen Exekutionen vermieden werden.
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