Lehm – Zukunft der Baubranche?

Das Climate Lab ist ein Innovationshub für Klima-Akteur:innen aus ganz Europa. Es handelt sich dabei um eine Initiative des österreichischen Klima- und Energiefonds und des Klimaschutzministeriums (BMK) und wird gemeinsam mit dem größten Energieversorger des Landes, der Wien Energie, dem EIT Climate-KIC und dem Impact Hub umgesetzt. In diesem Gastbeitrag beschäftigt sich das Climate Lab mit CO2-reduzierten und kreislauffähigen Baustoffen wie Lehm.
Mehr als ⅓ des globalen Materialverbrauchs entfällt auf den Bausektor. Die Wahl des Materials hat daher auch eine enorme Auswirkung auf Klima und Umwelt. Im Climate Lab haben wir im Auftrag des Klimaschutzministeriums nach einem Baustoff mit möglichst kleinem CO2-Rucksack und besten kreislauffähigen Eigenschaften gesucht – und gefunden.
Gibt es einen Baustoff, der nahezu überall in großen Mengen vorkommt, am besten als Abfallprodukt, im Einsatz kaum Energie benötigt und auch noch kreislauffähig ist? Ja, gibt es. Lehm bringt alle diese Eigenschaften und noch einige mehr mit und wird nicht umsonst seit tausenden von Jahren erfolgreich als Baumaterial verwendet. Natürlich hat auch Lehm Grenzen und kann nicht für jedes Bauvorhaben eingesetzt werden, aber das Potential für den Einsatz von Lehm ist in Österreich enorm.
Die Kunst des Lehmbaus
Im Auftrag des Klimaschutzministeriums hat das Climate Lab in diesem Jahr durch Recherche, Interviews und einer Serie von Veranstaltungen ermittelt, wie sich durch die Wahl der geeignetsten Baustoffe die CO2-Emissionen und der Energiebedarf verringern und die Kreislauffähigkeit von Gebäuden erhöhen lässt. Im Fokus standen dabei Holz, Beton, Ziegel und Lehm. Während Holz, Beton und Ziegel in Österreich bereits große Akzeptanz genießen, kommt Lehm jedoch noch eher selten zum Einsatz.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass gerade Lehm einige interessante Eigenschaften aufweist. Im Gegensatz zu Ziegel wird Lehm nicht gebrannt, wodurch der Energieverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen sehr viel geringer ausfallen. Durch verschiedene Methoden kann Lehm sehr einfach – sogar rein händisch – zum Bau von Gebäuden eingesetzt werden. Techniken wie Stampflehm, Lehmziegel, Wellerlehm oder Lehmbauplatten bieten vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Lehm kann auch als Verputz oder Mörtel verwendet werden. Ein kombinierter Einsatz mit Holz führt zudem zu einer erhöhten Stabilität und Tragfähigkeit. Eine ausführliche Aufstellung der verschiedenen Methoden ist in unserem Abschlussbericht zu finden.
Alleskönner Lehm?
Auch einige Eigenschaften, die Lehm mitbringt, machen ihn für die Bauwirtschaft interessant. Lehm nimmt Feuchtigkeit schnell auf und kann diese bei Bedarf wieder abgeben. Dadurch entsteht eine ausgeglichene Luftfeuchtigkeit in Räumen, die sich positiv auswirkt und trockene Schleimhäute verhindert, Erkältungskrankheiten vorbeugt und die Feinstaubbildung reduziert.
Lehm kann zudem viel Wärme aufnehmen und speichern und so Temperaturschwankungen ausgleichen und Extremtemperaturen abmildern. Auch Schall wird durch Lehm gut absorbiert, wodurch er für eine angenehme Raumakustik sorgt und sich als Element der Schalldämmung eignet.
Unbegrenzt wiederverwendbarer Naturstoff
Mit Blick auf den Materialverbrauch hat Lehm einige Antworten zu bieten. Zum einen ist Lehm überall auf der Welt in großen Mengen verfügbar. Oft fällt er als Aushub oder Ausbruchmaterial auf Baustellen an, wird aber derzeit oft deponiert. Es liegt nahe, dieses Material stattdessen in Gebäuden zum Einsatz zu bringen. Lehm ist zudem ein vollkommen natürliches Material und kann somit der Natur entnommen und in gleicher Weise (ungebrannt und ohne Zusätze) wieder in die Natur eingegliedert werden. Er lässt sich leicht zerkleinern und ist durch Zugabe von Wasser unbegrenzt wiederverwendbar.
Grenzen der Anwendbarkeit
Natürlich ist Lehm bei allen Vorteilen nicht unbegrenzt einsetzbar. Vor allem die Tragfähigkeit setzt hier Grenzen. Kleinere, mehrstöckige Gebäude sind jedoch machbar und in diesem Segment bietet sich mit Lehm eine nachhaltige Alternative. Durch den kombinierten Einsatz mit anderen Baustoffen lässt sich das Einsatzfeld von Lehm noch deutlich ausweiten. Durch die positiven Eigenschaften für das Raumklima bietet sich Lehm zudem als Material für den Innenausbau von Bodenplatten über Zwischenwände bis zur Schalldämmung an.
Normen und Regulierungen
Mit der neuen ÖNORM B 3141 soll ein Regelwerk mit Anforderungen an Recycling-Baustoffe aus Aushubmaterialien erstellt werden. Durch die Festlegung von eindeutigen Materialbezeichnungen für die hergestellten Recycling-Baustoffe wird eine Unterscheidung von Produkten ermöglicht. Zur Förderung einer Kreislaufwirtschaft wird außerdem angestrebt, dass Abfälle im Einklang mit der Abfallhierachie, die sich zum Recycling oder für andere Verwertungsformen eignen, in Zukunft nicht mehr auf Deponien abgelagert werden.
Ergänzung zu Holz Beton und Ziegel
Lehm als Baustoff ist eine neue und zugleich sehr alte, aufregende Idee. In der Bauwende bietet sich mit Lehm ein großes Potential zur Nachhaltigkeit. Die etablierten Baustoffe wie Holz, Ziegel und Beton wird Lehm aber nicht ersetzen können, wohl aber ergänzen. In Zukunft wird es immer wichtiger werden, bei der Wahl des geeignetsten Baustoffes für ein Gebäude sorgfältig nicht nur nach ökonomischen, sondern auch nach ökologischen Gesichtspunkten zu entscheiden. Schließlich muss nicht jedes Einfamilienhaus mit massivem Stahlbeton errichtet werden.
Noch wichtiger als die Wahl klimaschonender Materialien ist jedoch ein generelles Umdenken beim Umgang mit Gebäuden. Bessere und längere Nutzung, Dämmung und Sanierung und ein geordneter Rückbau samt Wiederverwendung der Materialien und Einzelteile muss in den Vordergrund treten. Der Neubau auf der grünen Wiese hingegen sollte schon bald der Vergangenheit angehören. Für unsere Baubranche bieten sich hier große Chancen, neue, rasch wachsende und nachhaltige Märkte frühzeitig zu erschließen und so die aktuelle Krise zu überwinden.