Neue Held:innen: Wie die Ukraine Putin im Info-Krieg Paroli bietet
„I need ammunition, not a ride.“ Dieser Tweet von Volodymyr Zelensky ist bereits Legende. Anstatt das Angebot der Amerikaner anzunehmen, ihn aus dem Kriegsgebiet zu evakuieren, sagt der ukrainische Präsident öffentlich, dass er lieber Munition hätte, um seine Stadt, sein Land zu verteidigen. Hinter ihm stehen seine Getreuen, und hinter ihm steht offenbar ein Großteil des von Russland überfallenen Landes. Die Bilder von Zelensky, mittlerweile stets in militärischer Tarnkleidung, gehen um die Welt. Und sie stehen in starkem Kontrast zu den skurrilen Bildern aus Putins Büro, wo er an absurd langen Tischen mit westlichen Politikern und seinen Ministern und Militärs abgelichtet wird.
Zelensky ist im Social Web zum Helden geworden, und das innerhalb weniger Tage und unter tragischen Umständen. Seine Tweets zu Waffenlieferungen und Gesprächen mit hochrangigen Politiker:innen auf der ganzen Welt werden weit verbreitet. Die digitalen Kampagnen laufen auf Hochtouren: Die ukrainische Regierung und NGOs, die das ukrainische Militär unterstützen, haben mittlerweile insgesamt knapp 25 Millionen Dollar an Krypto-Spenden erhalten. Russland, traditionell ein starker Gegner im Cyberwar, hat es noch nicht geschafft, die digitale Kommunikation der Ukrainer:innen zu unterbinden.
„Go fuck yourself!“
Und so aussichtslos die Lage der Ukraine gegen den übermächtigen Gegner ist – die Storys, Bilder und Videos der mutigen, tapferen Ukrainer:innen im Widerstand gegen die Überfalls-Armee durchfluten das Netz. Man sieht Frauen, die auf der Straße Molotov-Cocktails mixen, Menschenmengen, die russische Panzern blockieren, sogar von Menschen, die Molotov-Cocktails aus fahrenden Autos auf russische Panzer (die mit dem „Z“ drauf) werfen. Auch der Funkspruch der Soldaten auf der Schlangeninsel „Russisches Kriegsschiff, go fuck yourself!“ ging um die Welt. Anders als zuerst befürchtet, sind die 13 ukrainischen Soldaten nicht tot, sondern in russischer Gefangenschaft.
Tweets wie diese gehen aktuell um die Welt:
Besonders auffällig ist dabei die englischsprachige Kyiv Post, die sich zum Schutz vor DDoS-Attacken hinter das Schutzschild von Cloudflare begeben hat und GoFundMe und Patreon als Funding-Plattformen einsetzt. Via Patreon werden 45.000 Euro pro Monat umgesetzt, via GoFundMe kamen bis dato 860.000 Euro zusammen.
Die Reporter der Kyiv Post sehen sich dabei als „Gegengift der russischen Propaganda“ und machen das Geschehen im Land durch die englische Sprache international greifbar. Allerdings stellt sich bei manchen „Berichten“ auch die Frage, ob die Informationen korrekt sind. So ist die „Nachricht“, dass Bulgarien, Polen und Slowakei 70 Kampfflugzeuge ukrainischen Piloten zur Verfügung stellen würden, keineswegs bestätigt.
David gegen Goliath
Mehr Panzer, mehr Truppen, mehr Flugzeuge, mehr Geld, und dann auch noch das Atomwaffen-Arsenal on top: Die Märchen über die Ukrainer, die Russen verfolgen würde, können nur gefügig Gemachte, Unterdrückte oder Dumme glauben. Russland, oder eigentlich Putin, ist der Goliath in dem Kampf. Dieses Narrativ hat Einfluss: So gibt es mittlerweile tausende Ukrainer:innen, die zurück in ihr Land kehren, um dort gegen die Invasoren zu kämpfen – ungeachtet dessen, dass dort eine übermächtige und tödliche russische Kriegsmaschinerie auf sie wartet.
Währenddessen scheint Russland nicht alles im Griff zu haben. Russische Staatsmedien verkündeten in einer vorbereiteten Meldung am Samstag vorzeitig einen Sieg Russlands.
Dieses David-gegen-Goliath-Narrativ funktioniert seit vielen tausenden Jahren und ist auch in der jüngeren Vergangenheit immer wieder erfolgreich. Ob bewusst bemüht oder ungewollt produziert, der gerechte Kampf des offensichtlich Unterlegenen gegen den korrupten, siegessicheren und übermächtigen Bösen löst in uns allen immer wieder große Emotionen aus. Hier einige Beispiele:
- Edward Snowden gegen die übermächtige NSA
- Max Schrems gegen Facebook/Meta
- Greenpeace gegen die Öl-Multis
- Gallier gegen die Römer
Ob strategisch und geplant eingesetzt oder nicht: Den Informationskrieg im Netz, den haben die Ukrainer:innen vorerst für sich entschieden. Zumindest im Westen, wo die Menschen die Botschaften frei empfangen können, anders als im zensierten Russland.