Interview

Punkt vor Strich: “Frauen sind nicht einfach kleine Männer”

Claudia Falkinger und Lina Mosshammer von Punkt vor Strich. © Barbara Kramel
Claudia Falkinger und Lina Mosshammer von Punkt vor Strich. © Barbara Kramel
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Lina Mosshammer und Claudia Falkinger haben mit Punkt vor Strich ein Unternehmen gegründet, das den Finger auf einen wunden Punkt der Mobilitätsbranche legt: Gender-Diversität. Mit Daten zeigen die Unternehmer:innen, warum Autos für Frauen tödlicher sind und dass sogar Navigationssysteme immer noch nicht für Frauen gebaut werden.

Bei Punkt vor Strich beschäftigt ihr euch mit dem Themenkomplex Gender & Mobility. Welches Ziel verfolgt ihr dabei?

Claudia Falkinger: Mit Punkt vor Strich schaffen wir Lösungen, die alle bewegen. Das bedeutet insbesondere ein Bewusstsein schaffen, dass unser aktuelles Mobilitätssystem nicht alle Bedürfnisse berücksichtigt. Wir brauchen Mobilitätsangebote, die zugänglich, flexibel und vor allem komfortabel für möglichst viele Zielgruppen sind.  

Was war für euch der Knackpunkt, sich den Ungleichheiten im Mobilitätssektor zu widmen? Welche persönlichen Erfahrungen haben dazu geführt?

Lina Mosshammer: Im Jahr 2020 haben wir das Netzwerk Women in Mobility in Österreich gestartet. Die ersten Events sind super gelaufen. Gleich bei den ersten digitalen Veranstaltungen hatten wir mehrere hunderte Teilnahmen aus Österreich und darüber hinaus. Gleichzeitig hat es uns gezeigt, dass es noch viel zu tun gibt. Denn es kamen mehrere Mobilitätsanbieter von Lastenfahrrädern bis hin zu E-Mobilitäts-Lösungen mit der Frage auf uns zu, wie sie es besser schaffen, bis dato wenig erreichte Zielgruppen wie Frauen von Produktentwicklung bis Vermarktung einzubinden. Mobilitätsangebote werden immer flexibler, gleichzeitig sind sie noch lange nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet. 

Insbesondere das Thema Gender Data Gap ist eine große Herausforderung. Diversität, und Gender ist ein Aspekt, wird leider noch zu wenig in der Datenerhebung berücksichtigt. Das bedeutet etwa, dass die Bedürfnisse von Frauen in der Entwicklung von Lösungen unterrepräsentiert sind. Ein Beispiel ist Crowdsourcing bei Kartentools. Hier sind oft Markierungen wie Supermärkte oder Schulen unterrepräsentiert, weil die eintragende Zielgruppe diese weniger im Blick hat. 

Autos sind auf den ersten Blick geschlechtsneutral. Auf den zweiten Blick dann doch nicht. Wo liegen euren Untersuchungen zufolge die Unterschiede?

Falkinger: In Österreich sind über 60 Prozent der Autos auf Männer zugelassen. In klassischen Familien sind es oft Männer, die täglich mit dem Auto zur Arbeit fahren, während die Frauen die Kinderbetreuung übernehmen und Teilzeit arbeiten. Fast 50 Prozent der Frauen, gegenüber 10 Prozent der Männer, arbeiten in Teilzeit. Der Hauptgrund ist die Betreuung von Kindern und Angehörigen. Trotzdem sind es insbesondere Frauen, die den öffentlichen Verkehr nutzen. 

Auch die Fahrzeuge selbst sind in dem Sinn nicht geschlechtsneutral. Erst im Jahr 2018 wurde der erste weibliche Crashtest-Dummy namens Eva vorgestellt. Das Risiko, bei einem frontalen Autounfall schwerwiegende Verletzungen zu erleiden, ist bei Frauen um über 70 Prozent höher als bei Männern, das Risiko, getötet zu werden, um 17 Prozent höher. Die ersten Autohersteller setzen diese neuen Dummies bereits ein, verpflichtend ist das in Europa allerdings bis heute nicht. 

Seht ihr konkret bei E-Autos, die jetzt stark in den Markt kommen, Geschlechter-spezifische Unterschiede? Werden E-Autos eher für Männer gebaut?

Mosshammer: Die Nachteile, die Frauen in puncto Sicherheit und Co. haben, gelten für Verbrenner-Autos genauso wie für E-Autos. Frauen sind tendenziell eher pragmatische Autonutzerinnen. Das bedeutet: Sie sind oft einer Doppelbelastung mit Erwerbstätigkeit und Betreuungstätigkeit ausgesetzt. Da bleibt wenig Zeit, sich mit neuen Trends auseinanderzusetzen. Gleichzeitig haben Frauen durchschnittlich ein geringeres Einkommen. Derzeit sind E-Autos teure und überschwere SUV, es bräuchte jedenfalls mehr leistbare Mittelklassefahrzeuge. 

Viele Menschen kommen über Carsharing-Dienste das erste Mal ans Steuer eines E-Autos. Euren Daten zufolge sind aber 80% der Car-Sharing-Nutzer:innen Männer. Warum ist hier das Ungleichgewicht so stark ausgeprägt?

Falkinger: Flexible Angebote wie Carsharing haben das Potenzial, bedarfsorientierte Mobilität anzubieten. Das bedeutet Mobilität so nutzen, wie man es gerade braucht. Gleichzeitig sind damit immer noch hohe Kosten verbunden, Sicherheitsbedenken oder auch die Barriere etwas Neues auszuprobieren oder sich jedes Mal neu zu registrieren. Der Zugang zu den Angeboten muss erleichtert werden, in den realen Alltag passen und besser in den bestehenden öffentlichen Verkehr integriert werden. Ein nettes Beispiel kommt aus Graz: Hier ist das Carsharing-Angebot mit dem Öffentlichen Verkehr vernetzt und es kann optional ein Kindersitz eingebucht werden, sodass auch Mobilität als Familie möglich ist. 

Nur 22% der Mitarbeiter:innen im europäischen Transportsektor sind Frauen. Ist das der Hauptgrund, warum Mobilität so stark auf Männer zugeschnitten ist?

Mosshammer: Das hat auf jeden Fall einen wichtigen Einfluss. Wir planen für das, was wir kennen. Die eigene Perspektive prägt sehr stark, was berücksichtigt wird. Es ist daher wichtig sowohl in den Planungs- und Entwicklungsteams, als auch auf Entscheidungsebene eine gute Balance zu schaffen. Das gilt natürlich nicht nur für das Thema Gender. Wichtig ist darüber hinaus auch die Einbindung verschiedener Zielgruppen im Prozess. 

Lange Zeit galten Männer als „Durchschnittsmensch“. Frauen sind in Daten und Erhebungen oft unterrepräsentiert. Wenn beispielsweise bei einer Datenerhebung der Anteil der Frauen 20 Prozent beträgt, dann aber mit dem Durchschnitt gearbeitet wird, gelten die Ergebnisse für Frauen nur sehr eingeschränkt. Das gilt natürlich für alle unterrepräsentierten Zielgruppen. 

Angenommen, das Geschlechterverhältnis im Mobilitätssektor wäre ausgeglichen – wie würden E-Autos dann aussehen bzw. funktionieren?

Falkinger: Die Mobilität von Frauen ist multimodal. Das bedeutet, sie benutzen viele verschiedene Verkehrsmittel. Darum ist es umso wichtiger, sich das große Ganze anzusehen. Anzusetzen ist insbesondere bei der Entwicklung und bei der Kommunikation. Bei Autos kann das beispielsweise eine Navigation sein, die nicht wie heute oft schlechter auf hohe weibliche Stimmen reagiert. Das kann aber auch das Thema Sicherheit bei Ladestationen und eine einfache Bedienung betreffen.

Ganz generell gibt es in der Bevölkerung noch viele Fragezeichen, wenn es um E-Autos geht. Es haben aber nicht alle Menschen die Zeit oder auch das Interesse, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn E-Autos für alle passen sollen, braucht es noch viel mehr Aufklärung und Information, damit der Einstieg möglichst leicht ist. Hier gibt es noch viel ungenutztes Potential.

Unternehmen haben mit ihren oft riesigen Fuhrparks enormen Einfluss auf die Adoption von E-Autos. Gibt es dort ebenfalls einen Gender Gap? Und wie könnte man ihn auflösen?

Mosshammer: Rund zwei Drittel aller Neuwagen sind Firmenwagen. Firmen haben einen sehr großen Hebel Mobilität zu gestalten. Sowohl den Mobilitätsmix den sie ihren Beschäftigten anbieten, als auch den Fahrzeugen, die sie anschaffen. Wichtig ist, auf die Bedürfnisse der Beschäftigten zu achten. Wege von Frauen werden durch Betreuungsaufgaben komplexer. Sie fahren nicht direkt zur Arbeit und wieder nach Hause, sondern bringen dazwischen noch die Kinder in den Kindergarten oder Schule oder haben andere Erledigungen.

Und ja, immer mehr Männer übernehmen immer mehr Teile der Kinderbetreuung, stehen aber dann natürlich vor denselben Problemen. Unternehmen können durch einen guten Mobilitätsmix einen wichtigen Beitrag leisten.

Das bedeutet, etwa ein Mobilitätsbudget pro Jahr anzubieten, mit dem sich Beschäftigte nach Bedarf ihre Mobilität gestalten können. An einem Tag wird das E-Auto aus der Firmenflotte genutzt, am anderen Tag vielleicht das E-Fahrrad mit Anhänger oder der Bus für einen Termin im Stadtzentrum. 

Frauen haben euren Daten zufolge ein 71% höheres Verletzungsrisiko bei Verkehrsunfällen. Warum ist das so?

Falkinger: Erst vor fünf Jahren wurde der erste weibliche Crashtest-Dummy entwickelt, dessen Einsatz sich aber erst noch überall durchsetzen muss. Meistens werden für Frauen einfach männliche Dummys in klein verwendet. Frauen sind aber nicht einfach kleine Männer, sondern haben einen ganz anderen Körperbau. Eine Vorgabe, etwa auf EU-Ebene, gibt es leider bis heute nicht. 

Seht ihr bereits gute Ansätze, diese Ungleichheit aufzulösen? Welche sind vielversprechend?

Mosshammer: Es gibt ein Bewusstsein für das Thema. Und man sieht auch schon die ersten Ergebnisse, wie eigene Diversity Abteilungen in Firmen oder auch den langsam steigenden Anteil an Frauen in der Branche und in Entscheidungspositionen. Ganz konkret sieht man die Veränderung auch auf der Straße, wie etwa die Kindersitze am neuen Bike-Sharing System in Wien. Es wird erkannt, dass mehr Frauen und mehr Diversität auch auf wirtschaftlicher Ebene einen großen Mehrwert bringt. 

 

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