TechBBQ

„Akademiker in Brüssel können nicht vorhersagen, was in der Tech-Welt passieren wird“

TechBBQ-Panel mit Synthesia, Creandum, Project Europe und EU Inc-Initiative. © Trending Topics
TechBBQ-Panel mit Synthesia, Creandum, Project Europe und EU Inc-Initiative. © Trending Topics
Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview

Wie kann Europa noch im AI-Sturm zwischen den USA und China punkten, ohne unterzugehen? Diese Frage stellt man sich nicht nur in Wien, Berlin oder Brüssel, sondern dieser Tage auch in Kopenhagen. Dort wird gerade Skandinaviens größte Tech- und Startup-Konferenz TechBBQ abgehalten, an der auch Trending Topics und newsrooms teilnehmen und sich unter die etwa 10.000 Teilnehmer:innen mischt.

Viel Aufmerksamkeit bekam die Diskussionsrunde mit Synthesia-Gründer und CEO Victor Riparbelli (Generative KI), Creandum-Partner Johan Brenner (großer skandinavischer Investor), EU-Inc-Initiatorin Iwona Biernat und Project Europe-Gründerin Kitty Mayo, die sowohl die strukturellen Probleme als auch das Potenzial des europäischen Tech-Standorts offenbarte.

IPO-Wüste Europa: „Never Europe“ bei Börsengängen

Besonders deutlich wurde die Kapitalmarkt-Problematik Europas. Auf die Frage, wo er Synthesia (das Startup mit Hauptsitz in London wurde 2024 mit 2,1 Milliarden Dollar bewertet) an die Börse bringen würde, antwortete Riparbelli ohne zu zögern: „Never Europe. Die London Stock Exchange ist eine komplette Katastrophe.“ Das deckt sich mit der Einschätzung bei Bitpanda aus Wien. Das Krypto-Unicorn verkündete kürzlich, die LSE von der Liste der möglichen Börsenplätze zu streichen, stattdessen sind nun noch Frankfurt und New York im Rennen.

Johan Brenner, General Partner von Creandum (u.a. Lovable, Trade Republic, Klarna, Bolt) sieht hier ein fundamentales Problem: „Was in Europa fehlt, ist Later-Stage-Funding. Wir haben viel Early-Stage-Kapital, aber bei späteren Finanzierungsrunden und besonders bei öffentlichen Märkten sieht es düster aus.“

Die Ursachen lägen tief in der europäischen Sparkultur. Während in Schweden sieben von zehn Menschen in Aktien investieren, ist es in Kontinentaleuropa nur einer von zehn. „Die Pensionssysteme in Europa basieren auf Zinsen, nicht auf Eigenkapital. Europa partizipiert nicht an den eigenen Erfolgen“, kritisiert Brenner.

Das Resultat sei: 80% der Later-Stage-Finanzierungen in Großbritannien kommen von ausländischen Investoren – ein kompletter Gegensatz zur Bay Area, wo 80% des Kapitals aus den USA stammt.

Application Layer vs. Foundation Models: Europas AI-Dilemma

In der KI-Entwicklung sehen die Experten Europa in einer zwiespältigen Position. „Wir sind sehr gut darin, Anwendungen auf bestehende Modelle aufzubauen“, erklärt Brenner. „Aber die meisten Grundlagen-Modelle und deren Entwicklung entstehen in den USA.“

Kitty Mayo von Project Europe bestätigt diesen Trend bei jungen Gründern: „Wir sehen viele Founder, die auf der Anwendungsebene bauen wollen, aber nicht so viele, die Foundation Models entwickeln möchten.“

Stattdessen beobachtet sie eine Hinwendung zu Hardware-Innovationen: „Viele junge Gründer wenden sich der Hardware zu, weil es sich wie ein Bereich anfühlt, in dem sie wirklich das Potenzial haben, an der Spitze zu stehen und die Welt zu verändern.“

Brenner sieht die Lösung in grundlegenden Investitionen: „Können wir bei den fundamentalen Teilen des Ökosystems konkurrieren? Das bedeutet: billige Energiekosten, die besten Köpfe, Chip-Technologie, Algorithmen. Dann können wir echte Wettbewerbsvorteile aus Europa heraus aufbauen.“

Europas Stärken und Schwächen im US-Vergleich

Die Vorteile Europas

Victor Riparbelli hebt Europas „Brand“ als großen Vorteil hervor: „Wir haben mit Europa tatsächlich eine großartige Marke. Viele Menschen lieben Europa als Ort für Urlaub und Leben. In London fanden wir es einfacher, Leute aus der Bay Area nach London zu holen als nach New York, weil die Vorstellung, in London oder Dänemark zu leben, für viele Menschen attraktiv ist.“

Die europäischen Vorzüge sind klar: kostenlose Gesundheitsversorgung, kostenlose Bildung, hohe Lebensqualität. „Wenn wir eine Marketing-Kampagne machen würden, wie schön es ist, in Europa zu leben – das würde unsere Situation enorm verbessern“, so Riparbelli.

Die strukturellen Nachteile

Doch diese Vorteile werden durch regulatorische Hürden zunichte gemacht. Riparbelli schildert ein konkretes Beispiel: „Wir haben ein Büro in Dänemark. Zwei Mitarbeiter aus Slowenien, die fünf Jahre mit uns gearbeitet haben, wollten das Land verlassen, können aber nicht – weil sie Steuern auf unrealisierte Gewinne von Startup-Anteilen zahlen müssten.“

Die regulatorische Überregulierung sieht Riparbelli als Kernproblem, sie hätte sich im viel kritisierten AI Act manifestiert: „Wir müssen weg von dieser Idee, dass Akademiker in einem Raum sitzen und vorhersagen können, was in der Tech-Welt passieren wird. Weder Gründer, noch Wissenschaftler oder Investoren können vorhersagen, was in der KI in den nächsten drei Monaten passiert – und Akademiker in Brüssel definitiv nicht.“

Underdogs werden geliebt, große Unternehmen nicht

Ein besonders interessanter Punkt: die europäische Mentalität. „Wir haben ein kulturelles Problem in Europa“, erklärt Riparbelli. „Wir lieben den Underdog, aber sobald ein Unternehmen anfängt erfolgreich zu werden, mögen wir es nicht mehr. Dann haben sie wahrscheinlich jemanden betrogen oder sind böse.“

Dies spiegelt sich in der Startup-Politik wider: „Viele Regierungen hier denken an die Quantität von Startups. Wie können wir alle nicht-finanzierbaren Ideen fördern? Das sollte nicht der Fokus sein. Großartige Teams können Geld beschaffen. Wir brauchen ein, zwei oder drei wirklich große Tech-Unternehmen in Europa.“

Hoffnungsschimmer: Die EU-Einheitsgesellschaft

Einen Lichtblick sieht das Panel in der geplanten EU Inc (28th regime). Iwona Biernat, die die Bewegung anführt, berichtet von wöchentlichen Meetings mit Brüssel: „Es passiert tatsächlich. Wir fordern es nicht mehr nur – es ist work in progress.“

Die Initiative, die bereits 16.000 Unterstützer hat, zielt darauf ab, statt 27 verschiedener Rechtssysteme einen einheitlichen Standard für Europa zu schaffen. „Es wird geschätzt, dass dies eine Billion Euro Kapitalfluss in Europa freisetzen könnte“, so Biernat (mehr zu EU Inc hier).

Fazit: Europa an einem Wendepunkt

Die Diskussion zeigt Europa an einem kritischen Wendepunkt. Die Zutaten für Erfolg sind vorhanden – talentierte Gründer, attraktive Lebensbedingungen, wachsende Risikokapitalszene – aber strukturelle Probleme bei Regulierung, Besteuerung und Kapitalmärkten bremsen das Potenzial.

„Wir befinden uns in einem Tech-Krieg“, fasst Brenner zusammen. „Wie gewinnt man den? Durch Innovation. Und wie innoviert man? Indem man die besten Talente hat. Wir konkurrieren darum, dass Menschen Europa als den besten Ort zum Leben und Arbeiten sehen.“

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