Interview

Was bedeutet eigentlich „AI-first“ – und wer kann das wirklich sein?

Kurt Muehmel. © Dataiku
Kurt Muehmel. © Dataiku
Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview Startup Interviewer: Gib uns dein erstes AI Interview

In einer Zeit, in der Künstliche Intelligenz ganze Branchen verändert, stehen Unternehmen vor einer entscheidenden Frage: Wie wird man wirklich „AI-first“ – und was bedeutet das konkret in der Praxis? Genau darüber hat Trending Topics mit Kurt Muehmel gesprochen, Head of AI Strategy beim global tätigen Unternehmen Dataiku im Bereich Enterprise AI.

Muehmel gibt Einblicke aus über zehn Jahren Erfahrung bei Dataiku, wo er eng mit internationalen Unternehmenskunden sowie der Unternehmensführung zusammenarbeitet. Er spricht über organisatorische Transformation, den verantwortungsvollen Umgang mit KI, den Aufbau von Vertrauen – und zeigt auf, was Unternehmen wirklich brauchen, um KI skalierbar, nachhaltig und sinnvoll einzusetzen.

Trending Topics: Herr Muehmel, möchten Sie sich und Ihre Rolle bei Dataiku kurz vorstellen?

Kurt Muehmel: Sehr gerne. Ich bin Head of AI Strategy bei Dataiku und arbeite nun seit über zehn Jahren im Unternehmen – also fast seit der Gründung. In meiner aktuellen Rolle berate ich sowohl unsere Kunden als auch unser internes Führungsteam, zum Beispiel wenn es um Produktstrategie und zukünftige technologische Entwicklungen geht. Unsere Kunden sind in der Regel große Unternehmen aus traditionellen Branchen, die auf moderne Technologien angewiesen sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Dataiku selbst ist eine Low-Code-Plattform für KI- und Datenorchestrierung – ein Arbeitsraum, in dem Menschen mit unterschiedlichstem Fachwissen zusammenkommen können: von Data Scientists bis zu Business-Expert:innen. Sie alle können gemeinsam an Datenprozessen und -anwendungen arbeiten, unabhängig davon, welche Technologien oder Tools sie im Hintergrund benötigen.

Der Begriff „AI-first“ ist aktuell sehr präsent. Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, ein AI-first-Unternehmen zu sein?

Das kommt darauf an, ob wir über ein neu gegründetes Startup oder ein etabliertes Unternehmen sprechen. Ein Startup kann sich heute direkt zentral positionieren, weil es mit wenigen Mitarbeitenden beginnt und viele Aufgaben direkt durch KI automatisieren kann. Bei etablierten Unternehmen – vielleicht seit zehn oder sogar hundert Jahren aktiv – ist die Herausforderung ganz anders. Für sie bedeutet „AI-first“ nicht nur Technologieeinsatz, sondern eine tiefgreifende organisatorische und operative Transformation.

Es geht darum, bestehende Prozesse, Entscheidungsstrukturen und Arbeitsweisen neu zu denken – nicht nur um den Einsatz moderner Tools, sondern darum, wie ein Unternehmen durch KI besser, schneller oder fundierter arbeiten kann. Das ist eine strategische Entscheidung.

Also geht es weniger um den Technikeinsatz als vielmehr um organisatorische Veränderungen?

Genau. Niemand wird vor dem Vorstand damit angeben, dass er mehr Geld für KI ausgegeben hat als die Konkurrenz. Entscheidend ist, was damit erreicht wurde: Welche neuen Fähigkeiten oder Geschäftsfelder wurden erschlossen? Welche Prozesse wurden verbessert oder beschleunigt? Die Technologie ist notwendig, aber sie allein reicht nicht aus. Es braucht organisatorische Überzeugung, Mut und eine klare Richtung.

Welche Rolle spielt dabei die Unternehmensführung?

Eine sehr zentrale. Führungskräfte müssen ein deutliches Signal geben. Manche Unternehmen sagen etwa: „Du darfst keine neue Stelle schaffen, wenn du nicht vorher geprüft hast, ob KI diese Aufgabe übernehmen kann.“ Das zeigt einen klaren Willen zur Veränderung. Und es verlagert die Diskussion von reinen Produktivitätsgewinnen hin zu Geschäftsprozessen – also dorthin, wo die eigentliche Arbeit passiert.

Viele Prozesse erfordern heute Urteilsvermögen und Entscheidungsfähigkeit – klassische Stärken von Menschen. Wenn wir KI wirklich sinnvoll einsetzen wollen, müssen wir dieses Denken und Entscheiden in den Systemen abbilden können. Nur dann kann echte Automatisierung oder auch intelligente Unterstützung passieren.

Es gibt auch Kritik: Wenn Prozesse automatisiert werden, fallen Arbeitsplätze weg. Wie sehen Sie das?

Ich denke, es wäre falsch zu sagen, dass sich nichts ändert. Die Natur der Arbeit wird sich definitiv verändern. Der oder die Finanzcontroller:in wird künftig nicht mehr alle Informationen selbst zusammensuchen, sondern eher die Arbeit der KI überprüfen und freigeben. Wie sich das auf Beschäftigungszahlen auswirkt, hängt von vielen Faktoren ab – etwa davon, ob das Unternehmen wächst.

Wenn die Arbeit insgesamt mehr wird, braucht man trotz KI vielleicht nicht weniger, sondern nur andere Jobprofile. Trotzdem müssen wir anerkennen: Manche Jobs werden weniger wichtig, manche vielleicht sogar ganz überflüssig. Hier sind Politik und Gesellschaft gefragt, Menschen bei dieser Transformation zu unterstützen.

Viele Unternehmen schaffen es nicht, ihre KI-Pilotprojekte in den breiten Einsatz zu bringen. Woran liegt das?

Wir haben in den letzten Monaten gesehen: Es ist relativ einfach, ein erstes KI-System zu bauen – aber schwer, ihm zu vertrauen. Der Schritt von Pilot zu Skalierung ist vor allem eine Vertrauensfrage. Unternehmen müssen sicher sein, dass die KI auf die richtigen Daten zugreift, die richtigen Dokumente liest und die richtigen Schlüsse zieht. Dafür braucht es Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle – und zwar nicht nur für KI-Expert:innen, sondern auch für Fachbereiche. Das ist keine rein technische, sondern eine menschlich-organisatorische Herausforderung.

Wie unterstützt Dataiku Unternehmen bei genau diesen Herausforderungen?

Wir ermöglichen es, dass Fachexpert:innen – etwa aus HR, Finanzen oder Vertrieb – direkt in den Aufbau und die Qualitätskontrolle der KI-Systeme einbezogen werden. Sie wissen am besten, welche Daten relevant sind oder wie ein Prozess genau funktioniert. Gleichzeitig können KI-Expert:innen die technische Umsetzung übernehmen, etwa bei Modellwahl oder Prompt Engineering. So entsteht echte Zusammenarbeit.

Und: Dataiku ist technologieoffen. Unsere Plattform verbindet sich mit allen möglichen Datenquellen, Clouds und KI-Modellen. Das gibt Unternehmen Flexibilität und schützt sie davor, sich zu früh auf einen Anbieter festzulegen – was gerade in dieser dynamischen Phase der KI-Entwicklung sehr wichtig ist.

Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, verantwortungsvoll mit KI umzugehen?

Ich denke, Unternehmen tragen diese Verantwortung – unabhängig davon, ob sie gesetzlich dazu verpflichtet sind. Sie müssen genau wissen, wo und wie KI eingesetzt wird, welche Modelle und Daten im Spiel sind. Nur mit dieser Transparenz kann man Fragen zu Fairness, Datenschutz oder Diskriminierung beantworten. Ein gutes Beispiel ist die Preisgestaltung: Wenn ein Unternehmen wie eine Airline KI nutzt, um personalisierte Preise zu berechnen – also Kunden unterschiedliche Preise für denselben Flug anzeigt –, muss es sich fragen: Ist das legal? Ist das ethisch? Und ist es das Bild, das wir nach außen vermitteln wollen?

Wie wird sich das Thema Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren entwickeln?

Auf regulatorischer Ebene ist vieles schwer vorherzusagen – gerade in den USA ändern sich politische Richtungen schnell. In Europa ist mit der KI-Verordnung ein stabilerer Rahmen absehbar. Generell denke ich: Die Vorschriften werden strenger, aber parallel wächst auch die gesellschaftliche Akzeptanz. Viele Menschen nutzen heute im Alltag mehr KI als im Berufsleben. Je mehr sich das angleicht, desto selbstverständlicher wird KI in Organisationen – wenn sie verantwortungsvoll und nachvollziehbar eingesetzt wird.

Trotz aller Herausforderungen glaube ich an die positiven Effekte. KI kann Menschen von repetitiven Aufgaben befreien, damit sie sich auf das konzentrieren, was wirklich zählt: Denken, entscheiden, gestalten. Aber das passiert nicht automatisch – wir müssen aktiv an dieser Zukunft arbeiten, als Gesellschaft und besonders als Technologieunternehmen.

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