Kommentar

Wir sollten aufhören so zu tun, als wäre das Startup-Leben nur Konfettiregen und Tischfußball

Wir sollten mit dem Hype Schluss machen. © /Flickr_Juan Antonio Capó Alonso
Wir sollten mit dem Hype Schluss machen. © /Flickr_Juan Antonio Capó Alonso
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Der Brief war irgendwie unter den Unterlagen, Kinderzeichnungen und den Prospekten versteckt. Kurz vor Weihnachten, Jahresabschluss auch im Büro: Magazine nach Altpapier und Sammlerstück sortieren, Belege ordnen und beschriften, Rechnungen einheften. Eine feierliche Aufgabe. Dieser eine war durchgerutscht. Eine Zahl und ein klammes Gefühl im Bauch. Fristende: vor vier Wochen. Verzugszinsen, Vorauszahlung, Verantwortung. Das Herz rast. Der Gedanke an das Konto und die offenen Löhne. Noch kein Deal für das erste Quartal in trockenen Tüchern. Eine schlaflose Nacht und ein müslifreier Morgen. Dafür ein Liter schwarzer Kaffee und viele Zigaretten. Der Weg in die Bankfiliale. Die fünf Zahlen vor dem Komma auf der Überweisung, das Budget für die Weihnachtsgeschenke. Kein klarer Gedanke. Kommt die Spaghetti-mit-Ketchup-Zeit zurück?

Mach´s wie Musk, dann wird das schon

Zahllose Artikel (zum Beispiel dieser hier) wollen Hilfe gegen den Startup-Struggle vermitteln: Gegen die permanente Angst, seine Vision doch nicht umzusetzen, zu scheitern, vor dem Nichts zu stehen. Um neun ins Bett gehen, um fünf wieder raus. Genau wie Steve Jobs. Chai-Samen ins Müsli mischen und vier Liter Wasser pro Tag. Listen, Tools, Ordnung für die perfekte Produktivität. Transatlantisch wird der perfekte Unternehmer suggeriert: Lerne von den ganz Großen. Halte ihre Regeln ein und Du wirst reich. Eva Winroither hat in der Presse am Sonntag einen klugen Artikel geschrieben. Sie beschreibt die erste Panikattacke von Mike Lanner, einem der Gründer der Gebrüder Stitch, die mit ihren maßgeschneiderten Jeans – produziert in Österreich –  in dem verdammt coolen „Arschsalon“ die Mahü wirklich aufwerten. Im Mai 2016 meldete der Laden Insolvenz an. Der Artikel legt den Finger genau dahin, wo es wehtut. Dorthin, wo bewusst wird, dass es für Gründer kein Sicherheitsnetz gibt. Selbständige bekommen kein Arbeitslosengeld. Wir setzen alles auf eine Karte und können ziemlich sicher auch verlieren. Wie hoch ist nochmal die Erfolgsquote von Startups? Zehn oder doch schon zwanzig Prozent? Und was passiert mit dem Rest? Und wie verarbeiten alle zusammen – die Erfolgreichen und die Scheiternden – den psychischen Druck?

Die Illusion des rosaroten Startup-Lebens

Als Journalist hört man diese Geschichten oft. Nach den Interviews über Internationalisierung, den baldigen IPO und Venture Capital, wenn das Diktiergerät lange aus ist. Es ist nicht alles rosarot und geschmeidig und voller Konfetti. Neben Wuzzlerturnieren, fetten Investments und den wöchentlichen Mate-Partys in den Coworking Spaces klafft über jedem Startup auch die Angst vor dem Versagen. Wir wischen das weg. Wenn dies nicht klappt, dann eben nochmal etwas anderes probieren. Elon Musk hat ja auch fünf Anläufe gebraucht. In den Nächten nach zwölf Stunden voller enthusiastischer Gespräche, fantastischer Flipcharts und bahnbrechender use cases kriechen Selbstzweifel, Versagensangst, und die pochenden Alltagssorgen über die Bettkante. Ich will nicht pathologisieren, Gründer sind Menschen. Und Menschen zweifeln nun mal. Am liebsten an sich selbst.

Stoppt den Hype

Und deshalb sollten wir mit dem Hype Schluss machen. Und ich meine zu allererst uns Medien. Wir spielen die größte Rolle in diesem Spiel. So wie Popstars und Schauspieler nach oben und wieder nach unten geschrieben werden, haben wir die Startup-Welt zu einer Kaugummiblase aufgebläht, die immer frisch nach Erdbeere schmeckt. Alles, was dahinter lauert, haben wir ignoriert. Weil sie einfach so cool sind, diese Gründer. Jung, energisch und einzigartig. Individualisten, die gegen die Konventionen argumentieren und die alten Kräfte herausfordern. Bessere Heldengeschichten gibt es für Wirtschaftsjournalisten nicht. Den Seitenstrang über den gelben Zettel des Exekutors im Postkasten ignorieren wir oder flechten ihn als Antithese in die Geschichte ein. Das Happy End kommt dann eben bei der nächsten Gründung. Denken wir und schliessen damit ab.

Jeder kennt das: Miete oder Löhne?

Wir vergessen zwischen den Jubelmeldungen, dass Startups ganz normale Unternehmen sind, in denen ganz normale Menschen arbeiten. Sie vermitteln vielleicht eine andere Arbeitskultur, aber sind vor den Abgründen die das unternehmerische Risiko mit sich bringt, nicht gefeit. Auch sie müssen SVA, die Finanz und Lieferanten bezahlen wie alle anderen auch. Sie agieren nicht losgelöst von den ökonomischen Rahmenbedingungen, die der Staat und der Markt vorgeben. Mit den gleichen Effekten wie in jeder Fleischerei und in jedem Friseursalon. Bleibt der Umsatz aus, wird es eng. Jeder Gründer, den ich näher kenne, brütete schon am Ende des Monats über der Entscheidung, ob er den Mitarbeitern nun das volle Gehalt auszahlt oder lieber die eigene Miete überweist. Von den Auswirkungen des Raubbaus an Freizeit und Energie auf das Privatleben ganz zu schweigen.

Co-Workingspaces sind keine Jugendzentren

Wir sollten damit aufhören, Startups als eine von der Businesswelt losgelöstes Jugendzentrum zu betrachten. Damit meine ich die Konzerne und Politik, die sich gern mit dem speziellen Flair schmücken, genauso wie die Medien. Diese Verniedlichung wird weder den Unternehmern, noch der Realität gerecht. Startups verändern die Wirtschaft in Zeiten der Digitalisierung radikal. Doch wir sollten nicht aus dem Blick verlieren, dass hinter jeder App und jedem neuen Businessmodell Menschen stehen, die etwas ausprobieren, was vorher noch nicht da war. Und das ist in den meisten Fällen eine verdammt schwierige Angelegenheit. Dafür braucht man Eier aus Stahl und absolutes Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten. Zweifel und Angst vor der Agonie gehören da einfach dazu.

 

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