Massenkündigungen

GoStudent: Verkalkuliert mit der „krisenresistenten Industrie“

© GoStudent
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Es sind hastig, offenbar in Aufregung und Empörung geschriebene Mails, und sie haben vor allem eines zum Ziel: Dampf ablassen über den Ärger rund um eine neue Kündigungswelle bei GoStudent. Die Mails, offenbar von einem oder mehreren betroffenen Mitarbeiter:innen unter dem Pseudonym „GoStudent Leaks“ geschrieben, thematisieren die Vorgänge rund um diese neue Kündigungswelle; Screenshots und Videos aus Firmen-internen Chats und Calls sollen Authentizität beweisen, verifizieren kann man letztlich nicht. Klar ist aber: Bei GoStudent ist kurz vor Weihnachten noch einmal große Unruhe ausgebrochen. Und irgendwer hat entweder Zugang zu Firmen-Chats und Co, oder sehr viel Zeit mit Photoshop verbracht.

Das Nachhilfe-Unicorn aus Wien hat wie berichtet bereits im September 2022 200 Stellen gestrichen. Jetzt, mit Ende Dezember kurz vor Weihnachten, kommt die nächste Welle; bis zu 600 weitere Arbeitsplätze, 200 davon laut Gewerkschaft in Österreich könnten betroffen sein. Konkrete Zahlen will das Unternehmen selbst nicht nennen, dementiert werden die in Medien kursierenden Zahlen auch nicht. Den GoStudent-Leakern zufolge sollen es etwa 400 sein. Neben Österreich sollen auch die Märkte Deutschland und Griechenland betroffen sein, das Geschäft in Brasilien und Kanada soll komplett gestoppt werden.

Genaue Zahlen zum Personalabbau könne man aktuell nicht nennen, nur so viel: „Das wirtschaftliche Klima hat sich in den letzten Monaten deutlich verschlechtert und die Kaufkraft von Verbraucher:innen in Europa ist auf einem Rekordtief“, heißt es seitens einer Sprecherin von GoStudent gegenüber Trending Topics. „Das bedeutet, dass wir, wie viele andere Unternehmen auch, unsere Pläne für das kommende Jahr neu evaluieren müssen. Im Jahr 2023 werden wir uns voll und ganz auf unser zentrales Angebot konzentrieren: die Bereitstellung von qualitativ hochwertiger Nachhilfe. Leider bedeutet dies auch, dass wir unser Unternehmen umstrukturieren müssen.“

GoStudents Management Team. © GoStudent
GoStudents Management Team. © GoStudent

Doch keine „krisenresistente Industrie“

Und das bedeutet: GoStudent muss sich von weiteren Mitarbeiter:innen trennen und sie mit Aussicht Arbeitsamt in die Weihnachtsferien schicken. „Wir haben diese Woche die entsprechenden Schritte eingeleitet. Diese Entscheidung ist uns sehr schwer gefallen. Wir sind allen betroffenen Mitarbeiter:innen für ihre harte Arbeit und ihren Einsatz sehr dankbar“, heißt es seitens GoStudent weiter.

Dabei schien doch eigentlich alles klar: Die Schrumpfung der Belegschaft im September und das Zurückschrauben der Wachstumsambitionen für 2023 von 250 auf 80 Prozent hätte das Unternehmen im nächsten Jahr Profitabilität erreichen lassen sollen. So erzählte es GoStudent-CEO und -Mitgründer Felix Ohswald zumindest im Interview mit Trending Topics. Er meinte damals auch, dass man bei der Online-Nachhilfe in einer „krisenresistenten Industrie“ unterwegs sei, die Nachfrage sei weiterhin sehr stark.

Dann noch die Übernahme der deutschen, 1974 gegründeten Firma Studienkreis. Nun soll deren Offline-Nachhilfe, die jährlich etwa 125.000 Familien an 1.000 Standorten in der DACH-Region angeboten wird, mit den Online-Diensten von GoStudent kombiniert werden. Da kommen mit einem Schlag sehr viele Mitarbeiter:innen, Nachhilfekräfte und Bestandskund:innen dazu, die so manche bestehenden GoStudent-Teammitglieder obsolet machen.

Zusammen genommen mit den Zukäufen im Laufe des Jahres von Seneca Learning (GB; Online-Klassenzimmer) Tus Media Group (Spanien; Online-Marktplatz für Nachhilfe) und Fox Education (AT; Schul-App für Lehrer:innen, Eltern und Schüler:innen) soll das einmal eine allumfassende digitale Privatschule ergeben.

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„Kaufkraft auf Rekordtief“

Nur: Machen da auch die Eltern mit, die bei GoStudent schon mal 200 Euro pro Monat für ihre Kinder ausgeben und oft in langfristigen Abo-Verträgen festhängen? Während die Service-Qualität sinkt, weil viele Stellen für die Betreuung der Kund:innen gekürzt werden? Immer weniger. Es gibt einen Fall eines Trending Topics-Lesers, der wochenlang keine Nachhilfestunde für sein Kind bekam, die 200-Euro-Rechnung monatlich trotzdem bezahlen musste. Auslöser war offenbar die erste Kündigungswelle, nach der die Service-Qualität deutlich sank; sein Vertrag wurde dann aufgelöst.

Der Schlüssel zu diesen Fragen und Problemen liegt wohl in diesem Satz: Die Kaufkraft von Verbraucher:innen in Europa ist auf einem Rekordtief. Und das trifft GoStudent nun in voller Härte. War man zuerst davon ausgegangen, dass Familien ihre Bildungsausgaben nicht kürzen, stellt man nun spätestens mit dem Anbruch eines Krisenwinter fest: Kaufkraft doch weg.

Davon sollen auch die Screenshots, die die GoStudent-Leaker aktuell an Redaktionen quer durch den deutschsprachigen Raum senden, zeugen. Monat für Monat weniger Umsatz, das sollen zumindest die bunten Balken auf den Screenshots suggerieren. Die Zahlen aus den Screenshots will GoStudent nicht bestätigen, aber: Kaufkraft auf Rekordtief. Logische Konsequenz, wie auch anderswo: Massenkündigungen. Der Zukauf von Studienkreis im Kernmarkt DACH ist für den Fokus auf „qualitativ hochwertige Nachhilfe“ wohl essenziell.

Gerüchte über gefallene Bewertung

Wer nun glaubt, dass GoStudent am Ende ist, irrt. „Wir glauben an unsere Vision, hochwertige Bildung für alle zugänglich zu machen. Wir sind in einer wirtschaftlich sehr soliden Position und zuversichtlich, dass wir mit diesen schwierigen, aber notwendigen Veränderungen die aktuellen Herausforderungen meistern werden“, heißt es aus dem Unternehmen. Die GoStudent-Leaker lassen währenddessen ihrem Ärger weiter Luft und verbreiten, dass die Bewertung des Unternehmens gesunken sei, von 3 auf 1,7 Milliarden Euro. Seitens GoStudent heißt es, von einer solchen Neubewertung durch einen Investor sei nichts bekannt. Eine sinkende Bewertung wäre kein Einzelfall – 2022 mussten viele Unicorns, darunter etwa Klarna, Abwertungen in Kauf nehmen.

Dazu muss man die großen Geldgeber von GoStudent kennen: Prosus, SoftBank Vision Fund, Tencent, Dragoneer, Left Lane Capital und Coatue hießen die großen Investoren, die in der Series D Anfang 2022 300 Millionen Euro springen ließen. Es sind aber auch jene Investoren, die 2022 ordentlich unter Druck gerieten. Prosus, eine börsennotierte Beteiligungsgesellschafft des südafrikanischen Naspers-Konzerns, steht derzeit selbst gehörig unter Druck. Die Prosus-Aktie hat seit Jahresbeginn 13,4% an Wert verloren. Um selbst die Rendite für die Aktionäre erhöhen zu können und profitabel zu werden, will man Beteiligungen entweder an die Börse bringen, in Merger aufgehen lassen oder verkaufen (mehr dazu bei Bloomberg).

Prosus ist außerdem eng mit Tencent verbandelt, ist sogar der mit Abstand größte Einzelaktionär des chinesischen Internet-Riesen (WeChat). Tencent geht es 2022 noch viel schlechter, verlor fast 27 Prozent an Börsenwert. Mit SoftBank hat GoStudent einen weiteren Problemfall im Cap Table. Der Betreiber des größten Tech-Fonds der Welt hat in den ersten drei Quartalen von 2022 einen Verlust von massiven 9,75 Milliarden Dollar erlitten. Das ist eine Gemengelage auf Investorenseite, die nicht sonderlich rosig ist – was wiederum GoStudent zusätzlich unter Druck setzen könnte.

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