Gastbeitrag

„Es ist Zeit für eine Gegenbewegung zum rein algorithmenbasierten Nachrichtenkonsum“

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Benjamin Mateev ist CEO und Co-Gründer der digitalen News-Plattform informed. In diesem Gastbeitrag beschäftigt er sich mit dem Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf den Nachrichtenkonsum in Zeiten von Social Media, News-Aggregatoren und Filter Bubbles.

Die Welt hat eine neue News-Plattform: Artifact, seit einigen Wochen für die Allgemeinheit verfügbar, ist das neueste Werk der Instagram-Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger. Die Plattform bietet Nutzerinnen und Nutzern einen News-Feed, der ihnen Algorithmen-basiert Artikel aus einer Vielzahl englischsprachiger Medien ausspielt. Der Algorithmus soll besonders smart sein und die App so etwas wie das TikTok der News werden.

Das Geschäftsmodell ist neu und die KI sehr wahrscheinlich besser als die der Konkurrenz. Aber die grundsätzliche Idee hinter Artifact spiegelt eine Entwicklung wider, die schon lange den Medien- und Nachrichtenkonsum bestimmt: Personalisierung auf Basis persönlicher Interessen, algorithmenbasiert. So funktionieren mit kleineren Unterschieden auch andere News-Aggregatoren.

Die Idee hinter dieser Entwicklung war einmal bestechend: Nutzerinnen und Nutzer bekommen genau die Themen und Artikel angezeigt, die sie interessieren, andere werden ausgefiltert. Je mehr sie einen bestimmten News-Aggregator nutzen, desto besser werden die Empfehlungen. Zugleich bekommen sie meist Inhalte aus deutlich mehr Quellen angezeigt, als sie ohne solche Aggregatoren konsumieren würden und können so von der Vielfalt der globalen Berichterstattung profitieren.

Die Realität aber sieht leider oft anders aus: Nutzerinnen und Nutzer verlieren das Vertrauen in die Medien. Sie sind überfordert von zu viel Content, von Fake News und zweifelhaften Quellen. Und sie finden sich in “Filter Bubbles” wieder, was wiederum zu einseitigen Ansichten und Polarisierung der Gesellschaft führt.

Bei Artifact heißt es, man achte sehr genau auf die Qualität der Nachrichtenquellen – während die Artikel selbst rein KI-basiert ausgewählt und ausgespielt werden, werden die Medien dafür anhand bestimmter Qualitätskriterien kuratiert. Ein großer Unterschied etwa zu sozialen Netzwerken wie Facebook, bei denen alle Publisher, die nicht gegen rechtliche Beschränkungen verstoßen, publizieren dürfen. Zudem wird bei Facebook das ausgespielt, wofür die Publisher bezahlen, was natürlich eher nicht für bessere Qualität spricht. Es muss sich erst noch zeigen, wie Artifact sein Geschäftsmodell ausrichten wird.

Auf Qualität und Vertrauenswürdigkeit ihrer Quellen zu achten, haben auch schon andere News-Aggregatoren behauptet – bis dann doch Inhalte mit chinesischer Staatspropaganda und rechte Blogs im Feed vieler Nutzerinnen und Nutzer auftauchten. Viele der großen Plattformen bemühen sich heute mehr als früher, Misinformation zu bekämpfen. Das ist eine begrüßenswerte Entwicklung. Es ändert aber nichts am generellen Trend, der auch mit Artifact fortgeführt wird: Dass Inhalte personalisiert und KI-basiert ausgespielt werden, mit immer weniger menschlichem Zutun.

Welche Entwicklung sehen wir – und wollen wir das?

Die grundsätzliche Frage, die wir als Gesellschaft und auch wir Medienschaffenden uns stellen sollten, lautet: Ist das eine Entwicklung, die wir weiter verfolgen wollen? Oder sollten wir lieber nach alternativen Wegen suchen, die Ausspielung von Nachrichten zu gestalten?

Eines ist klar: KI hat bemerkenswerte Fähigkeiten und die Entwicklung ist beeindruckend. Sie geschieht so schnell, dass wir noch gar nicht in der Tiefe verstehen und vorhersagen können, was das für Geschäftsmodelle der Medienwelt bedeuten wird. Ganz sicher ist schon jetzt, dass KI nicht mehr verschwinden wird. Was aber dadurch keineswegs gesagt ist: Dass wir deswegen ausschließlich auf KI setzen sollten.

KI kann große Datenmengen schnell auswerten und daraus eine Vielzahl von Erkenntnissen ableiten, da ist sie dem Menschen gegenüber klar im Vorteil. Der Mensch wiederum verfügt über Expertise und Erfahrung, ist zu kreativen Denkprozessen, etwa bei der Identifikation bestimmter Muster, imstande und hat seine Stärke da, wo quantitative Auswertungen an ihre Grenzen stoßen. KI kann dementsprechend vieles leisten, aber echte Ausgewogenheit und “Weitblick” gehören bisher eher nicht dazu.

Wir kommen aus einer Dekade, in der wir die Unendlichkeit des Contents im Internet zelebriert haben. Wir haben zunehmend News in Aggregatoren und Social Media konsumiert. Die Schattenseiten davon sind uns mittlerweile alle bekannt: Filter Bubbles, Misinformation, Trust issues, News Overwhelm, News Fatigue… Wir erleben, das User deshalb zunehmen frustriert sind und sich  eine andere Art von News App wünschen, die ihnen wieder Vertrauen zurückgibt, anstatt sie mit Content zu erschlagen. Mit informed haben wir diese Art von News App gebaut. Artifact hingegen scheint – nach erstem Eindruck – eher den anderen Weg der letzten Dekade weiterzuführen. Hier geht es um großen Mengen an Content, die auf einen geworfen werden – gepaart mit einer AI-basierten Personalisierung.

Die Instagram-Gründer melden sich mit News-App Artifact zurück

Was bedeutet das für den Nachrichtenkonsum der Zukunft?

Schaut man sich die Möglichkeiten und vor allem Einschränkungen von KI bei der Ausspielung von Nachrichten an, kann man daraus Ideen für die Zukunft ableiten. Zum Beispiel die Idee, dass wir uns teilweise bewusst wieder lösen könnten von problematischen Aspekten des News-Konsums vergangener Jahr, der in den letzten 15 Jahren für so viel Misstrauen gegenüber den Medien und den Nachrichten gesorgt hat.

Und auch, dass wieder mehr Plattformen und Nachrichtendienste entstehen sollten, bei denen Qualität wirklich an erster Stelle steht und wo auch Menschen diese Qualität streng überwachen. Wir müssen mehr denn je von nun an die richtige Balance aus KI und menschlichem Input finden.

Und zuletzt wäre auch wünschenswert, dass innerhalb solcher Nachrichtendienste auch der Mensch, und nicht (nur) der Algorithmus, die Kuratierung von Inhalten übernimmt, die dann nicht mehr ausschließlich auf die Interessen der einzelnen User zugeschnitten sind, sondern ihnen auch Themen anbieten, die sich sonst eher außerhalb ihrer “Filter Bubbles” befinden.

Nachrichten-Interessierte würden so wieder ausgewogenere, weniger polarisierende Berichterstattung ausgespielt bekommen und einen besseren Überblick über die mediale Berichterstattung verschiedener Quellen erhalten, mehr Kontext, diversere Sichtweisen. Und würden wieder häufiger mit Themen überrascht. Eine solche Entwicklung könnte im besten Fall dafür sorgen, dass das Vertrauen in die Medien- und Nachrichtenlandschaft wieder wächst – und zugleich die Überforderung durch die großen Mengen verfügbaren Contents nachlässt.

Denn wenn Menschen sich wieder mehr darauf verlassen können, dass sie ausgewogene Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen erhalten und dass nicht nur Technologie, sondern Experten diese Informationen für sie zusammengestellt haben, dann kann das für eine neue Gelassenheit im Umgang mit Medien sorgen. Für eine besser informierte und weniger gespaltene Gesellschaft. Es wird also Zeit für eine Gegenbewegung zum rein algorithmenbasierten Nachrichtenkonsum, um die Fehler der letzten Jahre nicht zu wiederholen.

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