Scalable Capital denkt über IPO in Europa nach

Während europäische Fintechs reihenweise in die USA abwandern, schwimmt Scalable Capital gegen den Strom: Das Münchner Vermögensverwaltungs-Startup plant einen Börsengang in Europa. „Ein IPO in Europa wäre das ideale Szenario für uns“, sagte Co-CEO Erik Podzuweit gegenüber dem Tech-Medium Sifted, während das Unternehmen verschiedene Exit-Optionen prüft.
Klare Absage an den US-Kapitalmarkt
Die Aussagen stehen im deutlichen Kontrast zur aktuellen Entwicklung in der europäischen Tech-Szene. Erst im vergangenen Monat entschied sich das schwedische Fintech Klarna für eine Börsennotierung in den USA statt in Europa. Auch die britischen Neobanken Monzo und Starling erwägen Berichten zufolge einen Gang an die US-Börsen. Wise, ein in Großbritannien gegründetes Fintech, kündigte im Sommer sogar an, seine Primärnotierung nach New York zu verlegen – ein weiterer Schlag für die Londoner Börse.
„Ich weiß, dass die Leute gerne schlecht über europäische Kapitalmärkte sprechen, vor allem über London“, so Podzuweit laut Sifted. „Aber meiner Meinung nach spielt es keine Rolle, solange man ein gutes Geschäftsmodell hat.“
Ambitionierte Wachstumsziele vor dem IPO
Das 2014 von Podzuweit, Co-CEO Florian Prucker, Adam French und Stefan Mittnik gegründete Unternehmen verwaltet derzeit Kundenvermögen in Höhe von 30 Milliarden Euro. In den kommenden 18 Monaten will Scalable Capital diese Summe mehr als verdreifachen – auf 100 Milliarden Euro. Sobald dieser Meilenstein erreicht ist, könnte ein Börsengang in den nächsten drei bis fünf Jahren realistisch werden.
„Es ist nicht so, dass wir nächstes Jahr einen IPO sehen werden, denn normalerweise muss man 12 bis 24 Monate im Voraus mit den Vorbereitungen beginnen“, erklärte Podzuweit gegenüber Sifted. Ob die Notierung in London oder näher an der Heimat in Frankfurt erfolgen würde, ließ er offen.
Banklizenz als Wachstumstreiber
Im Juni sammelte Scalable Capital 155 Millionen Euro bei einer Bewertung von 1,5 Milliarden Euro von Investoren wie Sofina, Noteus, Balderton, HV Capital und Tencent ein. Im vergangenen Monat erhielt das Unternehmen zudem eine Vollbanklizenz von der Europäischen Zentralbank – ein wichtiger strategischer Schritt.
Die Lizenz ermöglicht es Scalable, neue Dienstleistungen im Bereich Kredite und Sparen anzubieten, ohne auf die Infrastruktur anderer Banken angewiesen zu sein. „Das macht dich viel schneller, weil du historisch gesehen immer mit einem Bankpartner zusammenarbeiten mussten, wenn du neue Features entwickeln wolltest“, zitiert Sifted den Manager. „Und jetzt kannst du das vollständig intern machen.“
Besonders interessant: Scalable bietet nun auch Lombardkredite an – ein Finanzprodukt, das Kunden ermöglicht, Geld gegen ihr Anlageportfolio zu leihen. Traditionell vermögenden Privatbankkunden vorbehalten, bietet Scalable dies bereits ab einem investierten Betrag von 1.000 Euro an.
Diversifizierung vor EU-Verbot
Die Bankenlizenz ist auch Teil einer Strategie zur Diversifizierung der Einnahmequellen. Hintergrund ist ein bevorstehendes EU-Verbot der sogenannten „Payment for Order Flow“ – einer Praxis, bei der Market Maker Brokern Provisionen für Kundenaufträge zahlen. Diese Methode, die etwa Robinhood in den USA groß gemacht hat, brachte Scalable zeitweise rund ein Viertel seiner Einnahmen.
Laut Podzuweit hat sich das Unternehmen bereits vollständig von dieser Abhängigkeit gelöst und setzt auf verschiedene Gebührenmodelle. Das Fintech erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 156 Millionen Euro, wies allerdings einen Verlust von 23,1 Millionen Euro aus – nach eigenen Angaben eine bewusste Entscheidung zugunsten von Wachstumsinvestitionen.
Neben Deutschland ist Scalable Capital in Österreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und Frankreich aktiv. „Deutschland wird immer unser größter Markt sein“, sagte Podzuweit laut Sifted. „Aber unser Ziel ist es, ein Geschäft aufzubauen, bei dem 50 Prozent der Einnahmen von außerhalb Deutschlands kommen.“