Zwischen Robotern, Cyborgs und virtuellen Realitäten: So war´s am Wiener Pioneers Festival
„Ihr könnt mich Christian nennen, aber schneidet mir bitte nicht die Krawatte ab.“ Es war einer der ersten großen Auftritte, die Neo-Bundeskanzler Christian Kern bis dato absolvierte, und es war einer mit Ansage. Am Wiener Pioneers Festival, mit 2500 Besuchern die wichtigste Start-up-Veranstaltung des Landes, nutzte der Ex-ÖBB-Chef die Gelegenheit, einen Eckpfeiler seines Kurses festzulegen. „Mit Start-ups zu kooperieren, hat absolute Top-Priorität“, sagte Kern vor quasi allen wichtigen Vertretern der heimischen Gründerszene, die sich bis dato von der SPÖ vernachlässigt gefühlt hatten (TrendingTopics.at berichtete). Der Bundeskanzler gestand ein, dass Österreich im Vergleich zum europäischen Ausland zu niedrige Gründungsraten und zu wenige Investments habe und meinte: „Start-ups werden in Zukunft viel zum Wohlstand beitragen.“
Auf Tuchfühlung
Ob den umjubelten Worten Taten (sprich neue Gesetze) folgen werden, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Mit Staatssekretär Harald Mahrer (VP), der auf der Konferenz in der Wiener Hofburg ebenfalls die Werbetrommel für Start-up-Förderungen rührte, hat er jedenfalls einen Partner beim Regierungspartner, der das Thema vorantreiben will. Neben der hohen Politik ist die österreichische Wirtschaft schon länger auf das Thema hineingekippt. Ob die Österreichische Post, Erste Group, Microsoft oder T-Mobile – sie alle wollen als Sponsoren der Veranstaltung auf Tuchfühlung mit den Jungunternehmern gehen.
500 Start-ups aus der ganzen Welt und 300 Investoren drängten sich zwischen Robotern (etwa die rollende Transport-Drohne „Starship“, TrendingTopics.at berichtete), 3D-Scannern und Virtual-Reality-Erlebnissen (das Münchner Start-up Icaros bot Besuchern auf einem beweglichen Liegegestell ein virtuelles Flugerlebnis) durch die majestätischen Räumlichkeiten. Auf den Bühnen konnte man außerdem die Implantation eines NFC-Chips live mitverfolgen („Die Cyborgs kommen!“), sich über den Status quo der Highspeed-Röhre Hyperloop informieren oder Wikipedia-Gründer Jimmy Waleserläutern lassen, warum in ein Österreicher zur Online-Enzyklopädie inspiriert hat – es war ein Text des österreichischen Wirtschaftswissenschaftlers Friedrich Hayek.
Was die Start-ups aber immer mit dem Ziel vor Augen hatten: Einen Deal abschließen. „Wir verbinden Start-ups mit Investoren und großen Unternehmen“, so Andreas Tschas, Mitgründer des Pioneers Festival über den primären Zweck der Veranstaltung. Einen ganz großen Investor konnte Tschas mit Tim Draper nach Wien holen – der auf der Bühne nicht nur Spannendes zu erzählen hatte, sondern das Publikum auf singend und tanzend unterhielt.
Der Druck der Digitalisierung, dem sich immer mehr Wirtschaftsbereiche ausgesetzt sehen, lässt Start-ups große Chancen auf schnellen Gewinn wittern. „Wir wollen mit dem Trend gehen und nicht dagegen“, sagt etwa Roland Schöbel vom Unternehmensberater PwC. Traditionelle Banken etwa könnten in den nächsten Jahren bis zu 28 Prozent des Umsatzes an Start-ups im Bereich von “Financial Tech” verlieren – da sei es besser, mit ihnen zu kooperieren. Paradebeispiel ist das von den Österreichern Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal gegründete FinTech-Start-up Number26 (TrendingTopics.at berichtete), das sich anschickt, die Bankfiliale per Smartphone-App komplett zu ersetzen und Services (z.B. Auslandsüberweisungen) deutlich günstiger als die “Old Economy” anbieten zu können.
Am Boden der Realität
Ist das Pioneers Festival, das bereits zum fünften Mal stattfand, vor allem eine Bühne für europäische Start-ups, auf der sie und ihre Technologien viel beklatscht werden, gibt es auch kritische Töne zu hören. Der Eröffnungsredner, der indisch-amerikanische Milliardär Manoj Bhargava, redete jungen Gründern, die vor allem die Chance auf schnelles Geld antreibt, ins Gewissen. „Wer wirklich etwas machen will, überlegt nicht vorher, wie er möglichst schnell wieder verkaufen kann“, so Bhargava, der einen Großteil seines Vermögens für wohltätige Zwecke einsetzt. Ein Produkt müsse nützlich sein und echte Kunden finden. „Man kann nicht immer nur Geld von Investoren nehmen und selbst keines verdienen.“
Im Format “Roasted!” konnten sich Start-ups dem kritischen Feedback von Investoren stellen. Auch hier zeigte sich, dass am Ende nicht alles Gold ist, was glänzt. Die Jungfirma BaDoinkVR etwa verkaufte sich auf der Bühne als die Zukunft für Virtual-Reality-Pornografie – auf den ersten Blick für viele eine sichere Bank. Jedoch: „Zu früh dran zu sein ist genauso schlimm wie falsch zu liegen“, sagte Marvin Liao vom Investor 500 Startups, der noch keinen Massenmarkt für die delikaten 360-Grad-Aufnahmen sieht. Seine Kollegin, Nicole Glaros vom Investor Techstars, zweifelte überhaupt den gesellschaftlichen Wert des Start-ups an: „Ich wünschte, ihr würdet eure Energie in etwas stecken, das konstruktiver ist.“
So nah und doch so fern
Zwar quoll das Pioneers Festival vor Hightech und disruptiven Ideen nur so über – doch dass die Digitalisierung nicht alles über Nacht verändern wird, wurde auch klar. Adam Cheyer, der Erfinder der Apple-Sprachsteuerung Siri etwa präsentierte mit Viv eine neue Künstliche Intelligenz. Sie konnte zwar live komplexe Fragen wie “Zeig mir einen Flug mit Fensterplatz von New York nach San Francisco drei Tage nach nächsten Freitag” in Sekundenschnelle beantworten, doch von Marktreife ist noch keine Rede. Viv soll Ende des Jahres in den USA starten, ob sie auch einmal in Europa als intelligenter Smartphone-Assistent zur Verfügung steht, bleibt abzuwarten.
Auch Hyperloop-Chef Dirk Ahlborn, der zwischen Wien und Bratislava eine Highspeed-Röhre zum schnellen Personentransport errichten will, ist noch nicht groß weitergekommen. Zwar startet man dieses Jahr mit dem Bau einer Teststrecke in den USA – doch für die Errichtung einer Hyperloop-Strecke in Mitteleuropa fehlen schlicht die rechtlichen Rahmenbedingungen. Eine Chance für Ahlborn: Kanzler Kern hat als ehemaliger ÖBB-Chef sicher ein offenes Ohr für Transportthemen der Zukunft.
Sieg geht an Pleo
Die große „Pioneers Challenge“, dotiert mit einem Investment von bis zu 500.000 Euro durch den Wiener Risikokapitalgeber Speedinvest, kürte schließlich das dänische Start-up Pleo als Sieger (TrendingTopics.at berichtete). Die FinTech-Jungfirma setzte sich gegen 500 andere Start-ups aus der ganzen Welt und sechs Konkurrenten im Finale durch und überzeugte die Jury.