Forschungsprojekt

Solares Kerosin: Fliegen rein durch Sonnenlicht und Luft

Forschende in Zürich gewannen Kerosin aus Solarenergie und Luft © Nils Nedel / Unsplash
Forschende in Zürich gewannen Kerosin aus Solarenergie und Luft © Nils Nedel / Unsplash
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„Flugscham“ war eines der Anwärter für den Titel „Unwort des Jahres 2019“ in Deutschland. Geworden ist es das allerdings nicht. Den Titel für sich beanspruchen konnte dann das Wort „Klimahysterie“. Im Jahr 2020 verlor dann die Flugscham, bedingt durch die Lockdowns der Corona-Pandemie, an Relevanz. In diesem Jahr geht der Trend allerdings wieder zurück zu bekannten Verhaltensmustern, was sich in einigen aktuellen Entwicklungen wieder deutlich zeigt. Zur Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow fliegen zahlreiche politischer Vertreter:innen mit dem Privatjet. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nutzte im vergangenen Sommer laut Medienberichten für eine etwa 60-Kilometer-Strecke zwischen Wien und Bratislava den Privatjet für 19 Minuten über den Wolken.

Somit kann von einer allgegenwärtigen Flugscham in der Post-Coronawelt nicht die Rede sein und das Fliegen wird auch in den nächsten Jahren voraussichtlich nicht an Relevanz verlieren. Daher ist die Industrie intensiv auf der Suche nach „grüneren“ Wegen des Fliegens. Erst Anfang Oktober präsentierte die Umweltorganisation Atmosfair eine Anlage in Wertle in Norddeutschland, welche die große Hoffnung der Luftfahrt produziert soll: CO2-neutrales Kerosin, wir berichteten. In Norddeutschland hergestellt mittels „Power-to-Liquid“-Verfahren aus Wasser und Windkraft. Beide Komponenten werden zunächst in Wasserstoff gewandelt, aus welchem dann, in Kombination mit Kohlendioxid (CO2) aus Lebensmittelresten einer Biogasanlage und aus der Umgebungsluft, in einem weiteren chemischen Prozess flüssiges Kerosin wird.

CO2-neutrales Kerosin: Kein Wundermittel für die Luftfahrt

Kerosin-Gewinnung aus Sonne und Luft

In der Schweiz wird nun ebenfalls an CO2-neutralem Kerosin geforscht, basierend auf dem „Gas-to-Liquid“-Verfahren. Die Zutaten dazu: Sonnenlicht und Luft. Das sind zumindest die Angaben der ETH Zürich, welche gemeinsam mit Forschenden des Institute For Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS) aus Potsdam an dem solaren Kerosin forschen. Wie die Forschenden aktuell bekannt geben, konnten sie mit einer von ihnen erbauten Anlage CO2-neutralen Treibstoff aus Sonnenlicht und Luft erfolgreich herstellen. Eine Studie zu den Ergebnissen wurde aktuell in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Für die Herstellung des solaren Kerosins werden CO2 und Wasser direkt aus der Umgebungsluft abgeschieden und anschließend durch Solarenergie aufgespalten, so die Forschenden. Das so entstehende Syngas, welches aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid besteht, kann im Anschluss dann mithilfe des Gas-to-Liquid-Verfahrens zu Kerosin, Methanol oder anderen Kohlenwasserstoffen verarbeitet werden. Wird der flüssige, synthetische Treibstoff verbrannt, wird nur so viel CO2 freigesetzt, wie zuvor der Luft entnommen wurde. Somit gilt der Antrieb als CO2-neutral.

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Ausgangspunkt für weitere Forschung

Erprobt wurde die Mini-Solarraffinerie in Zürich zwei Jahre auf dem Dach des Maschinenlaboratoriums. Aldo Steinfeld, Professor für Erneuerbare Energieträger der ETH Zürich und einer der Projektbeteiligten dazu in der Aussendung zum Projekt: „Wir konnten die technische Machbarkeit der gesamten thermochemischen Prozesskette zur Umwandlung von Sonnenlicht und Umgebungsluft in Drop-in-Treibstoffe erfolgreich nachweisen. Das Gesamtsystem arbeitet unter realen Sonneneinstrahlungsbedingungen stabil und dient uns als einzigartige Plattform für weitere Forschung und Entwicklung.“

Als optimalen Produktionsstandort schlagen die Forschenden, wenig verwunderlich, Wüstenregionen für den solaren Treibstoff vor. „Im Gegensatz zu Biokraftstoffen, deren Potenzial wegen der Knappheit landwirtschaftlicher Flächen begrenzt ist, könnte der weltweite Bedarf an Flugzeugtreibstoff durch die Nutzung von weniger als einem Prozent der weltweiten Trockenflächen gedeckt werden und stände nicht in Konkurrenz zur Nahrungs- oder Futtermittelproduktion“, so Johan Lilliestam, Forschungsgruppenleiter am IASS und Professor für Energiepolitik an der Universität Potsdam.

Die Mini-​Solarraffinerie auf dem Dach der ETH Zürich ©Alessandro Della Bella / ETH Zürich
Die Mini-​Solarraffinerie auf dem Dach der ETH Zürich ©Alessandro Della Bella / ETH Zürich

Förderung durch verpflichtende Quoten ermöglichen

Laut der Analyse der Forschenden könnte der  Treibstoff bei einer Produktion im industriellen Maßstab bei Kosten von 1,20 bis zwei Euro pro Liter liegen. Aufgrund der hohen Anfangsinvestitionskosten würden Solarkraftstoffe allerdings politische Unterstützung beim Markteintritt benötigen, so die Projektbeteiligten. Diese schlagen dafür ein „technologiespezifisches EU-Quotensystem für Flugzeugtreibstoffe“ vor. Dadurch sollen Fluggesellschaften verpflichtet werden, einen gewissen Anteil des benötigten Treibstoffes mit den solaren Treibstoffen zu decken, so die Überzeugung der Forschenden. Durch die Quote könnten dann die entsprechenden Anlagen vermehrt gebaut werden.

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Energieffizienz reicht noch nicht aus

Wie auch bei dem ähnlichen Projekt aus Norddeutschland, ist auch dieser solare Treibstoff allerdings kein Freibrief für zügelloses durch die Welt jetten. Neben CO2-Emissionen verursachen Flüge auch Kondensstreifen und Stickoxide. Weiterhin ist die Energieeffizienz bei synthetischen Kraftstoffen oft noch ein Problem. So auch bei dem solarem Kerosin in Zürich. Steinfeld dazu: „Die Energieeffizienz ist jedoch noch zu gering. Bislang liegt der höchste von uns gemessene Wirkungsgrad des Solarreaktors bei 5,6 Prozent. Dieser Wert ist zwar ein Weltrekord für die solare thermochemische Spaltung, ist aber nicht gut genug. Es sind noch erhebliche Prozessoptimierungen erforderlich.“ An dieses Optimierungen arbeiten die Forschenden nun.

Somit ist auch solares Kerosin nicht das Zaubermittel für klimafreundliches Fliegen und der Begriff Flugscham nicht obsolet. Ganz im Gegenteil: Laut einer Online-Umfrage des Luftfahrtverbands, für die im Juli durchgeführt wurde, wollen Österreicher:innen die vor der Krise gerne geflogen sind, das laut Berichten der apa auch jetzt wieder tun. Umweltüberlegungen spielen beim Fliegen nur eine kleine Rolle, so die Ergebnisse der Umfrage. Am liebsten wären den Menschen technologische Neuerungen, die Fliegen sauberer machen. Doch auch das solare Kerosin aus Zürich ist nur ein kleiner Schritt in diese Richtung. Am Ende gilt weiterhin: Weniger Fliegen ist mehr Klimaschutz. Trotzdem braucht es in dem Bereich Alternativen. Und eine dieser Alternativen könnte der Treibstoff aus Sonnenlicht und Luft sein.

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