Analyse

CO2-neutrales Kerosin: Kein Wundermittel für die Luftfahrt

© Unsplash/ Ashim D’Silva
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Besonders spektakulär sieht die Anlage nicht aus. Silber-glänzende Rohre und Tanks winden sich um einen schwarz-orangene Halle, die wie eine überdimensionierte Garage aussieht. Dahinter erstrecken sich grüne Wiesen. In diesem beschaulichen Ort, in Wertle in Norddeutschland, soll die große Hoffnung der Luftfahrt produziert werden: CO2-neutrales Kerosin. Verantwortlich für den Bau und Betrieb der Anlage ist die Umweltorganisation Atmosfair, deren Schriftzug auch die Fassade der Anlage ziert. Diese ist bisher als CO2-Rechner für Flugreisen bekannt, über den Menschen etwa ihren CO2-Ausstoß ausgleichen können.

Traum des grünen Fliegens

Mit der neuen Anlage möchte die Organisation Flüge nicht nur kompensieren, sondern deren Emissionen direkt mithilfe von CO2-neutralem Kerosin senken. Für die Luftfahrtbranche kommt die neue Technologie natürlich wie gerufen. Durch ihre gewaltige Klimabelastungen stehen Fluggesellschaften seit Jahren in der Kritik.

Weltweit trägt der Flugverkehr laut dem deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum mit mehr als drei Prozent zur menschengemachten Klimakrise bei. Aus diesem Grund sucht die Branche verzweifelt den erlösenden, heiligen Gral: Einen Treibstoff, der das Klima, aber auch das Gewissen der Flugreisenden nicht belastet. Mit diesem Versprechen hat Atmosfair bereits den ersten Abnehmer angelockt: Die deutsche Fluggesellschaft und AUA-Mutter Lufthansa will nach eigenen Angaben jährlich 25.000 Liter des klimaneutralen Treibstoffs kaufen.

Wasserstoffflugzeuge könnten sich ab 2035 in den Himmel erheben

Um diesen herzustellen, wird in Wertle das „Power-to-Liquid“-Verfahren verwendet. Aus Wasser und Windkraft aus dem Umland wird in einem chemischen Prozess zunächst Wasserstoff hergestellt. Hinzugegeben wird dann Kohlendioxid (CO2) aus Lebensmittelresten einer Biogasanlage und aus der Umgebungsluft. Daraus wird dann in einem weiteren chemischen Prozess das flüssige Kerosin hergestellt. Fliegt ein Flugzeug mit dem Kerosin aus Wertle, entweicht bei seiner Verbrennung nur das CO2, was man in seine Herstellung hineingegeben hat. Dadurch ist es CO2-neutral. Im Regelbetrieb soll die Anlage ab 2022 eine Tonne bzw. acht Fässer Rohkerosin pro Tag produzieren. Viel ist das nicht – laut Atmosfair-Geschäftsführer Dietrich Brockhagen im Interview mit dem NDR verbraucht allein ein Airbus A350 pro Flugstunde fünf Tonnen Kerosin.

Trotz Euphorie: Keine Lösung für die Luftfahrt

So euphorisch die Flugbranche das Pilotprojekt auch sieht: Das CO2-neutrale Kerosin löst keinesfalls das Problem, dass das Fliegen enorm dem Klima schadet. Denn CO2-neutral bedeutet zunächst nicht klimaneutral. Auch wenn ein Flugzeug CO2-neutrales Kerosin tankt, schadet es dem Klima in Form von Kondensstreifen und Stickoxiden. Klimafreundlich ist das Kerosin aus Wertle also nicht.

Zudem hat der Kraftstoff energetisch eine große Schwäche: Er ist alles andere als energieeffizient. Von der Energie, die in Produktion fließt, werden laut dem Allgemeinen Deutsche Automobil-Club (ADAC) am Ende nur 10 bis 15 Prozent in Fortbewegung umgesetzt. Der größte Teil des in der Herstellung eingesetzten Stroms wird also vergeudet. Lea Nesselhauf, wissenschaftliche Referentin beim Verein GermanZero e.V. erklärt in ihrem Twitter-Thread, dass die gesamte aktuelle deutsche Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien dafür verwendet werden müsste, um die Menge Kerosin zu ersetzen, die in Deutschland getankt wird. Eine gigantische Menge.

Woher der eingesetzte Strom kommt, ist der nächste Knackpunkt. Power-to-Liquid-Kraftstoffe leisten nur dann einen Beitrag zum Klimaschutz, wenn zur Produktion des Wasserstoffs, der für die Kerosinherstellung nötig ist, erneuerbare Energien verwendet werden – wie es bei der Anlage in Wertle der Fall ist. Wird die Energie jedoch aus klimaschädlicher Kohle gewonnen, ist auch das Kerosin am Ende nicht klimaneutral. Erst im Frühjahr war bekannt geworden, dass der Anteil der durch Kohle generierten Energie am deutschen Energiemix heuer sogar erneut gewachsen ist, wir berichteten. Der Grund: Ein windarmer Frühling. Gleichzeitig geht der Ausbau von Solar- und Windkraft nur schleppend voran. Es stellt sich dadurch die Frage, wie das CO2-neutrale Kerosin im großen Stil produziert werden soll, wenn die Erneuerbaren Energien bisher nicht einmal den Strombedarf decken können. Damit Anlagen wie in Wertle deutschlandweit im großen Stil gebaut werden können, ist daher ein deutlicher schnellerer Ausbau der Erneuerbaren Energien nötig. Doch auch andere Branchen wollen sich mit Hilfe der  Erneuerbaren dekabonisieren. Somit ist Nachfrage hoch und das bisherige Angebot eben nicht. Die neue Technologie muss sich also hintenanstellen.

 

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Atmosfair: Weniger fliegen ist besser für das Klima

Auch wenn es durchaus sinnvoll ist, an synthetischen Kraftstoffen zu forschen,  ist das CO2-neutrale Kerosin aus Wertle nur ein weiterer Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität, nicht aber die Klimaschutz-Allzwecklösung. Die silber-glänzende Anlage in Wertle ist zwar ein Meilenstein in Richtung einer grüneren Zukunft. Trotzdem bleibt es dabei: Weniger Fliegen schont das Klima am meisten. Das bestätigt auch Atmosfair. So sieht der Anlagenbetreiber in seinem Treibstoff erst einmal einen wichtigen ersten Schritt hin zum klimaschonenden Fliegen. Dem allerdings noch weitere folgen müssen. „So lange gilt: Weniger fliegen ist besser für das Klima“,  resümiert Atmosfair selber in dem  internen Dokument.

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