Gastbeitrag

Stripe: „Ansicht, dass die Politik Startups nicht versteht, hält sich hartnäckig“

Marcos Raiser do Ó, Head of DACH & CEE, Stripe. © Stripe
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Marcos Raiser do Ó leitet die Geschäfte von Stripe in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in der Region Zentral- und Osteuropa. In diesem Gastbeitrag beschäftigt er sich mit den regulatorischen Rahmenbedingungen für Startups in Europa.

Vor zwölf Monaten sagte Frankreichs Staatspräsident Macron, er wolle bis 2030 „zehn Technologieunternehmen mit einer Bewertung von 100 Milliarden Euro“ in Europa sehen. Ähnliche Ziele brachten andere europäische Politikerinnen und Politiker zum Ausdruck, um ihre Ambitionen für die Zukunft der europäischen Technologiebranche inmitten eines immer ausgefeilteren und erfolgreicheren Startup-Ökosystems darzulegen. Auch die deutsche Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Notwendigkeit für einen umfassenden digitalen Aufbruch in Deutschland erkannt und sich auf die Fahnen geschrieben, digitale Innovationen und unternehmerische Initiative – etwa durch die neue Startup-Strategie – zu fördern.

Der Wachstumskurs Europas hat sich 2022 deutlich verlangsamt. Brachen die Finanzierungen 2021 noch alle Rekorde mit nicht weniger als 85 neuen europäischen Einhörnern, sehen sich europäische Startups nun mit einem schwierigeren wirtschaftlichen Klima konfrontiert. Effizienz ist das Gebot der Stunde, und Unternehmen müssen harte Entscheidungen treffen, welche Prioritäten sie setzen wollen.

Macron will bis 2030 zehn 100-Milliarden-Euro-Tech-Companies in Europa schaffen

Weniger als die Hälfte ist optimistisch

Eine neue Studie, die unter fast zweihundert der am schnellsten wachsenden Startups Europas, allesamt Kunden von Stripe, durchgeführt wurde, macht die Herausforderungen der europäischen Technologiebranche deutlich. Die Ergebnisse zeigen, dass weniger als zwanzig Prozent der befragten Unternehmen glauben, dass Europa in den nächsten fünf Jahren weltweit führend sein wird. Weniger als die Hälfte ist optimistisch, was kurzfristige Wachstumschancen angeht. Auf den ersten Blick mag man dies der makroökonomischen Situation zuschreiben. Doch bei genauerer Analyse zeigt sich, dass auch das regulatorische Umfeld ein wichtiger Faktor dafür ist, dass unter Startups eine relativ pessimistische Haltung herrscht.

Zunächst ist es für kleine Unternehmen in der Anfangsphase oftmals sehr schwierig, den Inhalt aller europäischen Vorschriften und ihre korrekte Anwendung zu verstehen, wenn sie nicht über eigene Rechts- und Finanzabteilungen verfügen. Viele Vorschriften scheinen eher für größere Unternehmen konzipiert worden zu sein, die über mehr Ressourcen verfügen und bestimmte Vorgaben leichter umsetzen können. Die Befragten vermuten daher, dass größere Unternehmen auf der Prioritätenliste der politischen Verantwortlichen höher angesiedelt sind als Startups.

Fehlen klarer Leitlinien

Startups in Europa investieren enorm viel Zeit und Geld in den Aufbau ihrer eigenen Infrastruktur, um Vorschriften einzuhalten. Dabei kann das Fehlen klarer Leitlinien aber zu einem wenig hilfreichen Interpretationsspielraum führen. Zunehmend werden wertvolle Ressourcen, die für die Entwicklung neuer Produkte verwendet werden könnten, für rechtliche Belange gebunden. Das schiere Ausmaß an regulatorischen Hürden, insbesondere langen und komplexen Verfahren, stellt eine reale Bedrohung für das Wachstumspotenzial von Startups dar. Angesichts der schwierigeren ökonomischen Rahmenbedingungen gefährden sie möglicherweise sogar das Überleben von Unternehmen. Mehr als die Hälfte der im Rahmen der Studie Befragten (53 Prozent) gibt an, dass der Zeitaufwand für das Einhalten von Vorschriften ihr größtes Problem darstellt, und ein Drittel sagt, dass sie aus diesem Grund sogar in Erwägung gezogen hatten, ihr Unternehmen außerhalb Europas zu gründen.

Es gibt glücklicherweise einige Maßnahmen, die mit kleinem Aufwand große Verbesserungen bringen könnten. So wäre die Digitalisierung der Dienste von Behörden (beispielsweise notarielle Verfahren), wie sie in den baltischen Staaten Standard ist, ein erster, wichtiger Schritt, um die Effizienz der Prozesse zu steigern und Unternehmen in der Anfangsphase dabei zu helfen, schneller durchzustarten. Die Notwendigkeit, während der COVID-19-Pandemie vorübergehend Remote-Prozesse für Unternehmen einzurichten, hat einen Fahrplan für die langfristige digitale Integration geliefert. Politische Entscheidungsträger:innen in ganz Europa sollten es ermöglichen, dass jede Interaktion mit Behörden digital erfolgen kann, wenn ein persönliches Treffen nicht unbedingt erforderlich ist.

Um Unternehmen in der Anfangsphase bei der Umsetzung neuer EU-Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten zu unterstützen, sollten die politischen Entscheidungsträger:innen außerdem den Zugang zu bestehenden Initiativen verbessern, die bei diesen Prozessen helfen können.

One-Stop-Shops für Compliance

Das Aktivieren und Vereinfachen zentraler europäischer Anlaufstellen, sogenannter „One-Stop-Shops“, würde beispielsweise dazu beitragen, Startups zu zeigen, was im Hinblick auf Compliance erforderlich ist – und so den Zeitaufwand für sie verringern. Die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger könnten auch einen neuen „Startup-Test“ (ähnlich dem bestehenden KMU-Test) einführen, der Kosten und Nutzen neuer, speziell auf Digitalunternehmen ausgerichteter Maßnahmen und ihren Nutzen evaluiert. Das Bewältigen des zweiten Problems, das die Studie aufzeigt, ist komplexer. Die Frage, wie regulatorische Rahmenbedingungen gestaltet werden können, um die technologischen Innovationen zu beschleunigen, erfordert dringende Aufmerksamkeit, insbesondere mit Blick auf die Zukunft.

Als ein Technologieunternehmen, das tief in Europa verankert ist, hat Stripe aus erster Hand erfahren, wie eine intelligente Regulierungspolitik Innovationen vorantreiben kann. Im besten Fall funktioniert Regulierung als eine Art Infrastruktur, auf der neue Unternehmen aufgebaut werden können. Nehmen wir zum Beispiel die europäische Zahlungsdiensterichtlinie PSD2. Sie hat einen klaren, sektorspezifischen Rahmen geschaffen, der Standards für die Branche gesetzt und neue Innovationen ermöglicht. Nicht ohne Grund kommen so viele der weltweit führenden Fintechs aus Europa. Viele der im Rahmen der Studie Befragten betonten die positive Rolle, die PSD2 als regulatorischer Rahmen für die Entwicklung der europäischen Fintech-Branche gespielt hat.

Mehr Kommunikation zwischen Startups und politischen Entscheidungsträger:innen

Es sollte sichergestellt werden, dass dieser Ansatz die Regel wird und nicht die Ausnahme bleibt. Die Absicht der Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen, Regulierung zu nutzen, um Innovationen zu fördern, ist anzuerkennen – jedoch haben Europas schnellst wachsende Internetunternehmen den Eindruck, dass sie die Auswirkungen noch nicht spüren. Die Ansicht, dass die Politik die Realitäten, mit denen Startups konfrontiert sind, nicht versteht, hält sich daher hartnäckig.

Ein Teil der Lösung wird in mehr Kommunikation zwischen Startups und politischen Entscheidungsträger:innen zu finden sein. Aufbauend auf bereits laufenden Bemühungen, wie dem Startup Village der EU, sollten Startups regelmäßig konsultiert werden, um sicherzustellen, dass sich ihre Anliegen in neuen Rechtsvorschriften widerspiegeln. So kann ihr ganzer Erfindungsreichtum auch politisch freigesetzt werden. Um Rahmenwerke wie PSD2 replizieren zu können, ist eine besonders enge Zusammenarbeit zwischen Digitalwirtschaft und Politik erforderlich. Es besteht kein Mangel an Initiativen, die darauf abzielen, Reibungspunkte für Startups zu beseitigen – von Scale-up Europe über den Startup Nations Standard bis hin zu den Bemühungen der Europäischen Kommission um die Entwicklung einer neuen europäischen Innovationsagenda. Der klare Fokus sollte nun auf einer konsequenten Umsetzung liegen, insbesondere dann, wenn sich das wirtschaftliche Umfeld verschlechtert.

Scale-Up Europe: Tech leaders reveal strategy to boost startup ecosystem

Das Zusammenführen der bestehenden Bemühungen sollte für die Politik oberste Priorität haben. Um die Umsetzung zu erleichtern, könnte sie eine zentrale Anlaufstelle schaffen (beispielsweise eine Kommission für digitales Unternehmertum), die legislative Hindernisse beseitigt und dabei mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeitet.

Wenn all diese Herausforderungen bewältigt werden, wird Europa aus dieser schwierigen Zeit stärker denn je hervorgehen. Das europäische Startup- und Tech-Ökosystem hat viel zu bieten: Eine beeindruckende Fülle von Talenten, zahlreiche Spitzenuniversitäten und die geografische Nähe zu europäischen Märkten werden von den Befragten allesamt hervorgehoben. Kombiniert man dies mit einem innovationsfreundlicheren, effizienteren und reibungsloseren regulatorischen Umfeld, kann die europäische Technologiebranche in Zukunft endgültig in der Weltspitze mitspielen.

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