Andrew Keen

„Adblocker werden den Markt verändern, weil sie zeigen, dass die Big-Data-Geschäftsmodelle nicht funktionieren“

Andrew Keen im Gespräch mit Jakob Steinschaden. © Johannes Brunnbauer
Andrew Keen im Gespräch mit Jakob Steinschaden. © Johannes Brunnbauer

In Brüssel braut sich derzeit ein Gewitter zusammen, das die Geschäftsmodelle der großen Silicon-Valley-Riesen massiv in Frage stellt. Die EU-Kommission verlangt von Apple eine Steuernachzahlung von satten 13 Milliarden Euro, Wettbewerbshüter prüfen die Übernahme von WhatsApp durch den Social-Network-Riesen Facebook, und ein EU-weites Leistungsschutzrecht soll Google für Content von europäischen Verlagen in seinen Webdiensten ab 2017 zahlen lassen.

„Ich denke, die Europäer machen einen besseren Job als die Amerikaner. Google hat die Obama-Admini­stration in der Tasche. Es ist gut, was die Europäer machen, an ihnen liegt es, all diese Fragen zu klären“, sagt der britisch-amerikanische Buchautor Andrew Keen (zuletzt „The Internet Is Not The Answer“), der sich sehr kritisch mit den Geschäftsmodellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Big-Data-Unternehmen auseinandersetzt. „Sobald Europa sich ändert, wird der Rest der Welt mitmachen. In Singapur etwa habe ich mit einem Vertreter der Wettbewerbsbehörde gesprochen, der meinte, dass sie mitziehen werden, wenn in der EU etwas passiert. Insofern ist die Initiative der Europäer wichtig und gut.“

Kampf um die Privatsphäre lange nicht vorbei

Für Google und Facebook könnten die neuen Regulierungen in der EU drastische Auswirkungen auf ihre Geschäftsmodelle haben. Immerhin machen sie beträchtliche Anteile ihrer Umsätze und Gewinne, während sie mit den Daten von Publishern wie auch Privatnutzern arbeiten. Zwar stehen die großen Fragen nach Datenschutz und digitaler Privatsphäre seit Jahren im Raum (zuletzt angeheizt durch die NSA-Enthüllungen von Edward Snowden 2013), doch der Nutzung der US-Dienste hat das keinen Abbruch getan. „Das Problem ist nicht die NSA, es sind die großen Datenkonzerne. Ihre Geschäftsmodelle basieren darauf, unsere persönlichen Daten zu kennen. Die hohe Nutzungsrate von Werbeblockern reflektiert, dass viele Menschen das nicht wollen“, sagt Keen.

Er sieht die stetig steigende Nutzung von Adblocker-Software am Desktop und auf Smartphones als eines der wichtigsten Anzeichen, dass Internetnutzer weltweit nicht mehr mit den Geschäftsmodellen der Onlinewerberiesen klarkommen. Sie würden Werbeblocker nutzen, weil sie sich nicht von den Werbebnetzen tracken lassen wollen, die ihnen personalisierte Anzeigen unterjubeln.

„Werbeblocker werden den Markt verändern“

Für Google und Facebook ist Software wie Adblock Plus der Kölner Firma Eyeo zum Problem geworden. 100 Millionen Nutzer soll Adblock Plus laut Angaben des Herstellers haben, weltweit setzt der irischen Firma PageFair zufolge jeder fünfte Smartphonenutzer auf einen Werbeblocker. Bereits 2013 wurde bekannt, dass sich Google und Amazon mit Eyeo arrangierten und sich von der Werbeblockade freikauften. Facebook geht währenddessen einen anderen Weg und hat beschlossen, Werbeblocker technisch zu bekämpfen – seither liefern sich das Social Network und Eyeo ein Wettrüsten um Blockaden und Blockade-Blockaden. „Werbeblocker werden den Markt verändern, weil sie zeigen, dass die Big-Data-Geschäftsmodelle nicht funktionieren“, so Keen.

Die ablehnende Haltung von Millionen Internetnutzern gegenüber Onlinewerbung sieht Keen allerdings nicht als Anzeichen dafür, dass nun eine Ära der Zahlungswilligkeit über die Digitalbranche hereinbrechen wird. „Wir leben in einer Post-Wahrheits-Ära, alle bekommen ihre Inhalte von personalisierten Newsfeeds. Ich glaube, es braucht erst eine große Krise, damit die Menschen merken, wie wichtig wertvoller Content ist, der eben etwas kostet. Noch sind alle daran gewöhnt, alles gratis zu bekommen.“

Maschinen als Job-Killer

Doch beim Kampf um das milliardenschwere Geschäft mit Onlinewerbung wird es nicht bleiben. „Die Frage der Privatsphäre wird immer wichtiger werden, wenn wir in Smart Homes leben, in selbstfahrenden Autos sitzen und vernetzte Kleidung tragen“, sagt Keen. Und noch eine andere große Frage der Zukunft bewegt Keen, der gerade an seinem nächsten Buch „How To Fix The Future“ arbeitet: jene der Arbeitslosigkeit.

Forscher des Weltwirtschaftsforums schätzen, dass Roboter (damit sind nicht nur automatisierte Maschinen, sondern auch Software und Algorithmen gemeint) bis Ende 2020 rund 5,1 Millionen Jobs in Industrieländern ersetzen werden. Eine noch drastischere Schätzung von Berechnung der Volkswirte der Bank ING-DiBa geht davon aus, dass in Deutschland mittelfristig sogar jeder zweite Arbeitsplatz durch die sich beschleunigende Technologisierung der Arbeitswelt bedroht ist. „Es sieht so aus, als wäre Technologie ein Job-Killer, sie hat auf jeden Fall das Potenzial dazu“, sagt Keen. „Dieses Problem muss adressiert werden, wenn man es nur dem Markt überlässt, wird es keine Lösung geben. Auf politischer Ebene muss man deswegen über ein garantiertes Mindesteinkommen nachdenken.“

Bedingungsloses Grundeinkommen

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird seit Jahrzehnten von Ökonomen gewälzt, bekommt im Zuge der Digitalisierung wieder Aufmerksamkeit. Risikokapitalgeber wie Tim Draper, die Milliarden in Tech-Firmen stecken, befürworten öffentlich immer häufiger solche sozialpolitischen Konzepte. In einigen europäischen Ländern gab es bereits Anläufe, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) umzusetzen. In Finnland läuft seit März 2016 zumindest ein Pilotprojekt, in der Schweiz wurde das BGE per Volksabstimmung abgelehnt. Bedenken gab es unter anderem deswegen, weil es die Schweizer Wirtschaft benachteilige und nicht finanzierbar sei. „Ich glaube nicht, dass Menschen lieber ein Basiseinkommen hätten als arbeiten zu gehen“, so Keen. „Natürlich gibt es faule Leute, aber es gibt umso mehr Menschen, die dieses Basiseinkommen dazu nutzen könnten, etwas Kreatives zu machen, ein eigenes Projekt zu machen, etwas Innovatives zu schaffen.“

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