Emissionsreduzierung

EU will Carbon Removal zertifizieren – Kritik von Umweltorganisationen

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Bei der COP27 war die Enttäuschung noch groß, weil zu wenig über eine stärkere Regulierung des CO2-Markts gesprochen wurde (wir berichteten). Nun scheint die EU in diesem Bereich aber einen Vorstoß zu wagen – zumindest was die Praxis des „Carbon Removal“ angeht. Dabei handelt es sich um Möglichkeiten, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen und langfristig zu speichern. Die EU-Kommission will laut Euractiv am Mittwoch ein System zur Zertifizierung dieser Praxis vorschlagen.

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Natürliche und technische Prozesse für Carbon Removal

„CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden und langfristig zu speichern ist unerlässlich, wenn man bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität erreichen will“, sagte EU-Klimachef Frans Timmermans Anfang des Jahres. Der Abbau erfolgt oft durch die Natur – Wälder, Böden und Ozeane -, die als Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs CO2 absorbiert. Diese natürlichen Prozesse lassen sich durch Wiederaufforstung oder sogenannte Carbon-Farming-Methoden fördern. Carbon Farming entnimmt CO2 aus der Atmosphäre und speichert es in Pflanzenmaterial oder Böden.

Aber auch technische Lösungen werden erprobt. Dazu gehören beispielsweise Direct Air Capture-Systeme mit riesigen Ventilatoren, die CO2 aus der Luft saugen. Der nächste Schritt ist die Speicherung des abgeschiedenen Kohlenstoffs, entweder in fester Form oder als Flüssigkeit. Vorreiter in diesem Bereich sind Firmen wie Climeworks aus der Schweiz sowie das isländische Startup Carbfix.

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EU-Kommission will CO2-Abbau fördern

Der Vorschlag der EU-Kommission, der Euractiv vorliegt, soll darauf abzielen, den CO2-Abbau zu fördern, indem sichergestellt wird, dass er echt, dauerhaft und überwacht ist. Dabei ist eine glaubwürdige und transparente Bewertung geplant, um öffentlichen Einrichtungen und privaten Betreibern Sicherheit zu geben. Der Abbau kommt für eine Zertifizierung in Frage, wenn er eine Formel erfüllt, die sicherstellt, dass die Tätigkeit neutrale oder positive Auswirkungen auf die Umwelt hat. Wenn dabei CO2-Emissionen entstehen, muss dies gemeldet und durch geeignete Haftungsmechanismen ausgeglichen werden.

Drei Methoden der Kohlenstoffentfernung und -speicherung hebt der Vorschlag hervor: Dauerhafte Entfernung, in Produkten gespeicherter Kohlenstoff und Carbon Farming. Diese unterscheiden sich in Bezug auf Reifegrad, Kosteneffizienz und Überwachungskosten. Die Einbeziehung von in Produkten gespeichertem CO2 und einiger Arten von Carbon Farming hat jedoch Kritik von Umweltaktivist:innen hervorgerufen.

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Speicherung in Böden und Produkten ein „Albtraum“

Zahlreiche Umweltgruppen haben am Montag einen gemeinsamen Appell an die EU gerichtet, Carbon Removal-Methoden aus ihren Klimaplänen zu streichen. Sie argumentieren, dass einige von ihnen auf unerprobten Technologien beruhen, während andere möglicherweise nicht so viele Treibhausgasemissionen absorbieren wie behauptet. Rund 170 Gruppen, darunter Friends of the Earth, Corporate Accountability und das Centre for International Environmental Law, argumentieren, dass speziell die Speicherung im Boden der falsche Weg ist. Sie haben die Kommission stattdessen aufgefordert, sich zu Brutto-Emissionssenkungen zu verpflichten anstatt zu Nettosenkungen, mit denen viele Länder und Firmen derzeit in ihren Klimaplänen werben.

Zwar sei die Einbeziehung der Wiedervernässung von Torfgebieten und der Entnahme von Kohlenstoff aus Wäldern positiv. Jedoch sei die Einbeziehung von Kohlenstoff, der in Böden und Produkten gebunden ist, ein „Alptraum“, sagt Wijnand Stoefs von der Umwelt-NGO Carbon Market Watch. Stoefs verweist auf die Komplexität der Messung des Kohlenstoffgehalts im Boden in einem so großen Maßstab und die hohe Wahrscheinlichkeit, dass CO2 wieder in die Atmosphäre entweicht. Und wenn es um Kohlenstoff geht, der in Produkten wie Möbeln oder Baumaterialien gespeichert ist, sind diese seiner Meinung nach nicht lange genug haltbar, um einen bedeutenden Einfluss auf das Klima zu haben.

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Landwirtschaft begrüßt Carbon Removal-Zertifizierung

Die Bauernverbände hingegen sind eher dafür. Irene de Tovar, politische Beraterin bei der EU-Landwirtschaftslobby COPA-COGECA, verteidigt die Einbeziehung von Aktivitäten, die die Freisetzung von Emissionen reduzieren, in die Definition der CO2-Wirtschaft. „Für die Land- und Forstwirtschaft in der EU ist die Reduzierung des Kohlenstoff-Fußabdrucks parallel zur Nahrungsmittel- und Faserproduktion ein wichtiger Ausgangspunkt“, so de Tovar. Dies zu versäumen, wäre „ein großes Manko für Millionen von Landwirten, die ihre Prozesse nachhaltiger gestalten wollen“, warnt sie.

Umweltgruppen sind jedoch auch über andere Aspekte des Kommissionsvorschlags besorgt. Laut Stoefs sollten die drei Arten der Beseitigung in der Gesetzgebung deutlicher voneinander getrennt sein. Denn in Bezug auf ihre Wirksamkeit bei der Bekämpfung des Klimawandels seien sie nicht gleichwertig. „Wenn wir anfangen, Müll als minderwertigen ‚Abtransport‘ zu zertifizieren, blähen wir unsere Ziele auf und untergraben den Ehrgeiz der EU-Ziele“, erklärte er gegenüber Euractiv.

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Kompensationsgeschäfte befürchtet

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass spezifische Regeln für die verschiedenen Carbon-Removal-Methoden in den Vorschlag aufgenommen werden. Stattdessen werden sie in delegierten Rechtsakten festgelegt, die von der Europäischen Kommission nach Konsultation einer Expertengruppe vorgeschlagen werden. Stoefs sagt, er unterstütze das vorsichtige Vorgehen der Kommission in dieser Frage, da es sich um ein sehr weites Feld ist handle.

Der Vorschlag legt nicht fest, woher die Finanzierung für Carbon Removal kommen kann. Dadurch bleibt die Tür für eine Reihe von Quellen offen, einschließlich freiwilliger Kohlenstoffmärkte und öffentlicher Mittel. Der Entwurf legt auch nicht die Verwendung der Zertifikate fest. Deshalb gibt es die Befürchtung, dass sie für Kompensationsgeschäfte verwendet werden könnten, bei denen Unternehmen Kohlenstoffabbau kaufen, um ihre eigenen Emissionen auszugleichen.

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