Kommentar

Kernfusion: Vorsicht vor falschen Hoffnungen

Der Prototyp des Kompressions-Systems von General Fusion © General Fusion
Der Prototyp des Kompressions-Systems von General Fusion © General Fusion

2,05 Megajoule reinjagen, 3,15 Megajoule Energie rausholen. Geil. Kein CO2, kein Atommüll, keine Bohrtürme, keine Minen. Alle Energieprobleme dieser Welt gelöst. Die Erfolgsmeldung von US-Wissenschaftler:innen des Lawrence Livermore National Laboratory, einen Meilenstein im Bereich der Kernfusion geschafft zu haben, hat Jubelstürme ausgelöst. Mitten in der tiefsten Energiekrise, in der sich Europa qualvoll aus der Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu winden versucht, erscheint die Kernfusion als der große Erlöser. Ökostrom aus dem Fusionsreaktor ohne Ende.

In der Theorie geht das vielleicht. In der Praxis leider nicht. Dass die Kernfusion das Prinzip Sonne in den Reaktor auf der Erdoberfläche bringt, um durch die Verschmelzung von Wasserstoffatomen zu Helium nahezu unendlich Energie produzieren zu können, ist möglich. Aber auch sehr sehr teuer. Und unendlich langsam. Es gibt diesen Witz unter Physiker:innen: „Die Fusionsenergie ist nur noch 30 Jahre entfernt, und wird es immer sein.“

In einer sehenswerten Dokumentation von arte kann man aktuell die Geschichte der Kernfusion nacherleben. Da ist auch zu lernen, dass man Mitte des 20. Jahrhunderts glaubte, eine günstige Energiequelle für alle gefunden zu haben. Nur, auch 2022 bleibt Fusionsenergie Zukunftsmusik und hat schon viele Milliarden an Investitionen verschlungen.

Meilenstein der Kernfusion: US-Labor schafft erstmals positive Energiegewinnung

Wind und Solar werden mal Fusionsreaktoren antreiben

Neu ist Konzept und Technologie sowieso nicht. ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) als größter Kernfusionsreaktor der Welt ist seit 2007, also seit 15 Jahren, im Bau. Eine erste Fusionsreaktion wird dort frühestens 2035 zu sehen sein, von Regulärbetrieb kann dann noch keine Rede sein. In den USA geht man vom kommerziellen Betrieb in 40 Jahren aus, also nach 2060. In Japan plant man den Bau eines Reaktorprototyps bis 2050.

2050 oder 2060 ist aber zu spät für die Energiewende. Bis 2050 will die EU zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt werden, auch die USA wollen das Ziel bis 2050 erreichen. China will es bis 2060 schaffen, Indien bis 2070. Nur: Damit diese Ziele auch erreicht werden, musste schon lange begonnen werden. Schon jetzt sieht es so aus, dass es die Weltgemeinschaft nicht schafft, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sondern wird, wenn man so weitermacht wie bisher, eher bei 2,7 Grad Erderwärmung im Jahr 2100 landen.

Deswegen hilft es nichts, auf das Wunder der Kernfusion zu warten, sondern müssen weiter die Erneuerbaren Energien, also vor allem Solar und Windenergie, gepusht werden. Außerdem muss man sich auch vor Augen halten, dass zwar die eigentliche Fusion der Atomkerne im Experiment der US-Wissenschaftler:innen einen positiven Energiesaldo hatten. Aber wenn man Energie-Wahrheit walten, lässt, wird man sehen, dass die für die Zündung benötigte Laserenergie auch noch mal ziemlich viel Strom braucht, nämlich rund 300 Megajoule. Das hat damit zu tun, dass ziemlich alte Laser aus den 1990ern verwendet wurden. Neuere Laser-Technologie ist viel effizienter. Dennoch: Damit Kernfusion kommerziell sinnvoll wird, muss es 100-fache Energie dessen liefern, was hineingesteckt wird; aktuell liegt die Forschung bei 1,5x (2,05 Megajoule -> 3,15 Megajoule).

Wenn es mal so weit ist und die Fusionsreaktoren in den 2050er oder 2060er-Jahren laufen, dann werden wir diese elektrische Energie ziemlich sich aus sauberen Quellen beziehen wollen.

Kernfusion: Japan plant Bau von Reaktorprototyp bis 2050

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