Kommentar

Warum Kamele? Klimaschutz ist nicht das Gegenteil von gesunder Wirtschaft

Keiner redet von Kamelen ©Rui Pedro Vieira/Pexels
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Der Präsident der Wirtschaftskammer Tirol, Christoph Walser, forderte im ZiB2-Interview am vergangenen Freitag in Sachen Klimaschutz eine objektive Debatte. Das leuchtet ein. Immerhin stellt die Klimakrise die Wirtschaft vor eine riesige Herausforderung. Was weniger einleuchtet, ist Walsers Doppelmoral: Nur wenige Sekunden nach seinem Appell scheint der Wirtschaftsvertreter seine eigene Forderung schon wieder vergessen zu haben. Angesprochen auf die Überprüfung von Straßenprojekten der ASFINAG durch das Klimaministerium sagt er: „Wir werden auch in Zukunft nicht am Kamel von Innsbruck nach Wien reiten können.“

Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Klimavolksbegehrens, und Christoph Walser, Präsident der Wirtschaftskammer Tirol, diskutieren in der ZiB2 über das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum. (c) orf.at
Katharina Rogenhofer, Sprecherin des Klimavolksbegehrens, und Christoph Walser, Präsident der Wirtschaftskammer Tirol in der ZiB2. © orf.at

Keine Emotionalisierung also? Geschweige denn, dass es durch die Klimakrise für Pferde in Mitteleuropa ohnehin bald zu warm werden dürfte, finden sich wenige sachliche Argumente, die den Neubau von solchen Straßenprojekten im Jahr 2021 rechtfertigen würden. Walser spricht davon, dass die neuen Straßen gebraucht werden, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken. Dabei bietet gerade der Verkehr als einer der größten Emissionstreiber viel grünes Ausbaupotenzial. Ob die Paradeiser per Bahn oder per LKW in den Supermarkt kommen, macht für Konsument:innen abgesehen vom Preis vielleicht kaum einen Unterschied. Hätte sich Walser sachlich auf das Interview vorbereitet, wüsste er, dass die Faktenlage auf Seiten des Klimaschutzes und nicht aufseiten der Straßenbaupropagandist:innen steht. Denn, um ein langfristiges Wirtschafts- und Wohlstandswachstum gewährleisten zu können, bedarf es dringend tiefgreifender Veränderungen.

Kosten der Krise

Eine Umfrage der New York University (NYU) unter 738 Ökonom:innen ergibt etwa: Die meisten Wirtschaftswissenschaftler:innen gehen davon aus, dass die globalen ökonomischen Schäden durch die Klimakrise die Kosten für die Energiewende übersteigen. Bis 2025 dürfte die Klimakrise weltweit jährliche wirtschaftliche Einbußen von rund 1,7 Billionen Dollar verursachen. In den meisten Szenarien steigen die jährlichen Kosten bis zum Jahr 2075 auf rund 30 Billionen Dollar an. Auch die Europäische Zentralbank rechnet in einer aktuellen Risikoeinschätzung vor: Schafft es die Wirtschaft nicht, sich an die Klimakrise anzupassen, dürfte das globale Bruttoinlandsprodukt bis 2100 um rund ein Fünftel schrumpfen.

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Bereits bei einer Erwärmung um zwei Grad besteht schwerwiegende Gefahr für Mensch und Natur. Derzeit steuern wir auf eine Erwärmung um rund drei Grad zu. Die Folgen wären fatal, wie ein Bericht des UN-Weltklimarates IPCC (International Panel for Climate Change) zeigt: Im Jahr 2050 dürften abhängig von den derzeit beschlossenen Maßnahmen weltweit bis zu 80 Millionen Menschen hungern. Eine Erderwärmung um zwei Grad bedeutet mehr Hitzewellen für rund 420 Millionen Menschen. Weite Gebiete der Erde dürften durch wiederkehrende Dürre und Überflutungen unbewohnbar werden – es droht die größte Massenflucht der Menschheitsgeschichte.

Kosten des Wende

Im Vergleich dazu erscheinen die nötigen Kosten für den Umbau der Wirtschaft durchaus berechtigt: Der „Österreichische Infrastrukturreport 2021“ geht davon aus, dass es Österreich jährlich 16 Milliarden Euro kosten dürfte, seine Klimaziele bis 2050 zu erreichen. Zum Vergleich: Eine Studie des Klimaschutzministeriums zeigt, dass die Klimakrise Österreich bereits 2020 rund 15 Milliarden Euro kostete. Zusätzliche zwei Milliarden Euro an Schäden entstanden durch Extremwetterereignisse.

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Debatten wie jene um den Bau von neuen Straßenprojekten müssen also sachlich fundiert geführt werden. Daran sollte sich auch die Wirtschaftskammer halten. Niemand will den Österreicher:innen mehr verwehren, als unbedingt notwendig ist. Wirtschaft und Klimaschutzaktivist:innen verfolgen langfristig gesehen dasselbe Ziel: eine lebenswerte und wohlstandsreiche Zukunft für künftige Generationen. Legt die Politik aber nicht bald einen Gang zu, dürften wir bis 2100 in Europa vielleicht wirklich auf Kamelen durch eine ausgetrocknete Steppe reiten.

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