Diese 7 Denkweisen sollten die Wirtschaft im 21. Jahrhundert bestimmen
Kommentar.
Wir brauchen ein neues ökonomisches Modell. Als ausgebildete Wirtschaftswissenschaftlerin bin ich mit dem Paradigma des Wirtschaftswachstums „aufgewachsen“. Die Gedanken der neoliberalen Chicagoer Schule und ihre Konzepte haben meine Sichtweise der Wirtschaft geprägt. Und die meisten von euch, die Wirtschaftswissenschaften studiert haben, sind sicher auch auf Samulsons „Economics“-Lehrbuch gestoßen. Die Art und Weise, wie wir damals Wirtschaft gelernt haben, bestimmt immer noch unsere Entscheidungsfindung für die Zukunft, leitet unsere Investitionsentscheidungen und formt unsere Antworten auf den Klimawandel, Ungleichheit und andere ökologische und soziale Herausforderungen, die unsere Zeit bestimmen. Diese Konzepte passen jedoch nicht zu den Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen.
„Die grundlegenden Ideen, die unsere Wirtschaft heute leiten, sind Jahrhunderte überholt, werden aber immer noch weltweit in Hochschulkursen gelehrt und immer noch verwendet, um kritische Fragen in Politik und Wirtschaft zu adressieren!“ Kate Raworth
Das ist gefährlich und hat Auswirkungen wie wachsende Ungleichheit und ökologischee Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen. Deshalb sei es an der Zeit, sagt Kate Raworth, unser wirtschaftliches Denken für das 21. Jahrhundert zu überdenken. Sie schlägt 7 Denkweisen vor, die ihrer Ansicht nach Ökonomen im 21. Jahrhundert leiten sollten.
Bei der Recherche über die Autorin Kate Raworth – eine Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Oxford, die sich selbst als „abtrünnige“ Ökonomin bezeichnet – bin ich darauf gestoßen, dass sie manchmal als „John Maynard Keynes des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet wird. Berechtigterweise – aus meiner Sicht bietet ihr einfaches und brillantes Buch „Doughnut Economics“ eine weitreichende Analyse unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems und ist eine Inspiration für Denker, wie man unsere Welt auf eine andere Art und Weise betrachten kann. Sie stellt ein sehr überzeugendes Konzept vor, wie man Volkswirtschaften schafft, die durch Design regenerativ und distributiv sind – ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.
Das Grundprinzip der „Doughnut Economics“
Kate Raworths ökonomische Theorie basiert auf dem Bild eines Donuts. Der Donut hat ein soziales Fundament und stellt das Wohlbefinden der Menschen in das Zentrum und ist selbst „der sichere und gerechte Raum für die Menschheit“ und für eine „regenerative und verteilende Wirtschaft“. Am äußeren Rand ist der Donut umgeben von den ökologischen Grenzen der „kritischen Zerstörung des Planeten“.
Das Gesamtziel sollte darin bestehen, innerhalb des Donuts zu bleiben, um sicherzustellen, dass wir weder in Zustände sozialer Ungleichheit und Defizite, wie z.B. bei der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung, abrutschen, noch zulassen, dass das Wachstum in einen drohenden ökologischen Kollaps umschlägt. Dieses Modell stützt sich nach ihren Worten „auf verschiedene Denkschulen wie die Komplexitäts-, ökologische, feministische, institutionelle und Verhaltensökonomie“.
Hörtipp: Das Konzept der Donut-Ökonomie in 15 Minuten erklärt die Autorin auf Soundcloud auch für Podcast-Fans.
Die 7 Prinzipien der Donut-Ökonomie…
… und meine Gedanken dazu
1. Zieländerung – vom BIP zum Donut.
Stetiges Wachstum des Bruttosozialprodukts (BIP) ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts das Ziel der Mainstream-Ökonomie. Raworth argumentiert, dass Wirtschaftswachstum allein nicht alle Probleme unserer Gesellschaft lösen kann und dass die Ressourcenknappheit auch kein endloses Wachstum ermöglicht. Das Wohlergehen der Menschen und des Planeten (unser „Planetenhaushalt“), wie in der Donut-Theorie dargestellt, sollte der Hauptzweck der Wirtschaft sein, anstatt Wachstum und Gewinne zu erzielen.
Die 17 Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) sind für mich zu einer Art Leitstern für den Impact geworden, den ich in der Welt erzielen will. Diese „Sustainable Development Goals“ bilden eine Richtlinie für den Wandel zu einem gesünderen Planeten und einer gerechteren Welt – für heutige und zukünftige Generationen. Diese Ziele spiegeln sich in der inneren und äußeren Dimension des Donuts wider. Sie sind ein starkes Konzept, das die sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekte der Nachhaltigkeit miteinander verknüpft.
Als ich meine ersten Schritte in der Social-Business-Welt setzte, war mein Hauptanliegen Ungleichheit. Aber durch das ein interdisziplinäres Globalisierungs und Migrationsmanagement Studium habe ich mehr und mehr über die Vernetzung von sozialen und ökologischen Aspekten gelernt. Das veranlasste mich dazu, die Fridays-for-Future-Bewegung zu unterstützen, mich den „Entrepreneurs for Future“ anzuschließen und mich aktiv für ein stärkeres politisches Handeln bei klimabezogenen Themen einzusetzen, da soziale Fragen nur dann wirklich gelöst werden können, wenn ökologische und ökonomische Fragen Hand in Hand gehen.
Als Sozialunternehmerin ist es mir wichtig, ein Unternehmen nicht nur mit finanziellen, sondern auch mit sozialen und ökologischen Kennzahlen zu führen. Ich bin davon überzeugt, dass das für alle Player eine starke Motivation sein kann.
2. Das Gesamtbild im Blick haben.
In der neoliberalen Ökonomie herrscht der Markt. Die Idee ist, dass Ressourcen am effizientesten verteilt werden, wenn man den Markt sich selbst überlässt. Die Regulierung sollte minimal sein, die Rolle des Staates sollte sich auf die Sicherheit der Bürger und den Schutz des Privateigentums beschränken. Die Gesellschaft ist irrelevant und die Ressourcen der Erde werden als unbegrenzt angesehen und daher aus der Gleichung herausgelassen.
Kate Raworth plädiert dafür, einen Schritt zurückzugehen und eine breitere Sichtweise einzunehmen, um die Wirtschaft so zu sehen, wie sie wirklich ist: eingebettet in die natürlichen Systeme der Erde und in die menschliche Gesellschaft. Innerhalb der Wirtschaft selbst haben die Haushalte, der Markt, der Staat und die Gemeingüter eine gleich wichtige Rolle bei der Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse zu spielen. Keinem sollte der Vorrang vor den anderen eingeräumt werden, aber sie alle sollten unterstützt werden, um gleichermaßen dem Wohl der Menschheit zu dienen. Diesem ganzheitlichen Bild gehört meine vollste Zustimmung.
3. Wir brauchen ein anderes Menschenbild– vom rationalen Wirtschaftsmenschen bis zum sozial anpassungsfähigen Menschen
Die neoklassische Ökonomie stützt ihre Theorien auf eine sehr eingeschränkte Sicht des Menschen: den berüchtigten, endlos rationalisierenden und sich selbst maximierenden Homo oeconomicus. Kate Raworth versucht, ein Bild von ihm zu zeichnen: Allein stehend, mit Geld in der Hand, dem Ego im Herzen, einem Taschenrechner im Kopf und der Natur zu seinen Füßen. Er hasst die Arbeit, er liebt den Luxus und er kennt den Preis von allem. Das ganze Konzept wurde entwickelt, um die Argumentation über ökonomische Modelle zu erleichtern. Raworth argumentiert, dass wir ein neues Personenbild als Basis für unsere Wirtschaftsmodelle brauchen, das unsere Fähigkeiten zur Solidarität, Empathie und Gegenseitigkeit berücksichtigt.
Wie habe ich das Modell des „Homo Oeconomicus“ beim Studium der Wirtschaftswissenschaften gehasst! Ich erinnere mich an lange Argumente damals wie heute, dass Menschen nicht egoistisch und egozentrisch sind. Das wirklich Schlimme am „Homo Oeconomicus“ ist, dass Studien zeigen, dass wir umso egoistischer werden, je mehr wir uns damit beschäftigen. Also ist es höchste Zeit, sich ein besseres Bild zu machen – wir sind so viel mehr als Tiere auf der ewigen Jagd nach Geld. Warum würden wir Wohltätigkeitsorganisationen gründen, anderen helfen, Sozialunternehmen gründen und dergleichen, wenn Menschen einfach nur egoistisch wären?
4. Wir müssen systemisches Denken lernen.
Das Buch beleuchtet auch den historischen Kontext in dem die Wirtschaftswissenschaft geformt wurde. Ökonomie wurde zu einer Wissenschaft, als Ökonomen begannen, Diagramme und Konzepte einzuführen, die Newtons Diagrammen und mechanischem Denken ähneln. Ökonomen haben lange Zeit versucht, wirtschaftliche Modelle so zu vereinfachen, dass sie linearen mechanischen Modellen ähneln.
Doch unsere Welt wird von Tag zu Tag komplexer und der einzige Weg, diese Komplexität zu beherrschen, ist das Systemdenken. Das Denken in Systemen kann uns viel besser helfen zu verstehen, wie unsere Welt funktioniert und welche Maßnahmen wir ergreifen könnten, um negative Entwicklungen umzukehren. Das gilt meiner Meinung nach besonders, wenn man sich die rasante technologische Entwicklung ansieht, die unsere Zukunft prägen wird.
5. Verteilungsgerechtigkeit ist eine Frage des Wollens.
Raworth sagt, dass Ungleichheit weder gut für Wachstum noch eine notwendige Entwicklungsstufe ist. Im Gegenteil. Es zeigt sich, dass ungleichere Gesellschaften weniger gesund und glücklich sind und einem höheren Grad an Umweltzerstörung ausgesetzt sind. Die Umverteilung von Einkommen reicht nicht aus, um die Situation zu verbessern, denn der größte Teil des Anstiegs der Ungleichheit, den wir heute beobachten, ist auf die Konzentration von Reichtum aufgrund von Kapitalerträgen zurückzuführen.
Als wir unser Startup goood network gründeten, hatten wir das Glück, mit Karl Wagner, dem ehemaligen Direktor für Außenbeziehungen des Club of Rome, zusammenzuarbeiten. Die Diskussionen, die wir während der Arbeit an unserem Manifest hatten, waren sehr inspirierend und ich habe viel darüber gelernt, wie man die Welt auf eine andere Art und Weise betrachten kann.
Karl war Mitautor eines Diskussionspapiers des Club of Rome – The Values Quest, in dem er ähnlich wie Kate Raworth argumentiert, dass unsere Theorie und Praxis der Wirtschaft nicht auf Naturgesetzen, sondern auf den zugrunde liegenden Werten beruht. Eine ungleiche statt einer gleichberechtigten Gesellschaft ist unsere Wahl, sie ist nicht von der Natur gegeben. Um die Welt zum Besseren zu verändern, müssen wir uns mit den Werten und den Erzählungen, in die sie eingebettet sind, auseinandersetzen. Basierend auf seinen Gedanken habe ich angefangen darüber nachzudenken, was ich tun kann, um das gegenwärtige System zu verändern, und deshalb begonnen, öffentlich zu sprechen und mich für mehr Sinn und Nachhaltigkeit einzusetzen.
6. Regeneration als ein wichtiges Ziel.
Was die Umwelt betrifft, so frisst unsere derzeitige Wirtschaftsstruktur an einem Ende die Ressourcen der Erde auf und spuckt am anderen Ende Abfall aus. Stattdessen sollten wir uns bemühen, eine Kreislaufwirtschaft zu entwerfen, bei der alle Energie und Ressourcen in ständigem Fluss sind – wiederverwendet, erneuert, in den Lebenszyklus des Planeten zurückgeführt, wo der „Abfall“ eines Prozesses in Input für einen anderen Prozess umgewandelt werden kann.
Die Kreislaufwirtschaft ist für mich ein eher neues Konzept, aber ich finde es super faszinierend. Als Konsumentin zieht es mich zu intelligenten Produkten, die auf zirkulären Konzepten basieren, und als Innovatorin und Unternehmerin sehe ich Chancen, die sich aus neuen Kooperationen ergeben. Eines meiner Ziele für 2020 ist es, mehr über das Konzept zu erfahren und zu erfahren, wie wir als Netzwerk von Systemdenkern dazu beitragen können. Ich freue mich auf einen interessanten Austausch und Diskussionen zum Thema mit euch allen.
7. Von Wachstumssucht zu einer agnostischen Wachstumshaltung.
Mein Wunsch für 2020: Befreien wir uns von unserem alten Wirtschaftsbild und vollziehen wir den Wandel zu einem Wirtschaftskonzept des 21. Jahrhunderts. Auch wenn du eine Neujahrsdiät machst – lass‘ dich auf den Donut ein – ich bin überzeugt, dass er uns und unserer Welt gut tun wird.
Quellen und weitere Infos:
https://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/
http://www.arcworld.org/downloads/ValuesQuest-Discussion-Paper.pdf