Analyse

Laborfleisch als Klimaretter? 7 Fragen & Antworten zum kultivierten Fleisch

In-Vitro-Fleisch im Labor
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Jetzt ist es wieder in aller Munde, das allerdings nur im übertragenen Sinne: In-Vitro-Fleisch, umgangssprachlich auch Laborfleisch genannt. Der Grund: Der zumindest für viele durch den Film „Titanic“ – bekannte Schauspieler Leonardo DiCaprio hat in zwei sogenannte Clean Meat Startups investiert. Wie Anfang dieser Woche bekannt wurde, können das  niederländische Startup Mosa Meat und das israelische Startup Aleph Farms DiCaprio nun zu ihren Unterstützern zählen. Wie viel der Amerikaner investiert hat, wurde nicht bekannt gegeben. DiCaprio selber, welcher bereits seit Jahren auch als Umweltaktivist aktiv ist, zu dem Investment: „Mit ihren neuen Wegen der Fleischproduktion, eröffnen Mosa Meat und Aleph Farm innovative nachhaltige Wege, um den Wunsch des Konsumenten nach Fleisch zu erfüllen. So lösen beide eines der größten aktuellen Probleme der Fleischindustrie.“

DiCaprio ist lange nicht der einzige der in dem Labor gezüchteten Fleisch viel Potenzial für die Zukunft sieht. Auch Microsoft-Gründer Bill Gates und Virgin-Milliardär Richard Branson investierten Anfang 2020 161 Millionen Dollar in das kalifornische Unternehmen Memphis Meats. Auch wenn somit die Bekanntheit des In-Vitro-Fleisches immer mehr zunimmt, ist es auf dem Radar der breiten Öffentlichkeit noch nicht angekommen. In den Mägen auch nicht. Warum das so ist, wie genau aus Stammzellen ein Burgerpatty wird und welche Rolle das In-Vitro-Fleisch im Kampf gegen die Klimakrise einnehmen könnte, hier nun beantwortet:

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1. Was ist Laborfleisch?

Laborfleisch wird aus Stammzellen von Nutztieren gezüchtet. Diese werden den jeweiligen Tieren per Biopsie als Gewebeproben entnommen und später im Labor isoliert. Die Entnahme sei den Angaben der Unternehmen nach für die Tiere schmerzfrei und die entnommenen Stammzellen können dann zahlreich wiederverwendet werden. So gibt das Startup Mosa Meat beispielsweise an, aus einer Stammzelle 80.000 Rinderhackfleisch-Pattys produzieren zu können. Die Stammzellen werden auf ein Trägergerüst aufgetragen und in einem Bioreaktor mit einem Nährmedium versorgt, sodass sie sich vermehren und sich anschließend in einem weiteren Bioreaktor zu Muskel- und Fettzellen weiter entwickeln. Dafür müssen zum einen die richtigen Bedingungen wie im Tierkörper geschaffen werden, beispielsweise die gleiche Temperatur. Das Nährmedium muss mit allem angereichert werden, was die Zellen zum wachsen und vermehren brauchen, wie Zucker und Fette. Als Nährmedium dient bisher zum Teil in der Forschung noch fötales Kälberserum. Dieses wird aus fötalem Blut gewonnen. Inzwischen wird aber auch an anderen Alternativen gearbeitet, wie beispielsweise Nährmedien auf pflanzlicher Basis. Bereits heute geben einige Unternehmen an Nährmedien zu verwenden, welche frei von jeglichen tierischen Produkten sind.

2. Wo kann Laborfleisch bereits verzehrt werden?

Im Dezember 2020 haben die im Labor produzierten Chicken Nuggets des amerikanischen Lebensmittelherstellers Eat Just in Singapur die Verkaufserlaubnis erhalten. Diese wurden kurz vor Weihnachten 2020 in dem Privat Member Club 1880 in Singapur erstmals den Gästen serviert. Das war eine weltweite Premiere für das Laborfleisch. Auch mit dem Essenlieferanten Footpanda hat das Startup anlässlich des Earth Day 2021 im April in Singapur kooperiert. Das israelische Startup Supermeat betreibt in Ness Ziona, in der Nähe von Tel Aviv, ein eigenes „Test“-Restaurant namens „The Chicken“. In diesem servieren sie ihren Gästen Chicken Burger, bestehend aus im Labor kultivierten Hühnerfilets.

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3. An welchen Produkten wird bisher gearbeitet?

An ungefähr 15 verschiedenen Fleischsorten, von Labor-Huhn, -Rind und -Schwein, wird momentan weltweit gearbeitet. Viele Unternehmen konzentrieren sich bisher auf Rindfleisch-Produkte. Begründet wird diese Entscheidung zumeist mit der extrem schlechten Klimabilanz der Tiere. Dabei ist die Herstellung von Hackfleisch im Labor mit weniger Herausforderungen verbunden, als die eines Steaks beispielsweise, sogenanntes strukturiertes Fleisch. Der Aufgabe wollen sich aber auch verschiedene Unternehmen stellen. So strebt das israelische Startup Aleph Farm die Kultivierung von Rindersteaks an und hat 2021 bereits das erste Ribeye-Steak präsentiert, welches auf Basis von Rinderzelllen und 3D-Biodruck-Technologie hergestellt wurde. Für 2022 plant das Unternehmen den Markteinstieg. Mosa Meat arbeitet hingegen an Rinderhackfleisch für entsprechende Burger. Auch das Schweizer Clean Meat Startup Mirai Foods legt den Fokus zunächst auf kultiviertes Rinderhackfleisch. Dafür konnten sie sich 2021 bereist insgesamt 4,5 Millionen US-Dollar Investitionen sichern.

Andere Unternehmen wie Eat Just, Supermeat und Upside Foods, ehemals Memphis Meats, konzentrieren sich zunächst auf Hühnerprodukte. Aber nicht nur Fleisch kann durch die Stammzellentechnologie produziert werden. Das Berliner Startup Bluu Bioscience arbeitet beispielsweise an im Labor kultivierten Fisch und konnte sich dafür kürzlich sieben Millionen Euro Investment sichern. Bis Ende 2022 plant das junge Startup  nun ihren ersten Produktprototypen auf den Markt zu bringen. Als Fischarten priorisieren sie dabei zunächst Lachs, Forelle und Karpfen. Als Zielmarkt haben sie auch den asiatischen zunächst im Blick. Das Startups TurtleTree aus Singapur arbeitet hingegen an vollwertiger Milch aus dem Bioreaktor, um daraus Babynahrung und Käse herstellen zu können.

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4. Wann kann das Laborfleisch in Europa gegessen werden?

Das ist bisher noch unklar. Dafür braucht es zunächst ein markreifes Produkt, welches dann entsprechend geprüft und durch die Lebensmittelbehörden zugelassen werden müsste. In-Vitro-Produkte würden dann wahrscheinlich unter die „Novel Foods“-Regulierung der EU fallen. Aber die EU scheint dem Fleisch aus dem Labor gegenüber aufgeschlossen zu sein. So fördert sie im Herbst 2020 erstmals mit 1,9 Millionen Euro aus dem Topf „Horizon 2020“  ein Forschungsprojekt „Meat4All“ zum Thema. Das Ziel des Projektes ist es, bis 2023 rohes kultiviertes  Fleisch zu einem Preis von 6 Euro pro Kilogramm auf den Markt zu bringen.

5. Was ist die größte Herausforderung?

Bisher vor allem der Preis. Bereits 2013 präsentierte das niederländische Startup Mosa Meat den ersten zellkultivierten Hamburger weltweit. Dieser soll damals rund 250.000 Euro in der Herstellung gekostet haben. Selbstverständlich sind die Kosten in den letzten acht Jahren gesunken. Laut Eat Just in einer Bekanntgabe anlässlich der Verkaufserlaubnis in Singapur liegen die Herstellungskosten für die Chicken Nuggets bei rund 50 Dollar, also rund 43 Euro. Wettbewerbsfähig sind die Preise für das Laborfleisch so allerdings noch nicht. In einer im März 2021 veröffentlichten Studie im Auftrag der gemeinnützigen Organisation The Good Food Institute beziffern die Autor:innen 2030 als das Jahr, in welchem ein wettbewerbsfähiger Preis für kultiviertes Fleisch erreicht sei. Dabei machen sie aber drauf aufmerksam, dass neue Technologien in der Studie noch nicht mit einberechnet sind, welche die Entwicklung entsprechend beschleunigen könnten. Grundsätzlich sind bisher vor allem die Preise für die Nähmedien und die Wachstumsfaktoren enorm. Diese sollen aber durch entsprechend günstigere pflanzlichere Alternativen und der Hochskalierung gesenkt werden können.

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6. Ist Laborfleisch wirklich frei von Tierleid?

Die Beantwortung dieser Frage kommt auf zwei Komponenten an. Zum einen auf das Nährmedium, welches für ein Ja als Antwort frei von fötalem Kälberserum sein muss. Zum anderen außerdem auf die Haltung der Tiere, welche für die Stammzellenentnahme gebraucht werden. Diese muss entsprechend artgerecht und nachhaltig sein.

7. Welche Rolle spielt es im Kampf gegen die Klimakrise?

Die industrielle Tierhaltung hat einen gewaltigen Einfluss auf die Klimakrise und den Verlust von wichtigen Ökosystemen. Das ist lange bekannt. Inwiefern die Klimabilanz der Laborfleisch-Kultivierung besser ausfällt, lässt sich im Moment noch schwer beziffern, da diese noch lange nicht in einem auch nur annähernd vergleichbarem Maßstab stattfindet. Grundsätzlich ist aber bekannt, dass der Energieaufwand sehr hoch ist bei der Kultivierung von Fleisch aus dem Labor. Daher spielt der Einsatz von erneuerbaren Energien eine große Rolle bei entsprechenden Bilanzierungen.

Laut einer Studie der Universitäten Oxford und Amsterdam könnten durch Laborfleisch bis zu 99 Prozent weniger Bodenfläche und 82 – 96 Prozent weniger Wasser im Vergleich zu der konventionellen Tierhaltung gebraucht werden. Die ausgestoßenen Treibhausgase sollen um 78 – 96 Prozent verringert werden können. Das hängt aber von der Art der verwendeten Energie ab. Andere Studien sehen hingegen deutlich weniger Potenzial in dem Laborfleisch für die Reduzierung der Treibhausgase in dem Bereich. Schlussendlich wird sich das erst in der Zukunft zeigen.

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